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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Die oberflächliche Welt der Reichen.

Stilistisch brillant und boshaft: Dorothy Parkers Kurzgeschichten erzählen vom stillen Grauen und der hysterischen Verzweiflung
Hamburg

Mrs Lanier als wehmütig zu bezeichnen, ist wirklich eine Untertreibung: "Sie war der Wehmut ergeben wie unbedeutendere Künstler den Worten, der Farbe, dem Marmor. Mrs Lanier war keine von diesen unbedeutenderen; sie war eine von den wahren", und man konnte davon ausgehen, "dass sie in weicher Wehmut durch die dunkle, geheimnisvolle Nacht schlummerte". Abends trug sie immer weiße Kleidung. Einmal wurde sie porträtiert, in Gelb, denn weiß ist so schwierig zu malen, und eine Weile danach trug Mrs Lanier gelb, "aus der Verpflichtung des Modells, dem Porträt gleich zu sehen". Aber dann gab sie es doch wieder auf: "Picasso hatte seine blaue Periode und Mrs Lanier ihre gelbe. Sie wussten beide, wann man aufhören muss."

Schwierig war es für Mrs Lanier, hinauszugehen, in die Welt, um beispielsweise neue Gewänder anzuprobieren, eine neue Garderobe auszuwählen. Denn "draußen waren überall so viele Unschöne und Traurige, die ihren Augen und ihrem Herzen zusetzten. Oft stand sie minutenlang verschüchtert vor dem Barockspiegel im Flur, bevor sie ihren Kopf aufzurichten vermochte, um tapfer hinauszuschreiten." Und wenn sie zurückkehrte, war sie oft welk wie eine Freesie, musste sich hinlegen, um wieder zu Kräften zu kommen, sich umzuziehen, damit sie in ihren Salon gehen konnte, "die Augen kummervoll verhangen, aber die edlen Brüste stolz aufgerichtet."

Es gibt wohl kaum eine Schriftstellerin, die derart pointiert boshaft über die Reichen geschrieben hat wie Dorothy Parker. 1893 als Dorothy Rothschild geboren (der Vater war deutscher Jude, die Mutter Schottin), war sie eine der bekanntesten Kurzgeschichten- und Theaterautorinnen ihrer Zeit, und als Kritikerin war sie gefürchtet wegen ihrer spitzen Zunge und ihrer treffenden Bonmots. Sie war Autorin von Vanity Fair und dem New Yorker, engagierte sich gegen den Faschismus, war Korrespondentin während des Spanischen Bürgerkriegs und stand während der McCarthy-Ära auf der Schwarzen Liste.

In dem jetzt als Taschenbuch erschienenen Sammelband "New Yorker Geschichten" werden ihre Lieblingsthemen deutlich: der Kampf der Geschlechter, die Unterdrückung der Frau, die nutzlose Hochnäsigkeit der Oberschicht. Wie bei Mrs Lanier, die manchmal die Außenwelt mit ihrer Anwesenheit beehrt, wechselnde Liebhaber hat und ihre Zofe Gwennie, die sich um sie kümmert. Bis der neue Chauffeur alles durcheinanderbringt und dann verschwindet, und Mrs Lanier nur bemerkt, dass Gwennie scheinbar lange einen Schnupfen hat, so rot sehen ihre Augen immer aus, und immer dicker wird. Und dann wird ihr plötzlich schlecht, als Mrs Lanier einmal wehmütig erwähnt, dass sie gern ein Kind haben würde: "Mrs Lanier saß da und sah ihr nach, die Hände auf ihrem wunden Herzen. Langsam drehte sie sich wieder zu ihrem Spiegel, und was sie dort sah, schlug sie in Bann: ein Künstler erkennt sein Meisterwerk. Und dies hier war die Vollendung ihrer Karriere, die vollkommen geläuterte Wehmut; dieser Ausdruck kummervoller Bestürzung hatte den Ausschlag gegeben. Sorgfältig bewahrte sie ihn im Gesicht, als sie sich vom Spiegel erhob und, die wunderbaren Hände noch immer wie ein Schild über dem Herzen, nach unten ging".

In anderen Geschichten erzählt Parker in inneren Monologen von der Verzweiflung junger Frauen, die auf den Anruf ihres Mannes warten ("Es ist zehn Minuten nach sieben. Er sagte, er werde um fünf anrufen.") oder die ihn nach Tagen erreichen, nur um zu hören, dass er lieber Parties feiert als sich mit ihr zu unterhalten. Sie berichtet von Frauen, deren einziger Daseinszweck es ist, fröhlich sein zu müssen und mitzutrinken, selbst wenn sie daran zugrundegehen ("Sei doch kein Spielverderber."). Oder von den Paaren, die sich gegenseitig fertigmachen, obwohl sie gerade vor zweieinhalb Stunden geheiratet haben, nur weil er sagt, dass ihm ihr neuer Hut nicht gefällt. Sie schildert schüchterne Frauen wie "die kleine Mrs Murdock", die plötzlich erkennt, wie hohl die mondäne Welt ist, als sie den bewunderten Theaterstar persönlich kennenlernt, nur um in ihre traurig verstummte Ehe zurückzukehren.

Stilistisch brillant beherrscht Parker alle Tonarten, die hysterische Verzweiflung, das stille Grauen, die manchmal schon groteske Trauer der Alleingelassenen. Mit gestochenen Formulierungen macht sie manchmal schon in der Wohnungsbeschreibung deutlich, was sie von diesen oberflächlichen Menschen hält. Manchmal kann sie auch grazil und witzig sein, wenn sie von zwei Freundinnen erzählt, die miteinander ausgehen, sich heftig zerstreiten, aber durch eine kleine, zarte Zuwendung der einen wieder zusammenkommen. Oder wenn sie eine schlaflose Frau vor sich hin denken lässt, von La Rochefoucauld zu imaginären Schafen kommt und sich dann überlegt, was sie tun könnte: "Ich werde nie berühmt. Nie wird mein Name in großen Lettern auf der Liste der Macher auftauchen, die es geschafft haben. Ich schaffe nichts. Nicht das Geringste. Früher habe ich noch Nägel gekaut, jetzt tue ich das auch nicht mehr."

Gezielt spießt Parker die Verlogenheiten der Welt, die traurige Beziehungslosigkeit und  die Unfähigkeit der Paare auf, und das macht sie in einem fulminanten Stilwechsel, der seinesgleichen sucht. Spitze Boshaftigkeiten wechseln in ihren Kurzgeschichten mit pointierten Beobachtungen, blanker Zynismus mit einem zarten Gefühl für die Armen der Gesellschaft, die doch meist nur am Rand auftauchen, als Zofe, als Wäscherin, als Bettler. Eine Autorin, die man immer wieder neu entdecken kann.

Dorothy Parker
New Yorker Geschichten
Aus dem Amerikanischen von Pieke Biermann, Ursula-Maria Mössner
Kein & Aber
432 Seiten · 13,00 Euro
ISBN:
978-3-0369-5951-1

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