Anzeige
Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
x
Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Keine Küsse und ein gemeinsamer Platz

Ein Schlachtfeld, Torsi und abgeschlagene Köpfe liegen herum oder sind auf Stäben aufgespießt. Gelb, schwarz und rot durchkreuzt sich das. Ein Beil liegt auf dem blutgetränkten Boden hinter einer Kriegerin, die lächelnd einen Stock in der Linken stemmt, auf dem ein knubbelnasiger Kopf mit weit aufgerissenen Augen in die Gegend starrt.

Mit diesem dreifarbigen Linoldruck als Frontispiz empfängt uns der Gedichtband von Anna Hoffmann „und ungeküßt zurück“, der 2007 als laufende N° 3 der Reihe „Linolschnecken“ in der Berliner Corvinus Presse erschien. Illustriert mit rumpelstilzigen, holzmarionettenartigen Wesen ein- und mehrfarbig im Linoldruck von Zoppe Voskuhl, einem Berliner Künstler, der in seiner Malerei gerne „große Männer kleinhackt“, halbiert, durcheinander- und ineinanderschmeißt. Sehr eigensinnige Bilder und auf ihre Art auch wundervoll. In diesem Band sind sechs Linolschnitten vertreten (dabei einer als Doppelseite), alles Originalabzüge in der auf 130 Exemplare limitierten, numerierten und signierten Auflage.

Ähnlich eigenartig und kurios sind die enthaltenen Gedichte, von Anna Hoffmann, die schon einmal mit ihrem Band „pandoras box“ in der Parasitenpresse zu überraschen wußte. Skurile Bilder, seltsame Assoziationsketten. Alles in Kleinschreibung ohne Punkt und Komma – das läßt natürlich viel Raum für Beziehungsebenen. Anna Hofmann nutzt diese Ebenen ausgiebig, montiert und nutzt Sprungbretter, wirbelt wortfroh durch die Luft, und beschließt ihre artistischen Figuren und Einlagen auch mal mit dem einen oder anderen Reim.

leiber

sie ist ihm in die hände gefallen
nun reißt er ihr den kopf ab
so gekonnt und zärtlich
mit der innenseite seiner rechten hand

mit der linken greift er durch
bis sie nicht mehr aufhört zu schreien
sie stößt ihm die zunge ins herz
ungläubig faßt er nach
bricht es wie ihre knochen

sie lacht dann steht sie wieder auf
und er frißt aus ihren augen
liebesschwüre wie austern
dieses lebendige salz

Zwei durchweg eigensinnige Wege treffen sich für einen Moment und verbreitern sich, breiten sich aus zu einem Platz, auf dem man staunend umherblickt und lauscht, wobei die lyrische Stimme ein wenig von der ganz archaisch kraftvollen grafischen übertönt wird. Aber das anscheinend Leisere ist deswegen nicht das weniger Geglückte. Anna Hoffmanns Gedichte haben große Raffinesse und ein sicheres Gespür für das Überraschende. Und Fährten legen sie, die unsre Tritte klappern machen.

Ein wunderbar verspieltes Buch in der bekannt schönen Gestaltung der Corvinus Presse, handgesetzt und fadengeheftet. Ein Buch für Entdecker, Leser und Betrachter, die gerne ihre Phantasie mit Unkonventionellem füttern. Kaum zu glauben, daß Hendrik Liersch, der Verleger, es bis vor nicht allzu langer Zeit nicht für nötig hielt, die Corvinus Presse auf einer eigenen website zu präsentieren. Sie gehört zweifellos zu den interessantesten Buchkunst-Kleinverlagen, die wir in Deutschland haben., liegt doch die Grundmotivation von Hendrik Liersch im Entdecken sowohl vergessener als auch neuer literarischer Stimmen. „Die 100. bibliophile Ausgabe von Bachmann-Gedichten zu machen, dafür hat sich der Ein-Mann-Verlag niemals interessiert. Da bringt Liersch lieber Gedichte ihrer Freundin Christine Koschel heraus, die hierzulande zwar als Bachmann-Herausgeberin, kaum jedoch als Lyrikerin bekannt ist.“ (Florian Neuner im STEINSCHLAG) Das ist nur ein Beispiel. Gedruckt wird übrigens auf einer gut 90 Jahre alten Presse in einer Werkstatt, in der schon V.O. Stomps in seiner Rabenpresse (viele kennen ihn vielleicht noch als späterer Gründer der Eremitenpresse, die aus der deutschen Nachkriegsliteraturlandschaft kaum wegzudenken ist; ein Preis wird ihm zu Ehren zweijährlich auf der Mainzer Minipressen-Messe vergeben) bereits in den dreißiger Jahren seine bibliophilen Kostbarkeiten schuf.

Anna Hoffmann
und ungeküßt zurück
Illustration: Zoppe Vosskuhl
Corvinus Presse
2007 · 20 Seiten
ISBN:
978-3-910172968

Fixpoetry 2009
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge