„das kann nicht richtig sein”. Junge Hunde von Cornelia Travnicek
In ihrem neuesten Buch taucht Cornelia Travnicek gleich in mehrere Textformen, Themen und Handlungsstränge, virtuos oft, gewitzt meistens. Raffiniert läßt sie dabei die Einzelteile korrespondieren. Da ist zum einen Ernst, der auf der Suche nach seiner leiblichen Mutter nach China reist, das die Autorin als Sinologiestudentin sehr pointiert schildert, wie auch den womöglich selbst erlittenen Clash von erlerntem und dann realem Chinesisch, aber das zu mutmaßen wäre vulgärbiographistisch.
China wird Zitate entlang konturiert, hier verliert sich Ernst zusehends in dem, was ein Finden hätte sein sollen. Er fühlt sich „adaptiert”, so könnte man seine Fehlleistung – adoptiert ist er, so wird er auch korrigiert – als durchaus treffend auffassen; wer will schon eine Adaption sein? Bloß, was wäre ein Mensch eigentlich? „Könnten Sie in der Liste unglücklicher Schwangerer aus den Achtzigern nachsehen, bitte, danke.” – Was hülfe es Ernst, das fragen zu können?
Zugleich geht es aber auch um Johanna, die sich gerne um andere kümmert. Das aber führt auch zu Überforderungen, etwa im Kontakt mit dem demenzkranken Vater. Der verliert durch die Pflegekosten das fast abbezahlte Haus, nichts bleibt, Krankheit und die Malice des Kreditgebers führen in ein düsteres memento mori. Zudem findet sich eine Postkarte, die den nebenher eingeflochtenen Bienendiskurs, daß Bienen nicht zwingend Väter haben und manche von ihnen Totengräberinnen sind, erklärt, genauer gesagt etwas als ungeklärt aufzeigt. Der Vater, dessen Persönlichkeit „zerfasert”, weiß nichts, womöglich Einbildung ist es, als er zur Postkarte, als Johanna schon geht doch sagt: „Ich kenne sie, ich kenne sie.” Natürlich: „Was interessiert es mich eigentlich, […] was ändert es an mir?” Wie eine Bestätigung wird das Mutieren hier motivisch, von der Polydaktylie Johannas („Tschernobyl-Kind”) bis zum Gelee Royale – die Irritation oder Dislozierung selbst ist das Menschliche.
Dennoch, als dann auch noch Baghira stirbt, der Hund, der also wie der Panther aus dem Dschungelbuch heißt, das Hundbegräbnis ist übrigens eindrücklich beschrieben, ist die Welt zwar ohnehin aus den Angeln, ein Ort der Hinfälligkeit, die auch kein Sinn irgend konservierte – Todesmotive bis hin zur vielleicht ja doch lecken Therme, deren „anheimelnde(s) Wärmegetöns der Auftakt zum zu tiefen Schlaf” sein kann, durchziehen das Buch –, aber… Ja, aber es gibt eben aus diesem Enden ein stets Anfangen, wunderbar in den Gesprächen mit Herrn Glantz, dem die Autorin ein Hündchen namens Gloria (er-)findet, ein Witz Glantz’, vielleicht aber auch nicht, jedenfalls ist es zärtlich, selbst, als er Johanna mißdeutet, während er sich und das Hündchen vorstellt. Da begegnen einander zwei doch Freie – und es ist „wohl ihre größte Freude, aus freien Stücken aufeinander Rücksicht zu nehmen”, wie Herr Glantz sagt.
Wie sich dies alles weiter verstrickt oder löst, sei nicht verraten. Man liest das Buch gerne und weiß es dann, falls man nach einem gelungenen Buch denn etwas weiß.
Gibt es auch Schwächen? – Kaum. Bei der chinesischen Weisheit, 10.000 Meilen zu reisen bilde mehr als 10.000 Bücher, fühlt man, daß da nicht unsere Flugreisen gemeint sein können und Kant in Königsberg es doch auch zu einer gewissen Bildung brachte, bei der „riesige(n) schwarz-weiße(n) Stoffkuh mit grotesk dünnen Gliedmaßen” sind die Adjektive etwas pseudo-konkret aufgetürmt, … – man muß aber schon sehr suchen und ein ekliger Pedant wie der Rezensent sein, um da die Augenbraue zu heben.
Alles in allem ein geglücktes Buch, das man lesen sollte; und das dann auch schon Vorfreude aufs nächste Buch dieser Autorin macht
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