Schwitzende Gespenster
Einer der 20 Romane auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis in diesem Herbst ist „April“ von Angelika Klüssendorf. Bereits der Vorgängerroman der Autorin „Mädchen“ hat es 2011 sogar auf die Shortlist des Preises geschafft. Was soll man da noch viel schreiben über eine Autorin, die im Literaturbetrieb oben angekommen ist, hochgelobt, kürzlich bekannt wurde auch, dass sie im Oktober mit dem Hermann-Hesse-Preis ausgezeichnet wird. Irgendwie schreibe ich lieber über Autoren, die unbekannter sind, die es nie auf irgendeine Liste schaffen, weil ihre Verlage dafür zu klein sind. Und die auch gut sind. Die Verlage wie auch die Autoren.
Aber ich bin selber schuld, habe den Roman aus Neugier bestellt und vor dem Preisregen. Neugierig war ich auf eine Autorin, von der bekannt war, dass ihre Romane autobiografische Züge tragen, die aus einem schwierigen Milieu stammt, eine Kinderheimkarriere hinter sich hat und die DDR. Hätte ich da allerdings schon gewusst, dass sie später mit dem FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher verheiratet war, wäre meine Neugier wohl sofort versiegt.
„April“ ist der Name des „Mädchens“ aus dem Vorgängerroman, den sie sich selber gegeben hat. Nach dem gleichnamigen Song von Deep Purple. Darin heißt es: „Maybe once in a while I'll forget and I'll smile". Das Vergessen und das Lächeln ist Aprils Problem. Sie ist 18 Jahre alt und wird aus dem Heim entlassen, bekommt eine Untermietswohnung bei einem Fräulein Jungnickel und eine Büroarbeit in einem Betrieb. Beides fördert ihre Aggressivität nach innen und außen bis zu einem Selbstmordversuch. In den Mitpatienten in der Klinik findet sie Menschen, die zweitweise ihr Interesse wecken, die sie spüren lassen, dass auch sie ein Mensch ist. Doch sobald Zuneigung entsteht, ist April auf der Flucht, vor der Nähe, vor sich selbst. Dennoch schafft es der Arzt, sie in einem geschützten Raum unterzubringen, in einem Ethnologischen Museum. Dort begegnet sie Menschen, denen sie erzählen kann, dass sie Gedichte schreibt, Menschen, die ihrem intellektuellen Hunger Bissen reichen können. Sie lernt Hans kennen, einen Choreografen, bekommt ein Kind von ihm und mit ihm stellt sie einen Ausreiseantrag. Mitte der 1980er Jahre verlassen sie gemeinsam die DDR und lassen sich in Westberlin nieder. Auch dort ist April nicht glücklich, sie trennt sich von Hans und überlässt ihm gern, wenn auch mit schlechtem Gewissen das Kind. Schreibt morgens, putzt mittags und geht nachts auf die Piste, vor allem zum Trinken, später auch zum Koksen.
All das ist nicht neu. Auch nicht, dass am Schluss des Romans eine Art Erlösung aus dem Teufelskreis wartet, ein Literaturstipendium, das April Sicherheit und ein wenig Selbstgewissheit gibt.
Was dennoch den Roman lesenswert macht, ist die Aggressivität der Protagonistin April. Ihre Rebellion gegen alles, vor allem sich selbst. Eine schöne Stelle ist, als sie in der Tschechei zu einem Kuraufenthalt ist und einfach hofft, dass ihr abgemagerter Köper, den sie hasst, aufgepäppelt werden soll. In diesem Moment der Zuversicht erreicht sie die Nachricht, dass sie ausreisen darf und sie ist enttäuscht, dass es nichts wird mit dem Aufpäppeln.
Ihr Misstrauen gegen die Oppositionsbewegung der DDR, in die sie hineinwächst, ist wohltuend. In ihrem Hunger nach Sinn findet sie eine Möglichkeit über eine Untergrundmappe, die sie gemeinsam mit einer Gleichgesinnten in Kleinstauflage realisiert hat und die sie sogar mit in den Westen schmuggeln kann.
Was sie vergessen will, die prügelnde sadistische Mutter, die ihre Kinder allein in der Wohnung verwahrlosen ließ, den saufenden Vater, dem sie nur Gutes tun konnte, indem sie ihm das Bier besorgte, sie sind nicht weg, als April in Westberlin ist, sie bleiben schwitzende Gespenster, von denen sich April, so die Aussicht am Ende des Romans, nach und nach losschreibt. Nach dem Tod des Vaters erhält sie einen Brief mit Zeichnungen und Fotos. Erstaunt sieht sie auf einem der Fotos ein Lächeln in dem Gesicht des Kindes, das sie einmal war.
Eine Gefahr sehe ich dennoch in dieser Art autobiografischer „Losschreibe-Literatur“. Schon in Peter Wawerzineks „Rabenliebe“ gab es ein ähnliches Setting, er gewann 2010 mit einem Ausschnitt aus dem Roman seiner Kindheit mit mehreren Adoptionen und vielen Kinderheim-Aufenthalten den Ingeborg-Bachmann-Preis. Die Leser lieben das Authentische, die „wahre Geschichte“, die ja auch in letzter Zeit das Fernsehen für sich entdeckt hat. Die furchtbaren Kindheitsgeschichten, beide in der DDR angesiedelt, die im Kinderheim enden, scheinen in ihrer Doppelung (möglicherweise gibt es noch mehr) zu vermitteln, dass die Intellektuellen mit DDR-Wurzeln aus Kinderheimen kommen und dass den Familien in der DDR sadistische Mütter und saufende Väter vorstanden. Es ist sowohl in Klüssendorfs als auch in Wawerzineks Geschichte absolut bewundernswert, dass sie für ihren intellektuellen wie seelischen Hunger Nahrung und Linderung im Schreiben fanden. Aber es wäre eine unzulässige Verkürzung daraus zu schließen - so waren Familien in der DDR.
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