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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Zauberkraft des Dorfspiels

Hamburg

Urs Engeler und der Folio Verlag veröffentlichen gemeinsam einen dreisprachigen Gedichtband des italienischen Autors Andrea Zanzotto.

Die Auswahl der Gedichte aus verschiedenen Schaffensperioden Zanzottos  orientiert sich laut Klappentext an seiner Auseinandersetzung mit Gewalt und Krieg sowie „einer nicht eroberten Welt.“ „Ein kleines Buch außer der Reihe“ heißt es im Untertitel  und diese Bezeichnung bezieht sich auf die Tatsache, dass die beiden Verlage im Rahmen des großen Projektes „Planet Beltá“ , eine Werkausgabe von insgesamt neun Bänden planen, von denen bereits vier erschienen sind. Herausgeber und Übersetzer sind Donatella Capaldi, Maria Fehringer, die inzwischen gestorben ist, Ludwig Paulmichl und Peter Waterhouse.

Ein kleines Buch außer der Reihe also, und vielleicht kann man diesen Band auch als eine Art Zwischenbilanz dieses ambitionierten Vorhabens ansehen. Denn zum einen stammen die Gedichte aus Zanzottos Gesamtwerk und zum anderen lässt uns Peter Waterhouse in einem langen Essay in die Werkstatt der Übersetzer blicken.  An zahlreichen Beispielen zeigt er Probleme und Lösungsmöglichkeiten bei der Übertragung von Zanzottos Gedichten in eine andere Sprache.

„So sehr Andrea Zanzottos Dichtung als schwierig gilt, sogar als dunkel, so viele Lichtpunkte, Aufhellungen und Schnee gibt es in ihr“, schreibt Waterhouse in der Einleitung zu seinem Essay. Und erörtert an dem Gedicht „Oltranza Oltraggio“,  dass es kein eindeutiges „parlar nostro“ geben kann. Im englischen Teil des Buches (leider nicht im deutschen) wird diese Aussage an drei verschiedenen Übersetzungen belegt.

Die Schwierigkeit von Zanzottos Dichtung, von der Waterhouse spricht, hängt damit zusammen, dass seine Lyrik oft einen direkten inhaltlichen Zugang erschwert.Die Gedichte entziehen sich Objekten und Begriffen, verlassen bekannte Bezüge und sind primär der Sprache verpflichtet. Dabei beschreibt er rätselhafte, scheinbar sinnlose Zusammenhänge, gibt Lauten und erfundenen Wörtern Raum. 
Und doch gibt es auch die andere, die konkrete Ebene: Die Landschaft seines im Veneto  in der Nähe von Treviso gelegen Dorfes Pieve di Soligo, in dem er 1921 geboren wurde und die meiste Zeit gelebt hat. So beschreibt er  in dem Gedicht „Euganäen“: „Erscheinung, ganz und gar a-real, dreier Konusse oder Pyramiden / wie man sie zuweilen sieht an der Südseite der Euganäischen Hügel bei / Este Richtung Vo. Gestalten aus körnigem Grün aber fein un-  / ter dem blassblauen Himmel.“ Dazu gibt es sogar eine gezeichnete Skizze. In der nächsten Zeile fährt er fort“ Wahre Götter der Zahl 3, neun –Seiten, eine zuunterst, ver-  / bunden mit den andere. In der zweiten Strophe wird das „Geometrische Geschehen / überraschend  trügerisch / inmitten zahlloser Winke im topologischen Dickicht“  und diese italienischen Hügel werden zu den hinduistischen Timurti, den Göttern Brahma, Vishnu und Shiva, die für Erschaffung, Erhaltung und Zerstörung zuständig sind.

Auch „In meinem Dorf“ kann man die Umgebung des Dichters sehen. „Von meiner Rückkehr glitzern die Fenster / und die Äpfel bei mir zuhaus, / die Anhöhen sind die allerersten / im tropfenden Ziel der Himmel“.  Einen völlig anderen Ton schlägt er in dem titelgebenden Gedicht an. „Das Dorfspiel. Zauberkraft.“,  lautet die erste Zeile und der Ausdruck von Hegel wird auch im italienischen Original zitiert: „La contrada. Zauberkraft.“ In diesem Gedicht hat das Dörfliche nichts Erbauliches. „Es braucht alle Zauberkraft / von welcher Hegel sprach / wie von etwas über das er was wusste / zu glauben, das Dorfspiel würde pausenlos / neu gemacht in Geistesblitzen, Blinzeln/ Nächte lang und Tage um und um geformt von jenen stachlig unaussprechlichen / Sonnen, Wissen, Finsternissen, Frieden, Schreien-Quietschen“. Auch in diesem Gedicht  kann man  sehen, wie Zanzotto trotz konkreter Gegenstände rätselhaft bleibt: Linnen darin / die Stuben darin / das Schalten das Geschreibsel darin / die Dochte die Rotztröpfchen darin / wir –ich                               verflüchtigen / oder geradezu in feinsten Äther“. Dieses Gedicht ist ein gutes Beispiel dafür, dass Zanzottos Zeilen, Zeilenbrüche Rhythmen wild durcheinandergehen. Kurze Zeilen folgen auf sehr lange, Wörter werden am Zeilenende getrennt und er verwendet Leerstellen.

In drei Gedichten beschäftigt Zanzotto sich mit dem 25. April. An diesem Tag gedenkt Italien dem  Ende des Krieges und der Befreiung vom Faschismus, dem deutschen und italienischen. Diese Gedichte, in denen sich der Dichter „gegen das rituelle Selbstauskotzen jeder Geschichte“ sträubt, sind besonders bitter, denn er schreibt „die Vernichtung ist immer und überall aktiv / nie hat es Waffenstillstand gegeben nach dem heroischen Notfall“.  Über den Einfluss der Geschichte und der Umweltzerstörung auf Zanzottos Dichtung schreibt auch  die Herausgeberin Donatella Capaldi in ihrem Essay „Die Gespenstige Gegend“. „Die Dichtung Zanzottos trägt auch jeden der Schläge in sich, die man  dem ‚Körper‘ der Landschaft zugefügt hat. Etwa die lange Narbe der Beinhäuser auf dem Montello, der aufgedunsen ist von Blut und Pflanzensekret, zwischen den von der Geschichte unterbrochenen Waldwegen im Unterholz und den Dörfern in der Ebene, die im Zuge der Vergeltungsmaßnahmen 1944 verbrannt wurden.“

Zum Schluss noch ein paar Beispiele für Zanzottos lautpoetische Gedichte, die Nonsensewörter beinhalten und für die Übersetzer keine leichte Aufgabe darstellen. An dem folgenden Gedicht wird auch deutlich, dass  Zanzotto häufig Nomen aneinanderreiht: „  Nel giocattolato fresco paese, giocattolo circo. / Piccolissimo circo. Linguine che lambono. Inguini . Bifide / trifide bandiere, battaglie. Biglie. Bottiglie.“ „Im grünen Spielzeughäuschen, Zirkus Grünzeug. / Winzigstes Bezirkchen. Zünglein lecken.  Rippchen. Gelappt / gezahnt Blätter, Battaillone. Ballone. Ballistik.“

Und in dem Gedicht „Gnessulógo“, auf deutsch „Nirgnver“ spielt er mit den Wörtern nessunluogo/ nirgendwo.  

Im (venezianischen) Dialekt sah Zanzotto eine unverfälschte, unverbildete Sprache: „ Ancó squasi’l tas al marcà , was hochitalienisch „Oggi quasi tace il mercato“ hieße und ins Deutsche mit „Haint isch dr Morkt schtumm“   (ein wenig schweigsam ist heute der Markt) übertragen wurde.

Zanzottos Lyrik ist tatsächlich ein Planet, der nicht ganz leicht zu erobern ist. Aber dann lässt man sich gern auf ihm nieder.

Andrea Zanzotto · Literatur Lana (Hg.) · Urs Engeler (Hg.)
Dorfspiel
Ein kleines Buch außer der Reihe
Aus dem Italienischen von Donatella Capaldi, Maria Fehringer, Ludwig Paulmichl, Peter Waterhouse Mit Beiträgen von Donatella Capaldi und Peter Waterhouse
Folio
2014 · 160 Seiten · 19,90 Euro
ISBN:
978-3-85256-633-7

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