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Kritik

Eine Privataudienz

Hamburg

Es liegt ein gewisser Reiz im Spiel mit Anachronismen und so kann man schon einmal hellhörig werden, wenn ein bekannter, etablierter Dichter wie Uwe Kolbe im Jahr 2017 einen Buch mit Psalmen veröffentlicht. Nach dem Lesen bleibt jedoch die Frage nach dem Warum? offen. Soviel scheint aber festzustehen: Ein Spiel mit Gott wagt Kolbe nicht.

Er habe in früheren Gedichten hin und wieder eine göttliche Instanz angesprochen, sagt Kolbe, diese sei aber unbestimmt gewesen und stets mit ironischer Rede verbunden. Mit anderen Worten, eine echte Annäherung fand im Gedicht nicht statt, denn Ironie und Glaube lassen sich nicht in Einklang bringen. Jetzt, mit 60 Jahren, traut sich Kolbe konkreter von Gott zu sprechen, ihn anzusprechen. Er tut das in Form von Psalmen, deren Adressat konsequenterweise ein alttestamentarischer Gott sein muss, der sich jedoch nicht mit Kolbes Erfahrung deckt. Vielmehr findet er das Göttliche im Naturerlebnis, wie er sagt. Ein Widerspruch, vielmehr eine Kluft, die hier entsteht und auch mit Rückgriff auf die Tradition der Psalmen nicht überbrückt werden kann.

Ich hoffe nicht, ich glaube nicht, rufe nur deinen Namen.

Ich wüsste gern ein oder aus, doch es kommen nur Buchstaben.

Kolbe will also einen Gott anrufen, an den er nicht glaubt. Dadurch fehlt seinen Texten die Richtung, was für den persönlichen Erkenntnisweg des Dichters zu verkraften ist, den Leser aber ratlos zurücklässt. Weltliche Psalmen sind es nicht. Teilweise sind es sogar mehr als Rückgriffe auf die biblischen Texte; Nachdichtungen und Repliken, könnte man sagen. In ihrer Haltung immer vorgetragen von einem Ich, schwankend zwischen Geist und Welt. Dagegen ist nichts einzuwenden. Allein der von Kolbe gewählte Modus für diese Suche erschließt sich nicht. Wenn er den 107., den 119., den 130. Psalm usw. nachdichtet oder nur darauf anspielt, hat der Leser davon erst etwas, wenn er die entsprechenden Bibeltexte daneben liegen hat. Kolbes Buch zwingt zur Doppel-, zur Parallellektüre. Und diese offenbart dem Leser wiederum zwei Dinge. Zum einen, dass Kolbes Sprache viel zu selten gegenwärtig ist, aber auch (natürlich) nicht an die des Bibeltextes heranreicht. Zum anderen, dass es sich bei diesem Buch wohl um ein sehr, sehr privates handelt.

Raus

Ich muss raus, raus, raus!
Auf der Insel das Haus,
meinesgleichen sind viele,
doch all was ich fühle:
Ich muss raus, raus, raus,
an den anderen vorbei,
hin zum Meer, einerlei,
nichts hält mich im Haus.
Will brüllen statt singen,
Wind soll mich wringen,
was ich bin, das will raus,
ohne Kopf, ohne Laus.
Meine Seele will springen,
sie muss raus, raus, raus!

Nicht selten ist der Inhalt seiner Psalmen geprägt von einer Sehnsucht nach Läuterung, sowie den ersten Gedanken ans Ende. Daran, dass es eines Tages im Wortsinne gut sein soll.

Nacht

Auch wenn ich schon das große Schloss
der Nacht betrete,
schlägt doch mein Herz,
dass ich noch bete,
es möge eines Tages friedlich stille stehen.
Noch kann ich's nicht,
doch lass mich, wenn es Zeit ist,
friedlich gehen.

Auffällig ist, dass je kürzer, je kleiner, je verdichteter Kolbe in diesem Buch vorgeht, desto größer wird der Raum des Textes und desto eher passt der Leser mit hinein. Am Können des Dichters Uwe Kolbe besteht kein Zweifel. Zu bezweifeln ist allein, ob seine Psalmen dem Leser etwas mitgeben, der sich nicht auf dem gleichen Weg der Suche und Erkenntnis bewegt wie er. Ganz zu schweigen davon, dass man in diesem Buch nichts über das Vermögen der Gegenwartslyrik hinsichtlich transzendentaler Erfahrungsebenen erfährt. Dafür stehen Kolbes Texte von Α bis Ω in viel zu starker Abhängigkeit von ihren biblischen Originalen.

Uwe Kolbe
Psalmen
S. Fischer
2017 · 16,00 Euro
ISBN:
978-3-10-001458-0

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