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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Schokolade zum Frühstück

Zwischen Empowerment und Kuschelkurs: Rupi Kaurs (post)feministische Insta-Poesie
Hamburg

Ein feministischer Gedichtband, der sich 25 Wochen lang auf der New York Times Bestsellerliste hält? Das klingt zu schön, um wahr zu sein!

Ist es leider auch nicht. Oder vielmehr: Dass die Originalausgabe von Rupi Kaurs „milk and honey“ ganz oben auf der Bestsellerliste landete und sich über eine Million Mal verkaufte, stimmt. Traurig eigentlich, dass allein dieser Umstand immer noch stutzig machen muss. Wie feministisch können Texte, denen derartiges widerfährt, tatsächlich sein?

Liest man über die gerade mal 24-jährige kanadische Autorin, erfährt man zunächst wenig über ihre Texte und Illustrationen, dafür eine Menge über sie als „Phänomen“. Mehr als 475, 000 Follower auf Instagram und circa 34,500 Follower auf Twitter kann sie für sich verbuchen; als „Instapoet“ bezeichnen sie die englischsprachigen Medien. Der Tropfen, der das Fass vor gut zwei Jahren zum Überlaufen brachte: Ein Fleck Menstruationsblut, der auf einem Selbstporträt von Kaur zu sehen war. Instagram entfernte das Foto, Kaur schrieb eine flammende Rede gegen Sexismus, Instagram entschuldigte sich. Eine ziemlich souveräne – und definitiv feministische – Aktion, für die Kaur höchsten Respekt verdient. Aber wie lesenswert ist denn nun ihr literarisches Debüt?

Vier Kapitel umfasst der griffige, in schlichtem Schwarz-Weiß gehaltene Band: „der schmerz“, „die liebe“, „das zerbrechen“, „das heilen“. Viele Texte sind kaum mehr als drei bis fünf Zeilen lang; sie sind komplett kleingeschrieben und verzichten fast gänzlich auf Interpunktion – Eigenschaften, die auf die Gurmukhi-Schrift verweisen, die zum Schreiben von Kaurs Muttersprache Panjabi verwendet wird. Abgesehen davon sieht das Ergebnis aber auch einfach stylish und zeitgemäß aus. Das Textnachrichten-Format schreit geradezu danach, tausendfach retweetet und auf Facebook-Pinnwänden gepostet zu werden. Passend dazu konzentrieren sich die minimalistischen schwarz-weißen Zeichnungen ganz auf einen bestimmten Moment, einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit, einen flüchtigen Gefühlszustand: Fallende Wimpern, auseinander driftende Puzzleteile, ein Sturm im Wasserglas.

„der schmerz“ kann als gelungenster Teil des Buches gelten; auch wenn sich darin keine neuen Welten auftun – weder inhaltlich noch stilistisch – so ist es schwer, nicht von ihm berührt zu werden. Kaur zeichnet darin eine bedrückende Linie patriarchaler Gewalt, die von ehelicher Vergewaltigung über die Unterdrückung der Töchter bis hin zum Mundtotmachen von Missbrauchsopfern reicht. Eigene Erfahrungen fließen zusammen mit aufgeschnappten Gesprächsfetzen aus der U-Bahn, in Wartezimmern, auf Schulhöfen. Die teilweise Haiku-artigen Texte berichten von dysfunktionalen Familien, überforderten Müttern und abwesenden Vätern. Von benutzten Körpern, auseinandergezwängten Knien (ein Text ist tatsächlich zwischen die Schenkel eines kopflosen, mit wenigen Strichen skizzierten Frauenkörpers gesetzt) und gestopften Mündern. Und auch davon, wie wenig selbst heute, in den Köpfen junger Menschen „consent“ zum Konsens gehört. Kaur spricht wahre, klare Worte, die – wie die Realität leider immer wieder beweist – noch immer zwingend und notwendig sind.

In „die liebe“ wird dann allerdings, wie der Titel bereits befürchten lässt, die Gewaltspirale mit einem Übermaß an Kitsch konterkariert. Und das geht nicht wirklich auf.

„du warst vielleicht nicht meine erste liebe
aber du warst die liebe nach der
alle anderen lieben
bedeutungslos waren“

Bei diesem Gedicht meint man noch, Madonna etwas campy und over-the-top „Like a virgin“ im Hintergrund trällern zu hören, möchte an eine bewusste Ironisierung der Hollywood-Vorstellung von Mr. Right glauben. Doch werden in sämtlichen folgenden Texten penetrant und völlig ungebrochen „seine“ (respektive „deine“) Hände, Lippen, Worte etc. als Nabel der Welt aufgerufen, sodass man sich irgendwann zu fragen beginnt: Was genau unterscheidet diesen Angehimmelten von den bösen Vätern, Onkeln, Vettern aus Kapitel eins? Die Inbesitznahme ist ebenso vollkommen, nur etwas weniger offen gewaltvoll, die Ausrichtung des Ich nach der männlichen Anerkennung ebenso komplett, nur neuerdings romantisch verklärt.

Ob im nächsten Kapitel die rosarote Brille des Ich zerbricht, und mit ihr der strahlende Prinz, oder ob es sich um verschiedene Figuren/Beziehungen handelt, bleibt offen. Klar ist: Zeilen wie

„du warst verlockend schön
doch als ich nahekam hattest du dornen“

funktionieren vermutlich im Englischen, zumal als Spoken-Word-Stücke, ganz ordentlich – auf Deutsch tendieren sie jedoch zur Plattitüde.

„ich bin ein museum voller kunstwerke
aber du hattest deine augen zu“

lesen wir da, und ein paar Seiten weiter:

„ich war musik
aber du hattest deine ohren auf durchzug“

20-jährige heterosexuelle Frauen mit akutem Liebeskummer und minimalem Selbstbewusstsein mögen sich an solchen Zeilen wunderbar aufrichten können, alle anderen werden diesem Selbstaufgabe-versus-Selbstliebe-Mantra wahrscheinlich nicht allzu viel abgewinnen.

Nach den Perlen muss man suchen, doch es gibt sie – die kleinen, feinen Texte, in denen Kaur Alltagsbeobachtungen in knackigen Sprachbildern kristallisiert:

„leute gehen
aber die art wie sie gehen
bleibt immer zurück“

Die Euphorie angesichts solcher Lichtblicke hält allerdings nicht lange an, denn das letzte Kapitel driftet endgültig einer Lyrik-Version von „Bridget Jones – Schokolade zum Frühstück“ entgegen.

„versuche gar nicht erst das festzuhalten
was dich doch nicht will“

oder

„du musst eine beziehung
zu dir selbst aufbauen bevor du zu
jemand anderem gehen kannst“

sind Tagesweisheiten, die in einem Yoga-Kalender gut aufgehoben wären, als Literatur jedoch kaum durchgehen.

Das ist schade. Denn irgendwie möchte man all den verunsicherten, verlassenen Millenials dieses Wohlfühl-Ende ja gönnen. „Comfort and Peace“, war schließlich die Antwort, die Kaur der Huffington Post auf die Frage gab, was ihre Leserinnen aus dem Buch für sich ziehen sollen. Und nicht „ein Faustschlag auf den Schädel“, wie Franz Kafka dereinst. Wenn dank „milch und honig“ ein paar mehr Teenies sich selbst und ihre Körper inklusive Behaarung, Blutung und Blähung akzeptieren, anstatt irgendwelchen narzisstischen Mackern hinterher zu heulen, dann ist das großartig. Nur: Muss die vielbeschworene Zugänglichkeit solcher Insta-Poesie notwendig auf Banalität und Gefälligkeit hinauslaufen?

Anscheinend schon – zumindest, wenn man Amazon-Topseller werden möchte. „Jede Frau sollte diese Lyrik lesen“, so die einhellige Meinung kanadischer und US-amerikanischer Medien. Und das ist wahrscheinlich genau das Problem: Wirklich innovative, ergreifende, herausragende Musik gibt es wohl auf keiner Party zu hören, auf der für alle ein bisschen was dabei ist.

Ich für meinen Teil möchte jedenfalls lieber an Bikini Kill („When she talks, I hear the revolution”) als an Bridget Jones erinnert werden, wenn ich „feministische“ Lyrik lese. Oder anders gesagt: Wenn das die Vierte Welle des Feminismus sein soll, würde ich mich hiermit gerne direkt in die 90er Jahre zurückbeamen lassen.

Rupi Kaur
milk and honey - milch und honig
LAGO
2017 · 208 Seiten · 14,99 Euro
ISBN:
978-3-95761-173-4

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