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Kritik

„«Natürlich habe ich keine Lust. Aber ein Trick ist es nicht.»”

Hamburg

Daniel Kehlmanns Figur ist der Zauberer, nicht nur sind Zaubereien ein rekurrentes Motiv, dies ist auch, was ihn in der Inszenierung seiner selbst prägt – oder sein unmaskiertes, eigentliches Selbst, falls der Tod des Autors von Roland Barthes einst verfrüht ausgerufen worden sein sollte. Seit Beerholms Vorstellung ist es allerdings die Ambivalenz dieser Figur, die Reiz und Problem der Texte dieses Autoren ausmacht: Denn von Beginn an ventiliert dieses Werk die Sehnsucht, der Zauberer möge keine Illusion vorlegen, genauer: ihr selbst erliegen, sie darin vollenden. Oder die Initiative, das Fatum Hypnotiseur aufzusuchen, vergessen haben, was wäre es sonst für ein Geschick, das er enthüllte? Das Vergessen würde freilich zugleich dem Handwerk nicht entsprechen, der Technik, dem Repertoire, über das Kehlmann verfügt, der auch viel zu intelligent ist, als daß er derart ironieresistent verführe.

Hieraus entstehen seine Texte, die etwas verfrüht Meisterliches von Beginn an hatten; deren manchmal aber schon klassische Qualität indes auch die Angst spricht, sich nicht auf das, was gekonnt ist, zu verlassen. Enzensberger bemerkte, daß, wer „nicht besser dichten kann als die Maschine, […] besser daran (täte), es bleiben zu lassen”; etwas Maschinelles aber generiert das Festhalten am Gekonnten, vielleicht ginge es genau um das, was man schreibend nie kann – und um einen neuen Kampf für eben dies, wie auch um die eigene Sprache, die, könnte man sie, eben schon keine Sprache mehr wäre. So trennt Kehlmann sein Können ihn zugleich von dem, was zu erreichen ohne es er aber kaum imstande wäre.

So ist F mit seinen mäandernden Geschichten auch insgesamt mehr Krise, als es jene Geschichte darin ist, worin eine Krise zuletzt rettend ist, wovon Kehlmann hernach übrigens behauptete, dies habe ihn selbst überrascht: Soll man das bei einem derart klugen Verfasser glauben, daß er Faust und darin das „Verzweiflungsgebiet” (Joseph Vogl) als Chance des nicht nur kapitalistischen Denkens entweder nicht kennt oder nicht verstanden hat? Er hätte dies als Pointe bei Menasses Faust-Variation nicht erkannt, wo auf die Krise explizit gewettet wird? Kehlmann wäre also Mephistopheles’ kybernetisch-fiskalisches Wunder mittels Papiergeld – Goethes Inbegriff der (freilich prinzipiell durch Risiko oder Wette mit allen Formen von Kapital, und sei’s Gold als finaler Währung, verbundenen) Spekulation – unbekannt, er hätte nie oder unverständig gelesen, wie Kapitalwirtschaft spätestens seit Goethe explizit mit der Poesie assoziiert ist:

„Bin die Verschwendung, bin die Poesie;
Bin der Poet, der sich vollendet,
Wenn er sein eigenst Gut verschwendet”..?

Es mag sein, daß Kehlmann das Geschick seiner Figur so widerfuhr, sein Werk nicht gerade hier vollends gemacht (wenngleich noch nicht Machwerk) ist; plausibel ist es nicht.

Die verworrenen, schlauen, maliziösen und dann doch lichten Erzähllinien des Konvoluts F seien hier nicht einzeln rekonstruiert, in allen und im Stil selbst lauert, was Kehlmann nicht alles kann, aber dadurch, daß das Können so präsent darin ist, vielleicht doch nur: könnte. Wäre es Programm, wäre es grandios: „Saugt eure Lebenslagen und Zufälle aus – und geht dann in andere über! Es genügt nicht, Ein Mensch zu sein, wenn es gleich der nothwendige Anfang ist! Es hieße zuletzt doch, euch aufzufordern, beschränkt zu werden! Aber aus Einem in einen Anderen übergehen und eine Reihe von Wesen durchleben!” (Nietzsche)

Bloß kann Kehlmann diesen Maskentanz, wie er demonstriert, durchleben – ihn zu durchleben, das unterläßt er, er ist ein genialer, aber auch trister Souverän. Darin ist er der dialektisch erfolgreiche Spekulant, der selbstvergessene Magier, der atheistische Priester, dessen Gott noch die Bürde trägt, omniscient nichts mehr zu wollen: „Gott muss gar nichts vorhaben. Es reicht, wenn er es weiß.” – Man würde sich wünschen, daß dieser Autor sich vor seiner fast neurotischen, imaginär-ironisch zur Gottesgleichheit überhöhten Könnerschaft sie erfüllend befreite, wartet auf die Entfesslung seines Erzählgenies, das doch mehr als eine bloße Unterstellung längst ist.

Zuletzt sei exekutiert, wonach der Roman geradezu schreit: Füllung der provokanten Lücke, die der Titel F ist, wie Kehlmann weiß (und es haben will). Vielleicht ist dies ein – dekonstruktiv? – den Faust-Komplex in Motive, Figuren und Begrifflichkeiten auflösender Streich; vielleicht aber auch die Abrechnung mit jenem Können, dessen Kehlmann bislang nicht recht Herr wird: Wenn „ein hypochondrischer Wind in den Eingeweiden tobet, so kommt es darauf an, welche Richtung er nimmt, geht er abwärts, so wird daraus ein F–, steigt er aber aufwärts, so ist es eine Erscheinung oder eine heilige Eingebung”, so heißt es bei Kant.

Kehlmann könnte einer der wichtigsten Schriftsteller unserer Tage sein; man wird sehen, ob dies nicht sein Fluch ist, ihm gewiß das Beste wünschen und seine Bücher weiterhin mit großem Interesse verfolgen.

Daniel Kehlmann
F
Rowohlt
2013 · 384 Seiten · 22,95 Euro
ISBN:
978-3-498-03544-0

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