Wie denn sonst? Aus den Fragestellungen eines Fußballprofis.
Fußballer bleiben der Nachwelt und Öffentlichkeit nicht selten durch ihre kuriosen Aussprüche und Weisheiten im Gedächtnis, sei es nun Andi Brehmes „Haste Scheiße am Schuh, haste Scheiße am Schuh“, die lange vor der Fake News Debatte getätigte Aussage von Bruno Labbadia, die Medien würden alles „hochsterilisieren“ oder Andreas Möllers einsichtige Feststellung: „Mein Problem ist, dass ich immer sehr selbstkritisch bin. Auch mir selbst gegenüber.“
Letzteres würde Ivo Trifunović wohl kaum von sich behaupten. Oder doch? Eigentlich denkt der 27-jährige Fußballstar, der derzeit beim englischen Club Everton 100.000 € in der Woche verdient, viel über sich und seine Umgebung nach – wobei er meist zu dem Schluss kommt, dass er eh nicht anders mit den Dingen umgehen kann, als er es sowieso schon tut. Über dreihundert Seiten dürfen die Leser*innen Ivo zuhören, wie er davon erzählt, dass er eh genau weiß, wer er ist, was er tut und was er will, wie es ist und wie es läuft – und gleichzeitig bis zuletzt immer wieder überhaupt keine Ahnung hat, wie er mit den Gegebenheiten seiner Existenz umgehen soll, dabei unaufhaltsam zwischen Krise und Zufriedenheit manövriert.
Eigentlich hat Ivo ja alles, was man braucht: Eine Familie, Vermögen, Freundschaften und ein paar coole Autos. Ihn wurmt, dass er vielleicht nie wieder bei einem Top-Verein mit Champions League-Potenzial spielen wird, ihn nerven die vielen langweiligen Menschen, mit denen er sich dann und wann aus unterschiedlichen Gründen umgeben muss und deren Existenzberechtigungen so wenig mit der Wirklichkeit zu tun haben – so sieht es zumindest Ivo und er führt diese Ansichten immer wieder aus. Und manchmal macht es ihn unglücklich, nicht wirklich erfüllt zu sein von dem, was er hat. Und nichts daran ändern zu können oder zumindest nicht zu wissen: wie.
Mögliche Erlösung tritt auf in Gestalt seiner einstigen Jugendliebe Mirna. Sie erscheint Ivo nicht nur als Alternative zum Alltagstrott, sondern als schönes Licht, das durch den Nebel der verpassten Gelegenheiten und Fehlentscheidungen dringt, in dem sich Ivo dann und wann wiederfindet, in dem er sich verirrt und manchmal die Orientierung verliert. Eine Affäre bahnt sich an. Aber wie soll man als Fußballstar eine Affäre managen, zwischen Wien und Liverpool, zwischen Kindergeburtstagen und Trainingseinheiten, Nationalmannschaftsspielen und allen anderen Verpflichtungen?
Tonio Schachinger hat einen Roman über eine Existenzkrise geschrieben, eine gleichsam ungewöhnliche und gewöhnliche. Ehestress, Sehnsucht nach der Jugend, Hinterfragung der eigenen Relevanz, Gefühle der Fremdbestimmung, fehlende Freiheit, das Wachsen an Erkenntnissen – das alles sind klassische Zutaten für Romanfiguren und Geschichten über Existenzkrisen. Ungewöhnlich und bemerkenswert ist jedoch die in Ansätzen monologische, ichzentrierte Struktur der Erzählung, aus der sich schnell ein Sog entwickelt und der außerdem eine schöne Ambivalenz gelingt: man ist einerseits eingenommen von Ivos (teilweise tiradischen, teilweise philosophischen) Darlegungen und Überlegungen und ist zur selben Zeit gezwungen, diese Äußerungen und Ivos ganze Haltung kritisch zu hinterfragen, weil es keine Erzählinstanz gibt, die das übernimmt (oder diese Hinterfragung zumindest anleitet).
So entsteht ein Wechselspiel, das noch dadurch befeuert wird, dass auch Ivo sich selbst immer wieder hinterfragt und mit seinen eigenen Unzulänglichkeiten nachdrücklich konfrontiert wird. Mit der Zeit arbeitet Schachinger auf diese Weise den innersten Zusammenhalt eines Lebens heraus. Es ist das Leben eines Stars, eines wohlhabenden Menschen mit Vorzeigestatus – aber eben doch ein Leben mit ähnlichen Problemen, was die Endlichkeit und Unvollkommenheit aller angestrebten Zustände und Hoffnungen angeht, die jedes menschliche Leben mehr oder weniger bedingen.
Insofern ist der Titel „Nicht wie ihr“ nur ein Teil der Wahrheit – obgleich er in vielerlei Hinsicht zutrifft und auch sehr klar wiedergibt, was für Ivo im Innersten immer wieder Halt und Sicherheit bedeutet, was für ihn feststeht, abseits aller Zweifel: dass er etwas Besonderes, wirklich Besonderes ist und dass er im Gegensatz zu anderen schon checkt, wie es läuft und dass er über die meisten Dinge Bescheid weiß, auch wenn er nicht so handelt, wie er im Angesicht dieses Wissens handeln sollte, etc. Genau diese Überzeugung zeichnet ihn seiner Meinung nach aus und zugleich ist gerade diese Überzeugung eine sehr gewöhnliche, geradezu landläufige.
Es ist kein lupenreines Psychogramm, das Schachinger entwirft, keine mustergültige Entwicklungsgeschichte, die er erzählt. Vielmehr eine gekonnte Fiktion, gut ausbalanciert zwischen Klischee und Reflexion, voller unauffälliger Bruchstellen, sowie Ecken und Katen, hinter denen sowohl eine tiefgehende Erkenntnisorgie als auch eine Auseinandersetzung mit medialen Phänomenen stecken kann. Denn Ivo Trifunović befindet sich irgendwo dazwischen, zwischen den Social-Media-Kanälen, Klatschspalten und hohen Summen auf der einen und dem Eigenleben, das sich in und um ihn stets bildet, auf der anderen Seite.
Alles in allem: es ist ein bemerkenswertes Buch, obwohl es unspektakulär daherkommt. Es ist ein unterhaltsames Buch, ohne sich jemals anzubiedern oder nur die Themen Fußball, Geld und Sex auszuschlachten (an all diesen drei Motiven herrscht dennoch kein Mangel). Kurzum: es ist ein Buch, das sich mit seinem besonderen Charme und seinem Balanceakt zwischen Banalität und Metaphysik seinen Platz auf der Longlist des Deutschen Buchpreises in jedem Fall verdient hat.
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