Kritik² · Scott übt hoffentlich noch
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Man gestatte mir einen Umweg: André Heller war 2016 wieder einmal ein Medienereignis. Sein neues Buch, von einem gründlich Befangenen, der das auch konzedierte, gelobt, so fing es diesmal an:
„Ich bin befangen, sogar sehr. Im Frühling 2015 gab mir André Heller den Text seines Romans, an dem er zehn Jahre gearbeitet hatte. Er wollte von mir wissen, ob das Manuskript etwas tauge. Und zwar schonungslos. Verständlich, dass er mir solche Brutalität zutraute. 1981 habe ich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen Band von ihm verrissen.”
Aber, hach:
„Weil ich von der Qualität dieser 330 Seiten völlig überzeugt bin, habe ich sie in Richtung des Zsolnay-Verlags bugsiert (der naturgemäß auch der meine ist) und werde sie gemeinsam mit dem Verfasser im Burgtheater präsentieren. Kann ein Rezensent parteiischer sein? Kaum.”1
Und nach diesem Manöver wurde das Buch vielleicht auch darum von Unbefangenen gezaust, so wurde in der Kritik vom Spektakel zum Meta-Spektakel, wobei eine Zeitung zur Kritik gar eine Gegenrezension gebracht hat, „die eigens eingeführte Form einer Rezensionsreplik” sollte wenigstens hier die Vorbehalte der Kritik „abfedern”, so Daniela Strigl, deren Erwiderung auf die Replik Weinzierls, des Befangenen, und zwar auf Nüchtern vom Wiener Falter und eben genau da, nun wird es unübersichtlich, aber nicht gebracht wurde. Immerhin ist die Rezensionsreplikkritik nun bei Volltext zitatweise zu lesen ist, wobei Strigl, sonst abwägend und genau, hier auch nicht mehr ganz sachlich argumentierte, nämlich, da Heller von Ulrich Weinzierl „äußerste Genauigkeit” attestiert worden war, von dessen Graf Eltz aus besagtem Buch bemerkte, daß da „doch dessen famoser Graf Eltz etwa mit einem falschen Nestroyzitat”2 ihr offenbar ungut auffiel.
Da eben dieser Graf als großer Unkonventioneller eingeführt wird, mit Sätzen wie dem, daß zwar „auch in Österreich das Richtige” geschehen könne, es aber, wenn es denn geschehe, dann doch „leider fast immer unabsichtlich” eher passiere, als einer, der „im Ersten Bezirk mit Eispickel, Steigeisen und Seil Kletterübungen” „an der Barockfassade seines Wiener Palais” absolviert, ist es vielleicht nicht klug, an diesem das Ungenaue Hellers zu monieren, das vielleicht auch das Genaue der Charakterzeichnung ist, denn sich diesen Adeligen, der von sich sagt, daß ihn der Tod vergessen zu haben scheint, aber im Unterschied zum Alter, beim Recherchieren von Zitaten vorzustellen, das fällt schwer...
Ist also das Zitat, mit dem sich der Graf verabschiedet, er wolle, „wie der kluge Nestroy gesagt hat, einen Strick kaufen” und sich „damit erschießen”, dem am ähnlichsten das Wortspiel Nestroys sein dürfte, wonach dessen Lips „so im Schuß ein Testament” aufsetzt, aber dabei „der Schuß zum Erschießen vergangen” sei, ein gutes Argument? – Vielleicht hülfe es, durchzuatmen...
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...und darum geht es hier, nicht um Hellers Buch, worin übrigens jede Figur ein wenig wie Heller klingt und es an Esoterik nie fehlt, das aber auch nicht richtig schlecht ist, eher die Art von Buch, zu der man sich ohne den Kontext nicht äußerte.
Und zwar soll es darum gehen, ums Durchatmen: die Reflexion, was Kritik sein könne und Literatur sein solle – weil nun über die Kritik und deren Kunst ein Buch vorliegt: Kritik üben. A[nthony] O. Scott führt darin in die Paradoxie ein, daß der Kritiker nicht könne, was er an anderer Werk diskutiert („ein gescheiterter Schriftsteller”), vor allem aber eine Instanz dessen, des das Werk vollbringt, nur verkörpert, weiß doch jedes Kind, daß es, so gerne es gelobt wird, Maßstäben ausgesetzt werden muß, damit dieses Lob nicht bloß Ermutigung ist, sondern zählt – und dieses Lob ist dann immer auch eben das Risiko, schlecht gefunden zu werden, ob nun rechtens oder fälschlich. Diese Zustimmung sucht übrigens, während sonst nicht gegendert wird, nur “(j)edes kleine Mädchen”, da darf man sich auch seinen Reim darauf machen.
Kritik: Die regt dann vor allem an, wo verschiedene Ansichten kollidieren: „Am besten gedeiht die Literatur [...] immer in einer Atmosphäre beherzten Streits”, zitiert er zustimmend, aber warum das nun so sei, bleibt unklar. Kritik sei immerhin auch die Kunst schon, so Steiner, aber dessen Position sei „eine steife, pseudo-germanische Form der Feststellung”, warum das nun wieder so sei, erfährt man auch nicht, aber die Etikettierung hat etwas Absurdes. Dann geht’s um Sampling, das „Praktiken [...] des Zunickens und Zublinzelns” umfasse, dazu name dropping, und zwar bis in die wiederum unbegründete Feststellung, daß Avengers: Age of Ultron schlecht sei, aber wert, dann mehrfach erwähnt zu werden, Homer übrigens nur einmal, wobei sich Scott den Film betreffend wesentlich darüber empört, daß 74% Zustimmung und das Wort „»Megacool!«” für manche ein Urteil begründen sollen – als hätte er dazu in diesem Buch viel mehr gesagt.
Stattdessen zuletzt zwei Seiten Dank an all jene, die zu nennen wiederum eigentlich suggeriert: Da war ich schon, da schrieb ich, da ... New York Times, Yale, ... – Und damit war das Durchatmen, wo es den Griff zu dieser Metakritik meint, die viele Allgemeinplätze und einiges Anekdotisches bietet, dazu einen Hauch von Kulturpessimismus, ein Fehler – vielleicht sollte man lieber Literatur, Kritiken oder Metakritiken und Kritiktheorien, die eines von beidem, Literatur oder die Praxis der Kritik, jedenfalls berühren, lesen. Zum Beispiel den erwähnten Text von Strigl, die kompakt und von einer Fragwürdigkeit abgesehen zeigt, was Kritik immerhin sein könne, wie der Betrieb zu ihr wohl steht, was ein Buch sein könnte.
Scott? – Enttäuschend.
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