Düngerkinder, Garten
Unter "Düngerkind" steht auf der Innentitelseite von Sonja vom Brockes Engstler-Heft das Wort "Gedicht", Singular. Gut zu wissen: Was uns vom Brocke aufbietet, ist keine Sammlung und kein Zyklus, sondern eine einzelne, 33 Seiten umfassende Sprechbewegung. Eingerahmt wird diese Bewegung vorn von drei Motti –
gescheitelt werden im /dreckigen Wetter, das sollst du
Oskar PastiorDas Wehen der Luft das Rieseln des Wassers das
Wachsen der Getreide das Wogen des Meeres
das Grünen der Erde das Glänzen des Himmels
das Schimmern der Gestirne
Adalbert StifterWenn wir weinen, sprechen wir mit den Sternen
Marianne Fritz
– und hinten von einer einzelnen Quellenangabe:
S. 9: kommt … kamen
Vgl. Invocations to the U‘wannami
(rainmakers), in: Technicians of the Sacred.
A Range of Poetries from Africa, America,
Asia, Europe, and Oceania. Hg. J.
Rothenberg, Epigraph und S. 437
Diese Angaben versichern uns des Settings, und unserer Leseweise darin: Brocke hat ein langes Naturgedicht gebaut, das die Funktionsweise der klassisch Stifter'schen Naturmetaphern anerkennt, aber über sie hinausgeht: Weder meinen die Erdkrumen und Gebüsche in "Düngerkind" eigentlich irgendeine Wirklichkeit in der Psyche eines Textsubjekts, noch geht es um die Krumen und Gebüsche im Verhältnis zum Subjekt. Der Text sagt selber, er will bloß erlebt werden, nicht gedeutet; er hat das Umgehen mit der Despotie der "richtigen Lesart" mit zum Gegenstand, also: das weiträumige Umgehen derselben:
Und die Rotblütlerin verschluckt eine Hummel; zigste Dulderin, Luzifera. Sie blüht der Despot~in, mal mit, mal ohne Dorn. Doch lass los, denn auch mittig lässt sich starren: ins EIGENTLICH - oh Giftwurz, Viperzahn! Lass die Wahl den Despot~in nicht treffen; kraule wahllos d. Despot~in auf der Kranznaht; aus dem Sirup lässt sich brauen: (…)
Stattdessen ist der Textfluss selber – sind seine Repetitionen und rhizomatischen Wucherungen (vgl. "Invocations" usw.) – Thema und Ausstellungsstück; haben wir es mit einer Anrufung der Kulturtechnik Anrufung zu tun, die als Kollateral die ebenso archaische Kulturtechnik des Gartenbaus hat.
Es gibt ein Du-Subjekt, damit beginnt der Text:
Du stehst im Garten, der verkümmert ist; ein Feldchen aber gebannt, handfest: Menschenackerbau; Weißkohl, Radieschen;; Viola emittiert Rauch; glasige Fasern des Mangabaums; Apfelbaumäste die Pferde? (…)
Außerdem gibt es, später, mehrere personale Objekte in der dritten Person, vor allem eine(n?) Manti und ein Flötengirl. Klar: wir bewegen uns sind in einem möglichen, ziemlich dreckigen, weiterhin pastoralen Arkadien. Weiters gibt es, als immer wieder unterbrochenes Standardformat, einen Blocksatz, der an Inschriften in Stein denken lässt, oder an Schriftrollen. An den stark variierenden Zeichenabständen sehen wir: die Bedeutung des einzelnen Worts ist dem schieren Akt der Niederschrift, Aufbewahrung, der Struktur des materialisierten Gedächtnis nachgeordnet. Zwar geschieht manches, aber die repetitiven Stellen, die nichts tun als apodiktisch dies oder jenes Zeug in vom Brockes Textgarten hineinzusetzen –
Mission Himbeer; Blütenstaub; Mission Gnu; Nuss und Zucchini; Mission Drohne; Ähre; Mission Tulpe; Mission Erbse; Mission Raupe; Mission Zähre; Mission Lerche
– sind das eigentliche Feature: Einerseits wegen der Eigendynamik, die die Sprache als Zauberspruch, Listenform, Gedächtnisstütze schon vor Erfindung der Schrift hatte; andererseits wegen des Tao-haften, hierarchielosen Gegenübertretens zwischen Lesersubjekt, Textsubjekt und "den 10.000 Dingen" in vom Brockes Garten.
Zwischen dem Haupttext und seinem Finale (in dem das Du unter der Hand zum Ich wird, bzw. zumindest zum possessiv auf eine Vielzahl bezogenen "meine") stehen sechs Seiten mit kursiv und wie im Slalom gesetzten Worten und Satzfetzen. Auch sie sind in Aufzählungsform gebracht, aber sie haben eher als der Rest des Langgedichts die Eigenschaft von Action, von Ereignissen, die uns aus der Ruhe bringen oder außerhalb des Gartens weisen – um in den Fluss integrierbar zu sein, fehlt ihnen etwas. Sie stehen unter dem Zwischentitel "Glitchen", den wir freilich auch als Handlungsanweisung lesen können, oder als Zuschreibung im Gedicht. Gedächtnis, oder Aufzählungsform, oder Naturmagie, oder Sprache, die von ihrem Wuchern als Sprache wuchert, macht Fehler.
War es Sebastian Kiefer, der irgendwo über Avantgarde-Sprachen schrieb, da, wo es eine Störung gebe, könne man sehen, dass es zuvor eine Ordnung gegeben habe?
Woher stammt die Formulierung [fälschlich nur die österreichische Literatur irgendeines spätmodernen Zeitabschnitts betreffend], diese Texte nähmen nicht die Sprache ins Gebet, sondern das Gebet in die Sprache?
Beide von mir, passenderweise, nur mit Glitches erinnerten Formulierungen bzw. Lesehaltungen passen zu "Düngerkind".
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