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Kritik

Wie macht man die Welt frisch?

Hamburg

Zygmunt Bauman ist mit 92 Jahren im Januar dieses Jahres verstorben. Ein langes Leben als Autor, Lehrer und vor allem als Zeitzeuge liegt hinter ihm. Kurz vor seinem Tod hat er dem Schweizer Journalisten Peter Haffner eine Reihe von Interviews gegeben, die nun gesammelt im Hamburger Verlag Hoffman & Campe vorliegen. Das Buch trägt den Titel Das Vertraute unvertraut machen und ist, wie viele Interviewbücher, eine zugängliche Mischung aus Privatem und Öffentlichem der Person Zygmunt Bauman. Es springt aufgrund der klugen Fragenstrategie Haffners gekonnt zwischen den beiden Polen hin und her und kann auch als eine Einführung in das Denken des großen Soziologen gelesen werden. Das Cover des Bandes ziert eine witzige Fotografie des Pfeife rauchenden, hellwachen Bauman, auf der nur seine Augen sichtbar sind und die in die Breite abstehenden Haare inmitten eines gewaltigen Ausstoß an Tabaknebel – wie ein verschmitzter Koalabär in etwa. Wie Bauman reagiert, wie er Haffner dazu nötigt, hart ins massenweise bereitgestellte Konfekt zu langen, wie er über seine Leidenschaft das Kochen redet, stellt ihn menschlich gesehen als offenherzigen, um kein Bonmot verlegenen Mann von Welt dar, mit dem man gerne mal in einem Zugabteil gesessen hätte. Verblüffend ist dagegen, dass fast sämtliche seiner Bemerkungen zu seinem Werk, seiner Weltanschauung und seiner Philosophie eine krass pessimistische, dem Leben an sich wenig zugeneigte Einstellung erkennen lassen. Zwar fehlt ihm der Zynismus eines Cioran, doch steht Bauman in dem Interview ihm wenig nach, wenn er auf sein Leben, seinen Beitrag zurückblickend, feststellt, dass er mehr oder weniger gescheitert sterben wird (der Satz fällt sehr oft), ohne die für ihn entscheidende Frage "Wie werden Worte zu Taten?" auch nur in Ansätzen geklärt haben zu können.

Bauman schrieb über 60 Bücher. Mehrere davon sehr einflussreich, vor allem im Zusammenhang mit den erstarkenden neo-marxistischen Bewegungen und den Globalisierungs- und Konsumismus-kritischen Organisationen jüngeren Datums. In Das Vertraute unvertraut machen ruft Bauman in Rückbezug auf seine eigenen Thesen zu weiteren Boykotten einer deregulierten, neo-liberalen Gesellschaft auf, die sich mithilfe u.a. des Internets rasend schnell zu Händen einer sogenannten Sicherheitsindustrie verändert und hauptsächlich scheitert aufgrund des bisher fehlenden Strategiedenkens, globale Probleme nicht ausschließlich lokalpolitisch lösen zu wollen. Haffner befragt Bauman zu Details und weitergehenden Ausführungen seiner Statements, und Bauman nutzt die Fragen dankbar zu klar formulierten, gut verständlichen Prognosen. Sie fallen in der Mehrheit düster genug aus, sodass das Buch deprimierend und hart ausfällt, wäre nicht Baumans eigenes "Prinzip Hoffnung", das er versucht gegenanzustellen wie ein nicht ausgehen dürfendes Feuer.

Haffners Fragenkomplexe berühren die Themen Liebe und Geschlecht, Erfahrung und Erinnerung, Judentum und Ambivalenz, Intellekt und Engagement, Macht und Identität, Gesellschaft und Verantwortung, Religion und Fundamentalismus, Utopie und Geschichte, Gegenwart und Zukunft und Glück und Moral. Sie sind auch gleichzeitig die Kapitelgliederungen des Bandes. Baumans Antworten sind teilweise überraschend, teilweise vorhersehbar und meistens gestochen scharf. Viele Sätze könnten morgen so oder so ähnlich auf Postkarten zu finden sein.

"Und warum probieren Sie diese wunderbaren Erdbeeren nicht? Dafür gibt es keine Entschuldigung!"

"Die Moderne ist nicht eine Ära des Genozids. Sie macht einfach moderne Arten des Völkermordes möglich. Dank Erfindungen wie der Fabriktechnologie und der Bürokratie, vor allem dank der Ambition, dass man die Welt verändern, ja auf den Kopf stellen kann..."

"Ich bin in dieser Sache (Zionismus) wirklich kein Optimist, ich ziehe es vor, nicht darüber nachzudenken, und in diesem Sinne bin ich sogar froh, dass ich bald sterben werde und das vermutlich tragische Ende dessen, was geschieht, nicht erleben muss."

"Haffner: Wichtig ist nicht, was wahr ist, sondern allein, was geglaubt wird.

Bauman: Da bin ich noch skeptischer als Sie. Wer die Wahrheit sucht, geht überhaupt nicht in die Politik. In der Politik geht es nicht um Wahrheit, sondern um Macht. Was dem Ziel dient, ist gut. Eine andere Politik gibt es nicht."

"Die Welt hat einen unerschöpflichen Gedankenvorrat, der immun macht gegen die Versuchung, sich auszuruhen."

"Ein Tag ohne Schreiben fühlt sich an wie ein verlorener Tag oder ein illegal abgetriebener Tag, eine vernachlässigte Pflicht, eine betrogene Berufung."

"Schauen Sie, ich habe eine Reihe von Fehlern gemacht, Fehler im Urteil, im Leben. Doch gab es eine Konstante. Ich wollte die Welt verbessern, und nun bin ich mit einem Bein im Grab, und ich finde, die Welt ist nicht besser. Was bedeutet, dass meine ganz Lebensarbeit nirgendwohin führte."

"Ideen starten ihr Leben als Häresie, führen es fort bis zur Orthodoxie und enden im Aberglauben. Das ist das Schicksal jeder Idee in der Geschichte."

"Georg Simmel ist ein Soziologe für die Soziologen [...] Von ihm lernte ich die Kunst der Soziologie. Der Stil meiner eigenen Soziologie ist eine Nachahmung, eine inferiore Imitation seiner Soziologie, der Herangehensweise an ein Problem."

"Gramsci definierte das Interregnum als eine Periode, in der alle Arten, etwas zu tun, nicht mehr funktionieren und die neuen noch nicht erfunden sind. In dieser Situation sind wir heute. Alles was wir wissen, ist, dass weder der Staat noch der Markt fähig ist, den Schaden zu beheben, den sie selber verursachen. Sie brauchen beide etwas, das sie im Zaum hält, so viel ist klar. Aber was das sein soll, wissen wir nicht."

"Wenn ich in Kürze sterben werde, weil ich ein sehr alter Mann bin, werde ich unerfüllt und unglücklich sterben. Weil es eine Frage gibt, mit der ich gerungen habe, um eine überzeugenden Antwort zu finden [...] Wie macht man die Welt frisch? [...] Ich habe keine Zeit mehr."

"Das Argument der Religion, das aus dem Ungenügen des Menschen an sich rührt, wird zum Argument von Individuen und Netzwerken, ihr eigenes Ungenügen zu überwinden. Das ist der Kern des Fundamentalismus."

"Was ich damit sagen will, ist nur, dass es dieses Gefühl, es gebe eine Kraft, ein höheres Wesen, einen Gott einen rationalen Grund hat. Wir haben Grenzen des Verstehens [...] Ich wiederhole: Gott wird sterben, aber mit ihm wird auch die Menschheit sterben."

"Ungewissheit ist, ich kann es nicht oft genug sagen, das natürliche Biotop unseres Lebens. Auch wenn die Hoffnung, sie in ihr Gegenteil zu verwandeln, der Motor unseres Glücksstrebens ist."

Mit Zygmunt Bauman stirbt ein großer Intellektueller. In Das Vertraute unvertraut machen lernt man ihn als einen humorvollen, bescheidenen Menschen kennen, dessen lebenslange Beschäftigung mit dem Denken ("Denken wie Schwitzen") ihn in eine kritisch-schwere Weltanschauung gebracht hat, deren kapitalistisch-fundamentalistische Dämonen zu geißeln er nicht müde geworden ist. Interessanterweise entlarvt er sich selbst als einen unsinnlichen Menschen (abgesehen von Gaumenfreuden), der aus der rein geistigen Domäne nicht fortzubringen war.

"Ich habe keine touristische Ader, kein Interesse, irgendwohin zu gehen, um meine Neugier zu befriedigen. Vor allem nicht, seit ich fast alle Kunstgalerien des Planeten im Internet besuchen kann, ohne wertvolle Zeit im Nirgendwo von Flughäfen zu verbringen."

In dem Band stecken viele Anregungen, sowohl beunruhigende wie auch luzide Praxeologien. Er ist angenehm zu lesen und bei seiner Kürze sicher keine erschöpfende Beschäftigung mit dem Universum Baumans, aber ein brillanter und aktueller Einstieg.

Zygmunt Bauman · Peter Haffner
DAS VERTRAUTE UNVERTRAUT MACHEN · Ein Gespräch mit Peter Haffner
Hoffmann & Campe
2017 · 192 Seiten · 20,00 Euro
ISBN:
978-3-455-00153-2

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