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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
Kritik

Ungefähr hier endet die Welt

Hamburg

Bis kurz vor seinem Tod arbeitete Tomas Tranströmer an einem Memorabilienband, dessen Veröffentlichung mitzuerleben ihm nicht vergönnt war. Ergänzt durch helfende Hände (übersetzt aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt, herausgegeben von ihm & Magnus Halldin) und komplettiert nach seinen Vorstellungen, beinhaltet das Buch einen Blick in die streng geheime Werkküche, bzw. den Vorratskasten des einmalig begabten Schweden. Fotos, Autographen, Entwürfe und Briefe, sowie einige persönlich ausgewählte Kings of Kings seines schmalen Gesamtwerks an Gedichten bilden den bescheiden und doch großformatig gestalteten Band, nun von Hanser in der damaligen Edition Akzente Gestalt ins Deutsche übertragen. WeggefährtInnen und Übersetzer wie Hans Grössel oder Michael Krüger, vor allem auch Lars Gustafsson und nicht zuletzt seine Frau Monica haben Platz in diesem Buch, das das Leben und die Werkentwicklung Tranströmers zeitlich nachvollzieht. Seine lebenslange Beschäftigung mit Musik und Entomologie ist ebenso präsent wie seine Heimat und das Sommerhaus in den Schären, sein Brotberuf und die Krankheit der letzten Jahrzehnte.

Wie es so ist bei solchen Unterfangen, am besten sind immer noch Tranströmers Worte selbst, und von ihnen natürlich die Gedichte, "sanktioniert" wie er sagt, einsam um eine wie unerreichbare Welt kreisend, jedes einzelne von einem monolithischen Formwillen gezogen. Auf einige Reden und Briefe auf und an T. könnte man getrost verzichten, sie lassen nicht gerade die Bescheidenheit sprechen, die für Tranströmer wohl mit eines der Hauptcharakteristika seiner Person war. Wiewohl auch in einigen frühen Zeugnissen seinerseits eine nicht unerhebliche Eitelkeit dem eigenen Werk gegenüber zum Ausdruck kommt, ohne die es wiederum aber möglicherweise auch keinen Gestaltungswillen bzw. Geltungsbedürfnis Tranströmers hätte geben können. Er schreibt zum Beispiel über ein in die Schublade sanktioniertes Gedicht aus einer Sammlung: "[...] Dies führt dazu, dass Anfang und Ende in verschiedene Richtungen zu streben scheinen. Ich bin nicht sicher, ob ich mich präzise erinnere, aber es war schade, dass es da eine Reifenpanne gab. Hauche auch der zweiten Hälfte ein paar gesummte Daktylen ein, und ich bin sicher, dass die Radtour geradewegs in die Unsterblichkeit führen wird."

Nicht unerheblich kommt in dem wohlkomponierten Band die beißende, beinahe komische Seite Tomas Tranströmers zur Geltung, wenn er sich über KollegInnenverhalten bei Dichterlesungen auslässt, kurz versteht sich, das Leiden einer Seekrankheit auf der langen Kutterfahrt nach Island graphisch schildert, oder bei Interviews derart einsilbig antwortet, dass es eine Freude ist. Besondere Höhepunkte sind die Prosabeschreibungen, zum Beispiel von einer frühen Reise hoch in den Norden. Klar, hypnotisch und voll unerwarteter Bildschnitte.

Maunu ist die nördlichste Ansammlung von Häusern in Schweden, zu der eine Art Straße führt. Auf der Karte gleicht dieser Weg einem übermütigen Fadenstrang, der sich von dem gröberen Karesuandoweg losgedreht hat.
Ich war gerade in Maunu angekommen, als es zu regnen begann. Ich ging in eins der Häuser und bat darum, mich setzen zu dürfen, solange der Regen anhielt. Es war eine große Hütte mir Rauchloch: Hier drinnen herrschten Wärme und Dämmerlicht wie unter einer ständigen Gewitterwolke.
Auf dem Boden in der Mitte des Raums lag das Jüngste der Familie, ein einjähriger Junge, auf einem Rentierfell und schlief. Um ihn herum gruppierten sich die anderen. Die Frau am Herd, von Entbindungen gekennzeichnet und mit schwarzen Augen, die etwas bewachten. In der dunklen Bankecke räkelte sich jemand unter einer Decke und gab Schnarchlaute von sich. Ich dachte lange, es sei der Hausvater, bis ein großer grauer Hund aus der Decke sprang und sich schüttelte. Eine gelbe Katze gähnte vom Regal über dem Herd. Eine Alte lächelte liebenswert und zahnlos vor sich hin. Ein etwa zehnjähriges Mädchen spielte auf eine beharrliche und versonnen grausame Weise mit einer jüngeren Schwester, in deren Gesicht die ganze Zeit eine sprachlose Verzweiflung stand, eine Verzweiflung, die die Stille des Raums in keiner Weise beeinträchtigte. Über ihnen hing der schwere Geruch von kochendem Rentierfleisch, die einschläferndste Droge, die es gibt. Die Stunden vergingen.

Es ist genug über Tranströmers Werk geschrieben worden. Es soll an dieser Stelle nur gesagt werden, es zu lesen ist eine Lebenspflicht. Dazu gehört auch dieser allerletzte, gut gemeinte Band. Er ist ein Geschenk für alle, die sich noch einmal etwas Neues/ Anderes von ihm zu lesen gewünscht haben und absolut auch ein Einstiegswerk für Neulinge in diesen Kosmos, der vielleicht so umrissen werden kann, dass das, was Ingmar Bergman an Perspektive auf den Film im 20. Jahrhundert hat werfen können, Tomas Tranströmer auf dem Gebiet der Lyrik, wenn nicht der geschriebenen Worte an sich, geleistet hat.

Das Ziffernblatt am Kirchturm lebt noch und ist sichtbar über den Dachfirsten und dem Verkehr der Stadt so wie die Armbanduhr weiter tickt am Handgelenk des Toten oder die Verkehrsampeln während der Krawalle unablässig umspringen von Rot auf Grün und wieder zurück. Ich will nicht sagen dass die Kirche tot ist aber musste an eine Art Zwischenzustand denken, einen schwebenden Körper außerhalb des Körpers, wenn es wirklich kritisch ist. Eine Unmenge von Bewegungen überall. Auch mitten in der Nacht: Einmannpatrouillen schreiender Katzen und eine Unmenge einsamer Menschen die daliegen und schlafen aber zugleich auf sind draußen auf den Straßen unterwegs zur Adresse. Wer hat Die Adresse? An ihn halten wir uns. Es sind die Nikodemusse die nachts ihren Herrn aufsuchen, sie sind von einander verlassen – tagsüber sprechen sie eine ganz andere Sprache (scheinbaren Einverständnisses). Und nun dieser pathetische Spaziergang mit einem unleserlichen Zettel in der Hosentasche. Große Käfer sitzen auf den Stromleitungen und glühen vor Elektrizität. Es singt in den Drähten über ihren Köpfen. Geparkte Planierraupen sind mausetot. Als ich am Morgen erwachte, entdeckte ich dass die Hosen lehmig waren und konnte es nicht lassen mich zu fragen wo ich des Nachts eigentlich gewesen war.

Tomas Tranströmer · Wolfgang Butt (Hg.) · Marcus Halldin (Hg.)
Randgebiete der Arbeit
Übersetzung:
Wolfgang Butt, Hans Grössel und Klaus-Jürgen Liedtke
Edition Akzente / Hanser Verlage
2018 · 256 Seiten · 28,00 Euro
ISBN:
978-3-446-26022-1

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