Make das Andere anders again
Politische Slogans sind eine Kunst für sich. Sie müssen viel sagen und noch mehr offen lassen. Barack Obamas »Yes, we can« etwa explizierte nicht einmal, was eigentlich. Hieß das: Wir können das »packen«, »überwinden«, »aushalten« – oder »schaffen«, wie es dann später bei Angela Merkel hieß? Und wenn ja, alles? Oder das Meiste? Oder nur das Mögliche? Und sowieso: wie eigentlich? Es war ein guter Slogan, weil er einerseits viel und doch wenig sagte und weil er überdies bei Demos leicht über die Zunge rollt: »Yes! We! Can!« Drei Silben mit ähnlich starker Betonung, zusammen mit einer Kunstpause ergibt sich ein Viervierteltakt. Vor allem aber ist es ein guter Slogan, weil er seine Einlösbarkeit gleich mit versprach, eine Art selbsterfüllende Prophezeiung.
Rund achteinhalb Jahre, nachdem Obama den Slogan prägte, bestimmt ein anderer das endlose Vorspiel zu den Präsidentschaftswahlen in den USA. »Make America Great Again« passt mit etwas grafischer Vorstellungskraft auf eine Baseball-Cap, im Mund aber stellen sich die acht Silben quer. Der Wahlspruch des Präsidentschaftskandidaten Donald Trump ist zum Meme geworden, auf Basecall-Caps oder T-Shirts liest sich mittlerweile, das dieses oder jenes wieder groß gemacht werden solle. Das kommt einer ironischen Distanzierung und einer Abwertung gleich, untermauert aber das virale Potenzial des Slogans. »Make America Great Again« sagt viel: ein Land, eine Kultur und die über 250 Millionen Menschen darin sollen wieder groß gemacht werden. Es lässt aber offen, was eigentlich das ist: Amerika. Oder was das heißt, groß zu sein. Oder wann Amerika überhaupt mal groß war. Das alles ändert nichts daran, dass dieser Slogan funktioniert, im Gegenteil: Das tut er prächtig.
Byung-Chul Han kann deshalb so viele und ziemlich kurze Bücher veröffentlichen, weil er recht ähnlich vorgeht: Sein apodiktisches Schreiben ist sloganhaft, seine Sprache beutet sich selbst als Argumentationsgrundlage aus. Etymologien und semantische Doppeldeutigkeiten sind ihm wichtiger als faktische Exkurse. Mit Ausnahme kurzer Analysen aus der Philosophie, der Literatur und dem Fernsehen verzichtet Han großzügig darauf, seine Analysen zu »Gesellschaft, Wahrnehmung und Kommunikation heute«, wie es im Untertitel seines neuesten Büchleins heißt, auf mehr als sprachphilosophischen Spielereien zu fundieren, und arbeitet stattdessen mit der Semantik von Buzzwords. »Binge-Watching« etwa, »Gamifizierung« oder »Depression«. Darauf baut er auf knapp über hundert Seiten eine Philosophie auf, die von der »Austreibung des Anderen« erzählt.
Weil Han kaum auf das politische Tagesgeschehen eingeht, sondern sich eher auf die fortschreitende Digitalisierung aller Lebensbereiche beschränkt, scheint die Behauptung zuerst merkwürdig. Ist die Hetze gegen das Andere, oder die Anderen, nicht das Kerngeschäft des aktuell weltweit erstarkenden Rechtspopulismus? Trumps Wahlslogan etwa funktioniert doch genau durch diese Implikation: Es geht um Amerika, nicht um eine andere Kultur, und Amerika muss wieder groß werden, weil Amerika aktuell nicht groß ist – sondern etwas anderes. Dazu schlägt Trump etwa den Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko vor, die nicht allein eine geopolitische, sondern auch semantische Bedeutung in sich trägt: Sie trennt das Selbst (Amerika) vom Anderen (Mexiko). Oder? Han würde vermutlich widersprechen.
Innerhalb der heute vorherrschenden Ordnung des Globalen, die das Gleiche totalisiert, gibt es eigentlich nur gleiche Andere und andere Gleiche
schreibt er. Verantwortlich dafür, natürlich, die sozialen Medien, diese
Schwundstufe des Sozialen
welche als neoliberale Apparate die absolute Vergleichbarkeit ermöglichen und somit das Differenzdenken abtöten. Wenn ich mein Mittagessen fotografiere und meine Arbeitskollegin dasselbe tut, dann ist die Differenz lediglich eine qualitative, keine essentielle mehr: Im Grunde tun wir nichts Anderes, im Grunde sind wir höchstens anders gleich und letztlich damit nicht mehr singulär. Auch wenn wir nicht einmal am selben Tisch sitzen, gibt es keine Distanz zwischen uns. Würde Han sagen.
Hans Analysen treffen meistens die wunden Punkte einer medial übersaturierten, neoliberal vereinnahmten Gesellschaft. Kurzum: Wir haben per Like-Button die Negativität aus unserem Leben gestrichen und machen uns so immer weiter ausbeutbar. Das Ergebnis sind der Wegfall auratischer Momente und jeglicher Erotik. Das Ergebnis sind auch Depressionen, selbstverletzendes Verhalten, die Selbstverwirklichung zum Tode und nicht zuletzt Terror. Womit Han durchaus konkreten Terror meint, denn dort wird er doch explizit politisch – zumindest ein bisschen. Terror, so Han, wendet den Tod als einzig verbliebene singuläre Handlung gegen die globale Gleichmacherei und ist damit nicht mehr als dessen Folge: die Geister, die der Kapitalismus rief. Auch auf die Flüchtlingskrise geht Han kurz ein, und wie sie mit dem Neoliberalismus zusammenhängt. An ihr, so schreibt er, zeige sich,
dass die Europäische Union nichts anderes als eine wirtschaftliche Handelsunion ist, sie sich am Eigennutz orientiert.
Das sind für Han vergleichsweise harte Worte, weil sie ein konkretes Ziel haben.
All das impliziert zuerst das Gegenteil von dem, was Trump hinter seinem Wahlslogan versteckt, welcher sich auf Ängste vor einem – um mit Han zu sprechen – anderen Gleichen stützt. Denn wer davor Angst hat, dass mexikanische Immigrant_innen Arbeitsplätze wegnehmen könnten, erkennt sie immerhin als irgendwie gleich an. Damit macht Han, wie implizit auch immer, einen Gedankengang der populistischen Rechten transparent, deren Argumentationen eine Vergleichbarkeit behaupten: Menschen, die aus Kriegsgebieten fliehen, würden vom Staat besser versorgt als Obdachlose, die finanziellen Zuwendungen des Staats gegenüber Menschen mit Asyl in Deutschland fielen im Vergleich zu Hartz IV viel zu großzügig aus – und so weiter, und so fort. Gegen die Feindlichkeit schlägt Han eine von Kant abgeleitete »Freundlichkeit« vor, die ihren Wortsinn sehr wörtlich nimmt und für Han Freiheit bedeutet. Das ist ein ehrbarer Gedanke, allein: Die Strategieangebote dafür fallen wie politische Slogans aus.
Es ist allein der Eros, der in der Lage ist, das Ich aus der Depression, aus der narzisstischen Verstrickung in sich selbst zu befreien.
schreibt Han beispielsweise mit ungewohntem Optimismus für ein
metaphysisches Antidepressivum
das klinisch depressiven Menschen vermutlich herzlich wenig helfen wird. Zumal der Eros – siehe Hans anderes Büchlein, »Agonie des Eros« – in seinem philosophischen Denken als Abwesenheit inszeniert wird. Das grundlegende Problem der Han'schen Argumentation ist, dass er zwar für gewöhnlich alles fein säuberlich voneinander abtrennt, dann aber das Problem als Lösung verpacken will:
Der Andere ist, so gesehen, eine Erlösungsformel
schreibt er und wirft damit eine ebenso banale wie zentrale Frage auf: Wie eigentlich, wenn der, beziehungsweise das Andere qua Globalisierung ausgetrieben wurde?
Die Antwort darauf tarnt sich lediglich als solche: Es brauche wieder Zeit zum Zuhören, die Zeit eines Anderen, damit das Selbst sich der Ausbeutung entziehen und genesen kann. Das ist zwar hehr, zugleich aber eben deshalb naiv, weil es in medialer Hinsicht konservativ bis regressiv ist: Was Han fordert, ist das Ende vom Befingern der Smartphones und der Beginn von Handlungen als Ausweg aus der Isolationshaft der globalen Gleichheit. Klingt toll, ist aber eben deshalb problematisch, weil sich hier Hans Denken ungemein vereinfacht: Er unterscheidet Reales und Virtuelles, nicht aber die hybriden Lebensrealitäten im Virtuellen, wie wir alle sie doch eigentlich leben, und wie sie uns in bequeme filter bubbles bugsieren. Was letztlich doch der Ausgangspunkt von Hans Kulturpessimismus ist. Der Kreis schließt sich.
Han kann zwar konzise Probleme auf den Punkt bringen, seine einzige Strategie aber ist letztlich die: Wir müssen uns eben an einen – nicht metaphorischen, sondern konkreten – Tisch setzen, uns Zeit nehmen und einander richtig zuhören, wie das die in Zeitfragen bestens bewandte Titelheldin Momo bei Michael Ende doch täte. Denn:
Im Gegensatz zur Zeit des Selbst, die uns isoliert und vereinzelt, stiftet die Zeit des Anderen eine Gemeinschaft
schreibt Han im vorletzten Satz von »Die Austreibung des Anderen«.
Sie ist daher eine gute Zeit.
Soll vielleicht heißen: »Make das Andere anders again«. Was auch immer wiederum das heißen mag. Selbsterfüllende Prophezeiungen nehmen es eben nicht so genau.
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