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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Lebenskunst in Provisorien: ARAMIS

Hamburg

Wenn man heute das Wort Lebenskünstler gebraucht, so haftet ihm leicht das Fatale an, das Herder am Gebrauch des Wortes menschlich mißbehagte – ARAMIS war ein Lebenskünstler und „gesamtkunstwerker”, aber natürlich nicht in diesem Sinne. Er war in einem universellen Sinne „eigen-sinnig”, nicht in dem einer Schrulle.

Dieser Eigensinn beginnt mit dem Namen, ARAMIS, das bezieht sich auf Alexandre Dumas’ Figur, die angelehnt an die historische Gestalt Henri d’Aramitz diese zu einem „traumtänzer zwischen weltlichem und geistigem verlangen” – und auch: geistlichem – destilliert zeigt; ähnlich ist ARAMIS das Destillat Hans Peter Sagmüllers, als der er geboren wurde, und den er als Regisseur und Hauptdarsteller seiner Existenz, wie Staudinger schreibt, doch nur jenseits solcher Fremdzuschreibung finden konnte.

Zugleich verschrieb sich ARAMIS; und ihm verschreibt sich im vorliegenden Band Andreas Staudinger, der ihn in seinem Schaffen begleitete und hier nun einen Teil dieses Werks erschließt. Verschreiben: ARAMIS richtete sich in Heimaten ein, die er erweckte, die er zu Heimaten machte, was durchaus nicht Behaglichkeit meint, sondern Geschichtlichkeit und Gedächtnis: „Heimat ist dort, wo die Dinge Geschichten haben.” (U. Baatz) Statt Geschichte in der Tat „geschichten”: ARAMIS’ Werke sind museal in diesem Sinne, Fragen nämlich an die vielen Geschichten und ihr Fortleben im Eingedenken. Die „präsenz vieler lebendiger geschichten” wünschte ARAMIS sich, und er machte sie allenthalben an den von ihm in mehr als einem Sinne belebten Orten wieder lesbar, insofern autonom (auch als Lesender, der zunächst diese materiellen Legenden eben aufliest), aber keineswegs subjektiv oder egozentrisch – dies nicht einmal im Gestus der „selbststilisierung [...] angelehnt an herrscherporträts der renaissance” – , und hierin ist jener Eigensinn gleichfalls nun lesbar und mit einem Wort ein Lebenswerk.

Dieses Werk ist also nicht isoliert, es interveniert. Reduzierbar auf eine konsumierbare Kunst (?) ist es nicht: „für diese leute will ich keine kunst machen”, heißt es bei ARAMIS, als er sich dezidiert für die Kunst entscheidet, also nicht eine – die sich merkantil inszenieren ließe. Sein Eigensinn war und ist der seiner Werke. Es hätte auch der seiner Volkskunst sein sollen, ARAMIS hoffte auf eine Kunst durch und nicht für das Volk, dieses sich finden lassend und nicht versorgend mit dem, was es zu brauchen durch solch falsche Volkskunst vermeinen mag. Der Künstler, der hier durch sein Werk porträtiert wird und von diesem auch kaum getrennt sich denken ließe, wußte nicht, was er brauche, und zwar dies geradezu als Programm wider das Fertige: „mir ist, als wüsste ich noch kaum etwas. als lernte ich erst jetzt.”

Das gilt fürs Zukünftige noch des Gewesenen: „dass erinnerung ein prozess ist, der [...] nur durch kontinuierliches bemühen am leben erhalten werden kann”, dies spricht aus diesem Werk. Man kann meinen, Erinnerung sei so fetischisiert – doch wenn sich Existenz nicht beliebig gestalten soll, als Spielball von Instinkten und ihrer trügerischen Autonomie einerseits sowie andererseits den bloß offenkundigeren Heteronomien, die sich schließlich auch der vorgeblichen Natur annehmen, dann zeigte und zeigt ARAMIS, wie sich noch leben ließe.

Darum sei Staudingers Buch empfohlen; durchaus mit dem Hintergedanken, es, so gut es auch gelang, vor allem als Anstoß zu nehmen, sich auf die Spuren ARAMIS’ zu begeben, mit jenem selbst „die bücher von gestern in die taten von heute zu verwandeln”, was ja gerade Zeugnisse dieses Künstlers nicht ausnehmen kann; mit Paul Celan:

„Lies nicht mehr - schau!
Schau nicht mehr - geh!”

Andreas Staudinger
Baustellen
Über den Ruinenbaumeister und Gesamtkunstwerker Aramis
Leykam
2012 · 25,00 Euro
ISBN:
978-3-7011-7808-7

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