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Kritik

Gedicht & Geduld

Christine Langers neuer Gedichtband: „Jazz in den Wolken“
Hamburg

Gehört sich das für eine Rezension – den Inhalt des Gedichtbandes an den Attributen auf dem Buchumschlag zu messen? Nein, feiner Stil ist das eigentlich nicht und dennoch wage ich es, weil mir etwas daran auffällt. Als Klappentext des neuen Gedichtbandes von Christine Langer finden sich fast nur Zitate namhafter Poetinnen (mit Ausnahme von Oskar Pastior) wie Ulrike Draesner, Silke Scheuermann, Ilma Rakusa und andere. Diese Zitate wirken allesamt so, als sei die Lektüre der Gedichte von Christine Langer erfrischend bzw. entspannend wie ein Wellnesstag im Spa. „Ihre Gedichte sind einfach sehr schön“, schreibt Friederike Mayröcker, während Marjana Gaponenko konstatiert: „Christine Langers Poesie ist wunderbar unaufdringlich. Sie will weder beeindrucken noch überraschen. Das ist ihre Anziehungskraft.“ Ulrike Draesner attestiert „Prekäre Balancen: aus Nichts, Kleinstem, einem Stück Natur alles machen“ und Ilma Rakusa schließlich bewundert „Gedichte, die alle Sinne ansprechen und alltägliche Erfahrungen zauberhaft verwandeln.“ Diese Unisono-Begeisterung folgt natürlich der Funktion und Dramaturgie von Klappentexten und dennoch: Etwas muss dran sein an der Faszination für die Poesie Christine Langers. Pustet man mal einen Moment lang den Weihrauchnebel zur Seite, welcher eigener Eindruck entsteht bei der eigenen Lektüre?

Als erstes fallen Gegenpole auf: Beispielhaft nenne ich hier mal Bewegung und Ruhe. Da ist der Titel des Bandes: „Jazz in den Wolken“. Jazz ist die Musikrichtung mit der größten Unvorhersehbarkeit, Inbegriff der Improvisation, Tempowechsel durch Synkopen, Befreiung aus dem engen Maschendraht der Notenlinien. Da liegt es nahe, dass „Jazz in den Wolken“ für überraschende Himmelsbewegung steht, für Wolkenwandel und Windauffrischung. Dieser thematische Eindruck täuscht nicht, die Gedichte selbst aber strahlen in ihrer Form- und Bildsprache absolute Ruhe aus. Im bewährten Takt des Jahreszeitenwechsels und der präzisen Naturbeobachtung ruht die Sprache von Christine Langer souverän in sich wie etwa in dem Gedicht „Schwalbenzug“: „Die Sonne spiegelt sich im Birnbaum/Selten leuchten die Blätter abendvoll/Und auch das Maisfeld/Glüht aus früheren Leben// Drunter das Gras und darüber/Der Himmel legen sich dunkel in Särge/Wolkenschiffe gleißen für die Schwalben/Die wiederkommen nimmer ruhn//“ Auch wenn es in dieser Herbstschilderung scheinbar drunter und drüber geht, so grundsolide sind die Bilder in den „season cycle“, die Statik des Immer-Wiederkehrens eingebunden. Kritisch könnte man einwenden: konventionelles Thema, konventionelle Behandlung. Und doch: Die Gedichte haben etwas an sich, was man selten findet: Gelassenheit. Es ist, als lasse Christine Langer ihr poetisches Material lange ruhen wie einen Teig, der eine Zeitlang reifen muss, bevor etwas Gutes aus ihm gebacken wird. Sie investiert Geduld ins Gedicht. Dieses Warten tut gut. Dem Gedicht und seinem Leser. Keine hektischen Halbsatz-Anspielungen, keine Gassi geführte Avantgarde, kein stilistischen Parforce-Innovationen, zugegebenermaßen aber auch: keine Überraschung. Stattdessen Überzeugung:  

Was kommt

Wolken überblättern das
Kalenderblatt Februar

Die Sonne zieht aus
Nackten Zweigen
Offene Blusen

Knopftriebe funkeln
Im Pelz der Kätzchen
Das gelockte Haar

Fällt über die Schulter
Des Buschs

Der Reiz dieses Gedichts liegt nicht in der Gleichsetzung eines verfrüht kommenden Frühlingstages mit erotischem Aufbruch. Auch das ist eher ein konventioneller Poesie-Topos. Was beeindruckt, ist die Unmittelbarkeit der Sprachbilder. Die Naturphänomene des Frühjahrs übernehmen die Rollen eines für erotische Attraktion notwendigen Personals gleich mit. Mehr Sprachmaterial hat dieses Konzentrat nicht nötig. Überhaupt sind die Gedichte von Christine Langer recht kurz. Mit wenigen Sätzen zaubert sie ein Gebäude aus Worten und „macht es für das Schillern des Lebens bewohnbar“, wie es Gerhard Falkner einmal als Kennzeichen guter Poesie formuliert hat. Ihr gelingt es, Bilder zu evozieren, an denen sich feine poetische Schwebeteilchen ablagern. Da ist kein Platz für schwere, mit zu viel Bedeutung aufgeplusterte Ballaststoffe. Die über 100 Gedichte des Bandes sind in nur zwei Kapitel unterteilt  Im ersten Kapitel „Eisgötter aus Fleisch und Blut“ finden sich hauptsächlich Naturgedichte, das zweite Kapitel „Du trägst mich ins Rot der Amaryllis“ fasst vor allem die Liebesgedichte, aber bei Christine Langer geht ohnehin eines ins andere über. „Hineinwachsen in den Regen/in den Handflächen Tropfen sammeln“, so beginnt „Liebeserklärungen“, das letzte Gedicht dieses Bandes, und endet mit den Versen

Ja sagen zum Aufwind des Standpunktes
Hinsehen dich ansehen
Ein Gedicht in Küssen lesen
Maß nehmen an der Länger einer Wimper
Sinken in den Abend und Morgen Deiner Nähe.

„Prekäre Balance“ hat Ulrike Draesner diese zwischen Liebes- und Naturgedicht oszillierenden Gebilde genannt. Nur ein Flirren - und es braucht schon die Geduld einer Poetin wie Christine Langer, um diese hoch flüchtigen lyrischen Nanoteilchen in gelassene Gedichte zu bannen.

Christine Langer
Jazz in den Wolken
Klöpfer & Meyer
2015 · 142 Seiten · 18,00 Euro
ISBN:
http://www.kloepfer-meyer.de/default.asp?Menue=37&Buch=318

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