Der poetische Blick
Zwischen einem immer dunkler werdenden grünen Buchstabenblock aus Autorenname und Titel auf dem Umschlag ist - zugleich unscheinbar wie auch sich vordrängend - die von Elke Ehninger (der Illustratorin des Lyrikbandes) angefertigte Zeichnung eines etwas verkniffenen Gesichts zu sehen, dessen Frisur aus einem welken Lorbeer zu bestehen scheint, Hände und Arme greifen nach Nase und Mund wie, damit nichts herunterfällt - wie in Sorge, das Gesicht zu verlieren.
Schon das ist sinnig konzipiert bei dem 104seitigen Gedichtband mit dem Titel „Schönheitsfarm“ von Birgit Kreipe. Und weist auf seinen gesellschaftskritischen und gleichzeitig auch lakonischen Charakter hin. Der Begriff „Schönheitsfarm“ ist hintersinnig, ja hinterhältig, weil es eigentlich ein vordergründig euphemistischer Implikator für das ist, was ihm zugrunde liegt: Leistungsgesellschaft, Nützlichkeitsdenken, absurdes Zeitalter. Das sind die Dinge, um die es Birgit Kreipe in ihrem Gedichtband geht, jedoch nicht in weinerlicher, sentimentaler oder anklagender Art. Vielmehr begegnet sie ihnen zum Beispiel als „hexe k.“: „hier wohnt frau kreipe, klapperte die tür / eine hexe, träume an den zähnen / so warm wie zungen und blut. / die tür lästerte weiter. wenn sie spricht / fällt rotes zu boden / niemand, der hier eintritt / steigt zweimal in den gleichen fluss. // als ich hereinkam, trudelte etwas / durch den raum, so lederjackenartig. / rockerbande für sich allein / kramte es in schubladen / alben, tagebüchern … / mach schnell warnte ich / alles färbt sich immer mehr ein. // man könnte das hier schwarz einpacken / und von depression sprechen. //“(Seite 43)
Die Dichterin phänomenologisiert die moralischen Spielregeln und Rituale eines sich kaum in Frage stellenden, grotesken Leistungs- und Industriestaatenästhetizismus‘ und löst alles buchstäblich in Lyrik auf, weshalb den Gedichten eine desillusionierend-sinnliche Grundstimmung anhaftet. Vorgefundene Wirklichkeiten werden magisch aufgeladen oder wohlgezielt ins Chaos entsorgt, mithilfe von klassischen, poetisch-archetypischen Metaphern wie Birne und Apfel, Katze und Kristall, Schneeweißchen und Rosenrot. Die sechs Abteilungen „Kindheit und Jugend auf dem Lande“, „Tangerine Himmel“, „Schneewittchen“, „Schönheitsfarm“, „Bodenschätze“ und „Nachrichten von überall“ sind von leicht chronologischem Charakter, es wohnt ihnen eine Art existenzphilosophischer Reifungsprozess inne, jeweils dann von zwei, drei Gedichten, die durch ein größeres Schriftbild auffallen, abgeschlossen. In diesen unpaginierten, resümierenden Meeres-, Nacht-, Wasser – oder Schlafgedichten fokussiert sich die Autorin auf Trost und Hoffnung, den die Vergänglichkeit innerhalb des Bestehenden in seiner ganzen Absurdität, spendet. Fast erinnern sie, in ihrem sich sammelnden, leitmotivischen, besinnlichen Gestus, an das Promenadenthema in Modest Mussorgskis Tondichtung „Bilder einer Ausstellung“. Weil in den eigentlichen, den jeweiligen Kapiteln zugeordneten Texten ein zum Scheitern verurteilter Wille zur Daseinskontinuität beschrieben wird, erscheinen diese auch deutlich sarkastischer, es mutet stets komisch und abwegig an, sich auf die vorgefundenen Realitäten einzulassen:
„// mit 40 schließlich durchschaute ich / die tricks. dachte an all das blond / das in weißgrauen rauchschwaden / hing, an ophelia. / und an die eigenartige fügung: / der einzige mann, der mich / glücklich gemacht hatte / war ein säufer, blond, mit gelenken / so weiß wie mein schreibtisch.“ (Seite 75). Oft führt der Ausweg über mythologische oder chthonische Elemente, jedoch vermeidet die Autorin jegliche selbstmythologisierende Pathetik und man bekommt den Eindruck, sie wirft subversiv immer auch einen skeptischen Blick auf die eigene Poetik, aber gerade dies macht dann erst recht ihre Poesie aus. Denn dadurch erzeugt sie in den Versen einen taufrischen, provokanten Effekt, obwohl ihr Duktus durchaus traditionelle Strukturen aufweist. Nicht nur die häufige Verwendung von Farbadjektiven („blaue milch mit weißen flocken drin“, „schwarzer sand an den graswurzeln“, „die rote diebin, sie raucht“) erinnert mitunter an die Dichtungen des Expressionisten Georg Trakl („Es ist ein Stoppelfeld, in das ein schwarzer Regen fällt“, „Der blaue Teich, hinsterbend unter grünenden Bäumen“). Auch die punktierte Umsetzung von Melodik durch präzises Enjambement folgt dieser Linie. Immer wenn man denkt, jetzt könnte es gleich kitschig oder klischeehaft werden, lösen sich die freirhythmischen Verse der Dichterin souverän in einem unsentimentalen, überraschend pointierten Tonfall auf. Dadurch kommt eine ungeheure Wucht in diese Lyrik, wie es exemplarisch das Gedicht „usedom“ (Seite 22 ) nachvollziehbar macht:
an einem blauen dorn hing ich über dem meer
im himmel also. wartete auf einen moment von
schönheit. das absolute gedicht würde allen
gefallen. den schatten fräßen fische. elemente
tobten, möwen auch, sah graue zahnreihen
erkannte hotels. die wut der wogen scheiterte
am strand. das land zog seine krägen fester
sah südwester, tonnen frisch geölten fleischs
auf wellen zappeln, fern den horizont, wo
schiffe kämpften. erkannte über das meer
dies: der letzte fisch hätte zitronenschnitze im
maul. den letzten touristen äßen die dünen
das letzte gedicht würde als spätverkauf
wieder eröffnet. die letzten mädchen würden
unverweslich und durch schönheit legitim
für immer zwischen trümmern liegen, armreifen
im wind klappern und durch jahrhunderte leuchten
der dorn würde größer. das letzte gedicht
würde die form von wellen annehmen
dann ginge alles von vorne los, und in der
nächsten welt wäre das hier wieder ein badeort.
Folgerichtig mündet alles auf das Zentralkapitel „Schneewittchen“ zu, einem Zyklus, in dem Birgit Kreipe Märchenmotive in die Gegenwart überträgt und, wie sie in einem Interview mit der Zeitschrift „randnummer“ unlängst äußerte, eine böse Grundatmosphäre zu kreieren trachtete, jenseits der Bestrafungs- und Erlösungslogik der „Märchenwelt“. Die Märchen ohne das eigentlich Märchenhafte, auch um den Willen zur Illusion in der heutigen Gesellschaft noch plastischer aufscheinen zu lassen. Trotz allem. Das macht die Lektüre – was sich in den besseren Fällen sowieso nie ausschließt - gleichzeitig philosophisch und amüsant.
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