Vorwärts im Geschlechterkampf
Dass das bürgerliche Familienmodell sich zwar hartnäckig als Norm hält, in der gesellschaftlichen Praxis jedoch bereits seit Längerem im Niedergang begriffen ist, hat sich wohl hinreichend herumgesprochen. Das umso mehr, als mit der vornehmsten Aufgabe des Mannes, seine Liebsten zu ernähren, auch sein Anspruch fällt, über deren Verhältnisse bestimmen zu dürfen. Das bürgerliche Trauerspiel des 18. Jahrhunderts zeigt das Konzept, das gegen das adelig-höfische Modell der Lebensführung durchzusetzen war, das intime bürgerliche, nicht zuletzt um damit den Gestaltungsanspruch des Bürgertums gegen den niedergehenden Adel zu betonen. Wer über den Umgang der Geschlechter untereinander bestimmt, bestimmt auch die Struktur der Gesellschaft, wäre hier als Faustformel formulierbar.
Nun hatte dieses Modell, das aus England nach Deutschland übernommen wurde und selbst im fernen Amerika wirksam war, keine lange Haltbarkeit. Kaum eingeführt, verfiel es auch schon, sodass aus dem wackeren Familienvater ein auf sich allein gestellter Mann wurde, der sich an der Aufgabe aufreiben konnte, das, was ihm als Intimgemeinschaft geblieben war, hinreichend am Leben zu erhalten. Der amerikanische Literaturwissenschaftler Leonard Cassuto hat diese Überlegung sogar mit der Entstehung des coolen, wenngleich zutiefst melancholischen Typus Mann verbunden, der den amerikanischen hard-boiled-Krimi der 1920er Jahre bevölkerte. Der Kapitalismus fordert seine Opfer, und die bestehen eben darin, die Familienmitglieder so schnell wie nur möglich aus dem Intimverband Familie zu lösen und sie hinreichend verfügbar zu machen. Der Trend zur Entformalisierung und Individualisierung hat hier seine ökonomische Entsprechung, womit wir bei einer weiteren Variante der Dialektik gesellschaftlicher Veränderung wären. Nichts hat einfach nur Vorteile.
Niklas Luhmann nun fügte dem Ganzen noch die Gewissheit hinzu, dass auch die bürgerliche Familie, so sehr sie darum kämpft, die Generationsschwelle zu überdauern, doch in jeder Generation neu begründet werden muss. Genealogische Strategien verfallen nicht zuletzt deshalb, weil disponible Subjekte sich vielleicht in prekäre Situationen bringen lassen, aber diese dann wenigstens selbst gewählt haben wollen.
Die beiden Soziologinnen Cornelia Koppetsch und Sarah Speck fügen so gearteten Theorien nun ein gehöriges Stück gesellschaftlicher Praxis hinzu, zumindest soweit sie sich untersuchen lässt. 29 heterosexuelle Paare haben sie interviewt, eine Datengrundlage, die sich sehen lassen kann, insbesondere weil sie mit den Paaren intensive Tiefeninterviews geführt haben. Prämisse der Untersuchung war, dass in diesen Paaren nicht mehr die Männer, sondern die Frauen das Haupteinkommen erwirtschafteten und damit die Ernährer(innen)position von den Männern übernommen hatten.
„Wenn der Mann kein Ernährer mehr ist“ lautet der Titel ihrer nun bei Suhrkamp veröffentlichten Untersuchung, und die Frage ist in der Tat weitreichend, denn die Beischaffung des lieben Geldes hat durchaus deutlich mehr Bedeutung als nur die Haushaltskasse zu füllen. Hier geht es gleich ums Ganze im Geschlechterverhältnis, denn ist der Mann noch ein Mann, wenn er seine Familie nicht mehr ernähren kann? Und wie stehts mit der Weiblichkeit?
Die befragten Männer – und Frauen – haben damit in der Tat ihre Probleme, und sie haben Lösungen, wie sie mit den neuen Verhältnissen umgehen können und die verschobenen Gewichte in den Beziehungen neu ausbalancieren. Allerdings bedeuten diese Lösungen keineswegs, dass nunmehr die neuen egalitären Zeiten angebrochen wären. Jedes Paar nimmt je nach sozialer Lage Herkunft, Rollenfolie und wirtschaftlichen Bedingungen Neujustierungen des Binnenverhältnisses wie der Interpretation der eigenen Geschlechterrolle vor. Und nicht immer gefällt das.
Die Überlegungen bauen auf der Einsicht auf, dass es längst soziale Realität ist, dass Frauen nicht nur nicht auf den häuslichen Bereich beschränkt sind, sondern stattdessen über das Absolvieren einer eigenen Ausbildung hinaus auch selbstverständlich beruflich tätig sind. In der Bundesrepublik hat sich dem zum Trotz immer noch als Norm erhalten, dass Männer die Haupteinkommen erwirtschaften. Nur in ca. zehn Prozent aller Gemeinschaftshaushalte sind Frauen die Haupternährerinnen, weniger also als in anderen Industriestaaten.
Gleichwohl sei laut Koppetsch und Speck die Veränderung nicht zu ignorieren, der Verfall des konventionellen Paararrangements unübersehbar. Es sei freilich verkürzend, dies allein den Emanzipationsbestrebungen von Frauen zuzuschreiben. Männer übten dabei gleichfalls eine aktive, wenngleich spezifische Rolle aus. Auch die besondere, innovative Kraft der akademischen Eliten dementieren die beiden Autorinnen: Es wären gerade im akademisch geprägten individualistischen Milieu Beharrungstendenzen zu beobachten, die mit dem egalitären Selbstbild ihrer Akteure kaum zusammenpassten.
Koppetsch und Speck ziehen daraus die Begründung für einen methodischen und inhaltlichen Neuansatz. Zum einen berücksichtigen sie die Arrangements in den Paarbildungen, an denen beide Parteien beteiligt sind. Zum anderen nehmen sie geschlechtsspezifische Selbstzuschreibungen als soziale Faktoren ernst.
Das Ergebnis der Untersuchung ist vielschichtig, und insbesondere abhängig vom Milieu, aus dem die Paare stammen. Koppetsch und Speck identifizieren drei Milieus, das individualistische, das akademisch geprägt ist, das traditionelle, das vor allem durch die Herkunft aus dem Arbeitermilieu gekennzeichnet und oft ländlich geprägt ist, und das familistische Milieu, das an die Mittelschicht Anschluss sucht.
Im individualistischen Milieu stehe die Selbstverwirklichung des Einzelnen im Vordergrund, während das traditionelle Milieu pragmatische Lösungen, gerade in Abstimmung mit dem sozialen Umfeld suche. Das familistische Milieu hingegen sei intensiv auf Funktionsfähigkeit des Paares resp. der dann gegebenenfalls kinderreichen Familie fokussiert. Die persönlichen Bedürfnisse würden hier deutlich zugunsten der Familie zurückgestellt.
Verwunderlich sei auch, dass gerade die Paare aus dem traditionellen Milieu die am weitesten gehenden Konsequenzen aus der Übernahme der Ernährerrolle durch die Frauen gezogen hätten, indem sie die Rollen schlichtweg und pragmatisch getauscht hätten. Die größten Probleme mit der Abbildung der ökonomischen Bedeutung der Frauen in der Beziehungsbalance und in der Modifikation der Geschlechterrollen hätten aber gerade die Paare aus dem individualistischen Milieu. Das sei zum einen daran erkennbar, dass die Männer einen eigenen, zumeist aber prekären Wirkungsraum für sich beanspruchten, als Künstler etwa oder als Unternehmer. Das wirtschaftliche Ungleichgewicht werde ignoriert und zum Teil aus Mitteln der Frauen ausgeglichen. Außerdem verweigerten gerade in solchen Paaren die Männer die Beteiligung an der Hausarbeit, da dies mit ihrem Künstler- oder ihrem Unternehmerstatus nicht vereinbar sei. Die Frauen unterstützen ihre Männer darin sogar zum größeren Teil, was die Autorinnen auf die symbolische und soziale Aufwertung zurückführen, die die Frau durch den Künstler oder Unternehmermann erfahre.
In allen Paaren seien insbesondere die Frauen bestrebt, die Paarstabilität zu erhalten, während die Männer sich dem entweder entzögen oder sogar Re-Souveränisierungsstrategien führten, mit denen sie eine größtmögliche Übereinstimmung mit dem von ihnen verwendeten Rollenbild herbeizuführen suchten, das ihnen eine übermächtige Position zuschreibt. Entsprechende Strategien sind auch bei den befragten Frauen erkennbar. Solche Strategien sind in der Krise, die durch den Wegfall der Ernährerfunktion entsteht, jedoch kritisch und konfliktlastig, können mithin zu extremen Ausschlägen führen. Die Autorinnen führen dazu, da ihnen extreme Exempel fehlen, statistische Untersuchungen ins Feld, nach denen die Gewaltbereitschaft von Männern in Familien steige, wenn sie in die wirtschaftliche Krise geraten, arbeitslos werden oder Verluste erleiden müssen.
Nun ist es auffallend, dass Koppetsch und Speck im Hauptteil ihrer Untersuchung kaum mit den kurrenten geschlechtsspezifischen Rollenbildern agieren. Sie nehmen Überlegungen dieser Art vor allem in jenem Kapitel auf, in denen es um die Sexualität der Paare geht. Hier würden unter dem Vorwand biologische Stereotype Erwartungen formuliert, mit denen konventionelle Geschlechterrollen auch von Frauen reetabliert würden: die dominante und wirtschaftlich erfolgreiche Frau, die sich von einem starken und charmanten Mann verführen lassen will? Was der zurückgedrängte Mann allerdings verweigert? Der ziehe sich hingegen, ganz gegen jedes Stereotyp, auf die mangelnde Libido zurück. Männliche Krankheiten, Depressionen und nervöse Anfälle spielen im Übrigen in derselben Kategorie.
Die Annahme nun, dass die kategoriale Differenz zwischen den Geschlechtern genetisch vorgegeben wird, widerspricht nicht im geringsten der Gewissheit, dass die daran anknüpfenden Verhaltensweisen sozial bedingt, gesellschaftlichen Vorbildern nachgeformt sind und eingeübt resp. auserprobt werden müssen. Dass ein Mann eine Familie ernähren soll, hat mit seiner genetischen Ausstattung nichts zu tun, ebenso wenig wie Weiblichkeit mit Hausarbeit essentiell verbunden ist.
Die Autorinnen selbst positionieren sich zwar als konstruktivistisch, bleiben aber dabei der kategorialen Differenz männlich/weiblich schon aus Gründen der Pragmatik verhaftet. Mit anderen Worten, auch sie konzedieren unter Hand, dass gibt Männer und Frauen gibt, was das aber nun bedeutet, wird gesellschaftlich ausgehandelt und immer neuen Modulationen unterzogen. Rollenbilder sind dabei, gleichfalls konstruktivistisch gedacht, auch nur Abkürzungen, die dabei helfen, lebensweltliche Lagen pragmatisch zu bewältigen.
Damit ist aber keineswegs klar und eindeutig, was einen Mann oder eine Frau ausmacht. Allein in den in dieser Studie erkennbaren Variationen von Männer- und Frauenrollen weisen eine ungeheure Vielfalt auf, selbst innerhalb der Grenzen der mittlerweile so missachteten Heteronormalität. Auch die Knüpfung des Einkommens an Macht ist eine Konvention, die denkwürdig stabil ist und die von den Autorinnen merkwürdig unhinterfragt übernommen wird. Dass das Einkommen ein großes Gewicht in den Paarbeziehungen haben, ist dabei nicht zu ignorieren. Aber die Gemengelage, die entsteht, wenn Paare versuchen, dieses Junktim nicht gelten zu lassen, ist höchst aufschlussreich und vorrangig keine Frage von Gerechtigkeit.
Auch die Frage der Beteiligung der Männer an der Haus- und Erziehungsarbeit wird merkwürdig stark von den Konventionen in diesem Fall weiblicher Rollenbilder abgekoppelt: In einer Gesellschaft, in der Weiblichkeit eng mit der Hausarbeit verknüpft wird, ist das aber nicht ohne weiteres möglich. Das Unverständnis der Autorinnen mit jenen Frauen, die ihre Männer nicht zu einer angemessenen Beteiligung an der Hausarbeit zu zwingen versuchen, verweist auf einen konzeptionellen Widerspruch, der möglicherweise mit der Selbstpositionierung der Autorinnen in der soziologischen Forschung zu tun hat. Denn dass sie das nicht tun, hat weniger mit ihrer geringeren Durchsetzungsfähigkeit zu tun, als mit dem Abgleich mit dem jeweiligen Rollenbild, den sie vornehmen, und dem Arrangement, das in der jeweiligen Paarbeziehung getroffen worden ist. Mit Gerechtigkeit hat das wenig zu tun. Die Frage gehört hier nicht einmal hin.
Statt also die Frage nach den geschlechtsspezifischen Rollen und die damit verbundenen Konflikte auf die Sexualität der Paare zu beschränken, wäre es sinnvoll gewesen, die Ergebnisse der Interviews im Ganzen damit abzugleichen. Dies wäre umso mehr geboten gewesen, als die Erarbeitung von Rollenbildern in der frühkindlichen Phase beginnt, in der Pubertät dann weitergeschrieben und ausvariiert wird, um dann im Erwachsenenalter in die Praxis überführt zu werden. Was dann erwachsenen Männern und Frauen in ihren sexuellen Praktiken und Bedürfnissen, aber auch in ihrem Selbstbild als unhintergehbar erscheint, also als essentielle Weiblichkeit oder Männlichkeit, muss dann nicht mehr als Fehlverhalten gewertet werden (wie kann eine erfolgreiche Frau sich im Sex einen dominanten Mann wünschen?), sondern als Teil einer Selbstprogrammierung, die über Jahrzehnte in Abgleich mit gesellschaftlich kurrenten Rollenvorbildern vorgenommen wurde.
Ein radikal konstruktivistischer Ansatz würde sogar so weit gehen können, sexuelle Praxis, die Ausbalancierung einer dauerhaften Paarbeziehung, die Stärke in sozialen Beziehungen und die Herkunft der wirtschaftlichen Ressourcen voneinander trennen zu können. Der Ansatz hätte Koppetsch und Speck sogar zwingend dazu führen müssen wahrzunehmen, dass Frauen als Familienernährerinnen weder automatisch das größere Gewicht in Paarbeziehungen haben müssen, noch dass sie sich insgesamt damit von gesellschaftlichen Konventionen lösen. Mehr Geld zu verdienen, berechtigt nicht dazu, in einer Paarbeziehung die stärkere Position zu übernehmen, wie der Umstand, dass jemand genialischer Künstler ist, keineswegs dazu Anlass gibt, sich vor der Hausarbeit zu drücken. Alles das wäre ohne weiteres und frei arrangierbar, wenn es nicht so viele Faktoren, vor allem aber Traditionen, Konventionen und deren Wächter gäbe, die hier mitspielten. Die Paarbalance und die gegenseitigen symbolischen Aufrechnungen kommen hinzu.
Das macht die soziologische Analyse von Paarbeziehungen unter der Berücksichtigung von Rollenklischees nicht einfacher. Koppetsch und Speck verweisen mit Recht auf den Rollback der letzten Jahre, über die Konjunkturen von weißen Hochzeiten, die steigende Zahl von jungen Männern, die die Mitarbeit an der Hausarbeit verweigern, und die Neuinszenierung von Männer- und Frauenmustern. Die Diskussion nach Köln, was denn aus den deutschen Männern geworden sei, dass sie nicht mehr in der Lage seien, ihre eigenen Frauen zu beschützen, zeigt vielleicht, in welch unsicherem Gebiet sie agieren.
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