Wortspaziergänge
In der von Carl-Walter Kottnik initiierten Reihe ist soeben in einer Auflage von 200 nummerierten Exemplaren ein Bändchen mit 15 Gedichten von Brigitte Struzyk erschienen. Begleitet wird jedes der Gedichte von Illustrationen der Künstlerin Agnes Voigt (wobei die Bilder nicht unbedingt Illustrationen zu den neben ihnen stehenden Gedichten sein wollen - aber hiervon später mehr).
Ein wenig versteckt ist es schon, möchte man sagen: Es gibt keinen Verlag, keine ISBN, keine Bezugsadresse und nicht einmal über das allwissende Internet lässt dieses schöne Heft sich finden und bestellen. Das ist natürlich schade. Auf der anderen Seite scheint es auch nicht ganz unpassend, dass diese Gedichte den Lesern nicht hinterherlaufen, sondern eher geduldig darauf warten, durch einen Zufall oder von einem ganz hartnäckigen Lyrikfreund gefunden zu werden; sie können es sich leisten.
Es sind stille Gedichte, die Struzyk hier vorlegt, frei von jeder Effekthascherei. Kleine Beobachtungen, Alltagssituationen werden zu Texten von großer Schönheit und bisweilen liedhafter Stimmung verdichtet und weisen zugleich über die Situation, von der sie ihren Ausgang nehmen, hinaus. So gleich im ersten Gedicht des Bandes:
In Erwartung des Geliebten
Bunte Fahnen weiße Laken roter Mohn
Brombeerranken, Grundgedanken, roter Mohn
Flaschenscherben, Grundstückserben, roter MohnUnd am Horizont, da kommt er schon
"Die Unschuld der Wörter / stelle ich über deren Verwaltung / Sie sollen so kommen, / wie sie wollen. / Wird ihnen etwas abverlangt, / werden sie schwer..." heißt es in einem früheren Gedicht Struzyks, und man möchte diese Verse der vorliegenden Sammlung als Motto voranstellen. Nicht natürlich als Lizenz dafür, schlicht alles heraus und aufs Papier zu lassen, was einem so in den Kopf kommt, eher als eine Aufforderung an den Leser, den Wörtern und Worten ihr eigenes Leben zuzugestehen und ihren Bewegungen aufmerksam und zugleich schlendernd wie auf einem Spaziergang zu folgen. Denn dass sich so leicht durch diese Texte spazieren lässt, ist nicht dem Zufall geschuldet, sondern beweist – wenn das noch bewiesen werden müsste – was für eine großartige Dichterin Brigitte Struzyk ist, die allein mit dem Setzen oder Nichtsetzen eines Kommas aus Worten ein Gedicht machen kann.
Diese schlendernde Bewegung vollziehen die Illustrationen nach (oder geben sie vor), die weniger Bebilderungen sind als Meditationen in Pinselschrift. Dabei finden sie sich nur selten direkt neben dem "dazugehörigen" Gedicht, häufiger weisen sie schon auf das nächste voraus, bisweilen noch weiter. Es bietet sich an, sich auf einem zweiten Spaziergang durch die Gedichte des Bandes von ihnen leiten zulassen.
Der Herbst hirscht in den Winter
Der Wind röhrt durch den Wald
Fegt die Binsen geht
Über Land schwer atmendDa packt es dich
Ich warte
Die Illustration neben diesem Gedicht verweist zum einen auf das folgende (Abendspaziergang), durch das Motiv des auf dem Rücken liegenden Mondes aber auch noch weiter voraus: auf "Schein und Sein" (und damit auch auf "Schlendernd abrechnen", neben dem die Illustration zum Sonnenmond in "Schein und Sein" sich findet) und noch weiter auf das letzte Gedicht des Bandes, "Dein Rücken". So können kleine Zyklen entstehen oder immer wieder neue Wege durch die Texte des Bandes, auf denen wir staunend schlendern können. Und das ist schön.
Schein und Sein
Geht die Nacht auf und davon,
Tag folgt auf Nacht
und beide scheinen gleich
als Sonnenmond, so
wandelt das Leuchten
unter den Menschen.So kommt auch
die Liebe davon,
davon kommt
die Liebe.
Die 199 Leser, die diesen Band finden oder von ihm gefunden werden, können sich beschenkt fühlen.
Fixpoetry 2014
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