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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Beredsame Zeugen einer anderen Sprache

Liebesgedichte von Durs Grünbein

Was man nicht alles an einem finden kann, dem man etwas neidet. Die Gesellschaft der kurzen Fristen inthronisiert ihre Helden und kaum, daß diese in ihren neuen Kleider laufen können, zupft man schon daran herum und versucht ihnen an die Wäsche zu kommen. Immermehr bleibt auch die Literatur von solcher Schnelllebigkeit nicht ganz verschont. Der Held von heute ist bald der Held von gestern und dann eben wirklich nur der Held von gestern, auch wenn er weiter gute Bücher schreibt, die ins Heute passen.

Durs Grünbein ist nicht nur in Lyrikerkreisen hoch geschätzt – seit längerem jedoch fühlen sich viele berufen zu beweisen, daß er überschätzt wird und wurde. Die FAZ beispielsweise warf ihm vor, es fehle ihm die „Sprachmusikalität“, Kultschreiber Alban Nicolai Herbst mokiert sich in seinem Blog, der Mann würde zu Unrecht mit Literaturpreisen geradezu überschwemmt. Andere entdecken ein Zuviel an Alltagssprache, wieder andere getrauen sich nur hinter vorgehaltener Hand herumzukritteln.

Nun hat sich Grünbein sicherlich nicht selbst die Preise verliehen und ihm fehlende „Sprachmusikalität“ zu attestieren, ist wie einem Rocksänger vorzuwerfen, er könne keine Arien singen. Würde er genau das tun, würfe man ihm vor, er sei ein ewig Gestriger. Miesepeter und Gezeter. Zu kritisieren findet man immer etwas, aber wir sollten – wo immer es geht - neben eine Kultur der Kritik auch die des Genusses setzen, die sehr wohl nach der Beschaffenheit eines Dinges fragt, dies aber, um sein jeweils Spezifisches, seinen besonderen Geschmack, seine Einzigartigkeit spürend und womöglich genießend zu erfahren. Neid- und vorurteilsfrei. Und wer so an Grünbeins Bücher herangeht, wird nach wie vor wunderbare, wortgewaltige, meisterhafte und trotz aller Prosaik musikalisch aufgeladene Gedichte finden.

„Man darf Durs Grünbein einen furchtlosen Dichter nennen. Jede Zeit stellt auch literarische Verbote auf, Listen alles dessen, was, wie man zu sagen pflegt, ’heute nicht mehr geht’. In Grünbein haben wir einen, den solche Weisungen nichts kümmern.“ schreibt Peter von Matt in seinem wundervollen Nachwort zu dem unlängst im Insel-Verlag als Taschenbuch erschienenen Bändchen „Liebesgedichte“. 85 solche hat Durs Grünbein aus seinem Werk zusammengesucht, 18 davon werden hier erstmals veröffentlicht, und es scheint als ob er mit dieser Auswahl wiederum ein modernes no go übertritt – Liebesgedichte, wer schreibt denn so was?, wo es doch allenthalben noch um Beziehungen geht. Die „Tabuverwalter“ (Peter von Matt) der Literatur werden wohl wieder zu kauen haben und zu meckern.

Grünbein ist ein Dichter der Wesentlichkeit. In einem Essay formulierte er es selbst als „Anschaulichkeit“. Die Dinge um ihr Wesen befragen, statt pausenlos inneren Prozessen nachzuhorchen, die – natürlich – auch wesentlich sind, aber eben nicht ausschließlich, sondern immer mit dem Außen verknüpft, von ihm bewirkt oder auf es wirkend. Dieses Wechselspiel zu betrachten mit einem anderen Blick als es der Alltagsgedanke kann, das Angeschaute dann kunstvoll ins Gedicht bringen, das ist der Job des Dichters. Grünbein tut diesen Job besser als die allermeisten Poeten im Land. Auch seine Liebesgedichte zeigen uns einen Meister des poetischen Handwerks, geistreich und empfindsam, zärtlich und körperzugewendet widmet er sich einem Thema, an dem sich die Sprache schon immer versucht hat und an dessen Facettenreichtum und dessen Erscheinungsvielfalt und Vieldeutigkeit sie sich abarbeitet seit es Gedichte gibt. Die Liebe ist eine eigene und dabei sehr viel ältere Sprache, wortlos und universell verstanden, und nicht wirklich sagbar ohne Körper und ohne Kontakt. Kein Gedicht der Welt kann einen Kuss ersetzen, aber es kann uns warm und kalt erinnern lassen, innerlich aufbrechen, hinein ziehen in das Geschehen und uns glauben machen, es gäbe tatsächlich in der Schrift etwas zu sagen, was die Liebe betrifft. So wie es Grünbein gelingt das Szenische und den atmosphärischen Klang, das von der Liebe Choreographierte einzufangen, werden aus den Gedichten spannend beredsame Zeugen, deren Aussagen uns zurückrufen in das Reich der anderen Sprache.

„Nicht nur das Entzücken soll laut werden, nicht nur die Schönheit des geliebten Gegenübers, nicht nur die Sehnsucht, ihre Erfüllung oder ihr hoffnungsloses Sich-Verzehren, nicht nur das Scheitern aneinander, die Kälte, der Bruch, der Verrat, nicht nur der Wandel vom ekstatischen Glück in die wohlige Gewöhnung, nicht nur das Augenfunkeln und der Kuß, sondern auch das , worüber man nicht spricht oder nur andeutungsweise, das Körpergetümmel, das wilde Greifen und Fassen und gänzliche Zusammenfinden auf dem geduldigen Bett.“ – besser als es Peter von Matt hier zusammenfasst, lässt es sich nicht sagen.

Sonett

Komm, laß uns Wunden lecken, frouwe. Wir verbluten,
Wenn wir so weitermachen, einzeln aufgeschrammt.
Was hilft es, furchtlos sein und daß man sich was denkt?
Zeit schleift uns, macht aus Tagedieben bald Rekruten.
Und kaum wirds blutig, packt uns Heimweh nach dem Schlamm.
So lauscht man nachts sich an den Schläfen, teils verrenkt
Dasselbe Bett und kann doch nicht Gedanken lesen.
Man kennt nur, zwischen Schenkeln, sie da: Geschwüre,
So nimmermüd. Der Mensch – ein sexuelles Wesen.
Und immerfort muß man sich, unantastbar, dort berühren.
Denk an den Gallier, der allein beim Sterben saß:
Ein Heldenbild der Einsamkeit. Nicht ums Verrecken
Mit diesem tauschen möchte man. Ach ich vergaß –
Du warst längst eingeschlafen, Frau, dich zuzudecken.

Durs Grünbein
Liebesgedichte
Nachwort: Peter von Matt
Suhrkamp/Insel
2009 · 80 Seiten · 6,00 Euro
ISBN:
978-3-458350989

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