Bei Sonnenuntergang über die Allgemeinplätze
"13 Autoren und Autorinnen der Berliner Lyrikgruppe G13, die sich daran macht, die neue deutschsprachige Gegenwartslyrik mit einer Feuer-Infusion zu entfachen..." So klang es im September etwas pompös-pyromantisch im Ankündigungstext des Berliner Verlagshauses J. Frank zur elften Ausgabe der Belletristik (Zeitschrift für Literatur und Illustration), so als ob die deutschsprachige Gegenwartslyrik, die nicht zuletzt im Verlagshaus J. Frank mit großem Idealismus und vielen sich etablierenden jungen Lyrikern verlegt wird, einen Schwächeanfall erlitten habe. Das war dann eher unfreiwillig komisch. Doch können die dreizehn publizierten Autoren und Autorinnen ja erstmal nichts für solch alberne Waschzettel, und wenn man den Ball ein wenig flacher hält und das Rad der jungen deutschen Lyrik nicht immer gleich auf ein Weiteres neu erfinden will, hat man vor sich eine zweiundsiebzigseitige Lektüre aktueller Großstadtlyrik. Die Idee der Herausgeber, in Zeiten, da die meisten Literaturzeitschriften zunehmend mit Themenvorgaben wie „Inseln“, „Traum“ oder „Kindheit“ versuchen, Lyrik und Prosa an den Leser zu bringen, einfach mal einem jungen Berliner Lyrikzirkel namens "G13" in Gänze ein literarisches Podium zu verschaffen, ist ja auch nicht schlecht.
Auf dem Titelbild der Zeitschrift empfängt uns, gezeichnet von Oliver Hummel, im Vordergrund eine Gestalt mit Feuerkopf, in eine Art Harry-Potter-Umhang gehüllt, deren Blick, leicht indifferent, an die Zwergen- oder Cowboygestalten in David-Lynch-Filmen erinnert, während im Hintergrund weiterer Feuerregen - oder sind es Götterfunken? - einige Tannen sanft, abgeschirmt und undramatisch in Brand setzt, als ob nichts wäre. Genau diesen Eindruck vermitteln auch die circa fünfzig lyrischen Texte: eine Business-as-usual-Kritik an den gegenwärtigen europäischen, inneren und äußeren Katastrophen, an die man sich aber eigentlich schon gewöhnt hat, gesammelt urban. Die unterschiedlichen lyrischen Temperamente, denen jeweils, großzügig und liebevoll illustriert, etwa drei bis vier Texte zugestanden werden, zeigen sich innerhalb des Zeitgeistes des Zeitgeists müde, und der von der Mehrzahl der Autor/innen angestrebte kritische Diskurs um Kultur und Kapitalismus, Wirtschaftssystem, Integrationsdebatte und romantischer Liebe arbeitet sich deswegen gleichzeitig auch im Überdruss an eben dieser kritischen Auseinandersetzung ab. Den meisten Gedichten, kommt einem sofort der Verdacht, haftet zunächst einmal die Sorge an, als Betroffenheitslyrik missverstanden zu werden, weshalb sie eine eventuell aufkommende leidende Selbstreflexion geradezu inflationär mit lässigen Anglizismen abzustreifen und aufzulockern sich bemühen. Bemerkenswert zuallererst ist dann ausgerechnet das allerletzte Gedicht in der Zeitschrift: Die gelben Kühe von Linus Westheuser, dem es in unabgenutzten surrealen Bildern gelingt, eine vergangene Schulhofidylle so zu erschaffen, dass ihr etwas Märchenhaft-Böses anhaftet und die Erinnerung daran in eine bedrohliche Ruhe gepresst wird. Auch die rätselhaften, verknappten Gedichte von Max Czollek hinterlassen zusammen mit den Illustrationen von Guglielmo Manenti einen nachhaltigen, starken Eindruck. Deren Symbiose funktioniert so gut, dass man sich übrigens gar nicht so sicher ist, wer hier wen illustriert, Text und Bild werten sich gegenseitig auf das Schönste auf. Dagegen fühlt man sich von den quantitativen Binnen- und Außenreimspektakeln eines Tristan Marquardt oder Ilja Winther als Lyrikleser eher unterfordert. Diesen im Hip-Hop oder Poetry-Slam wurzelnden Texten mit ihrer typischen Wortakrobatik fehlt hier einfach die für sie charakteristische akustische Dimension, und vielleicht wäre überhaupt der ganzen Heftausgabe - neben einer Seite mit kurzen Biografien zu Dichter/innen und Illustrator/innen - eine CD-Beilage zu wünschen gewesen, zumal die gesamte Lyrikgruppe sich jüngst auch auf Tournee begeben hat und also sowieso zur Performance neigt. Nachgerade stellvertretend für die Stimmung, die die gesamte Lektüre hinterlässt, erscheint die erste Strophe des Gedichts Komm folge mir von Lea Schneider:
komm folge mir, wir tanzen bei sonnenuntergang
über die allgemeinplätze, zitieren uns meinung
in den kanon und retardieren endlich weiter
gen fernwest: erinnerungsort einer generation,
die wir nie gewesen sind, aber an der oberfläche
der dinge lässt es sich gut aushalten und erlösung
ist ja ehrlich gesagt auch nicht so spannend
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