Komödie des Scheiterns
Eines Morgens erwacht Zelda, die frischgebackene Ehefrau von Scott. F. Fitzgerald, und sehnt sich unbändig nach Biscuits und Pfirsichen. Und weil das glamouröse Paar so ziemlich jeder ihrer spontanen Launen nachgibt, steigen die beiden kurzerhand in ihren klapprigen Expenso, liebevoll „Rolling Junk“ getauft, und machen sich auf den Weg gen Süden, zur „Straße der Pfirsiche“. Denn nur in Alabama, Zeldas Heimat, gibt es die besagten Frühstücksleckereien.
Wir schreiben das Jahr 1920, Zelda ist 20 und Scott mit gerade mal 23 nach seinem ersten literarischen Durchbruch auf dem Weg, ein berühmter Autor zu werden. Widrigkeiten haben ihn noch nie gestört – im Gegenteil: bereits sein Leben lang bezieht er seine Größe daraus, elegant zu scheitern und seine Misserfolge dann zu erzählenswerten Geschichten zu verarbeiten. Dass der „Rolling Junk“ an diversen Wehwehchen leidet, allen voran einem „gebrochenen Rückgrat“, ferner an „verschiedenen chronischen Magenverstimmungen und Zerrsichtigkeit in beiden Scheinwerfern“, stellt also kein Hindernis für die Reise dar, sondern eher noch einen Ansporn. Zwar wird den beiden an jeder Tankstelle und jeder Werkstatt prophezeit, sie kämen keine hundert Meilen weiter („Wie wollen Sie das anstellen – im Leerlauf bergab rollen?“), doch gerade der Hohn und der Unglauben ihrer Umwelt stacheln sie umso mehr an, ihren Plan durchzuziehen.
Bei Washington werden sie von ihrem eigenen Hinterrad überholt, in Richmond muss die Karosserie neu zusammengeschweißt werden, und kurz vor der Zielgeraden springt die Batterie aus dem Wagen. Doch nichts kann sie aufhalten. Während Zelda einen kühlen Kopf bewahrt, karikiert Fitzgerald sich selbst als hypernervösen Intellektuellen, der sich als völlig unfähig auf dem Gebiet der Mechanik erweist. Egal, in welche Stadt sie kommen – als aller erstes fahren sie die zentrale Werkstatt an. Das entsetzte Kopfschütteln der jeweiligen Automechaniker bildet den Refrain ihres Roadtrips; die ironische Umformulierung so ziemlich jeder misslichen Lage gibt den generellen Ton vor. „Auch wenn ich es durchaus begrüße, diverse Fakten des Lebens diskret zu verhüllen, halte ich jemanden, der versucht, ein ausgetrocknetes felsiges Flussbett als, Boulevard‘ durchgehen zu lassen, für einen krankhaften Optimisten“ – so Fitzgeralds distinguiert-euphemistischer Kommentar zu den Straßenverhältnissen in Virginia.
Immer wieder jedoch wird sein Zynismus durchbrochen von poetischen Landschaftsbeschreibungen, die bezeugen, dass er seinen Blick durchaus auch mal über den Fahrbahnrand hinaus schweifen lässt. Zu bewundern gäbe es da zum Beispiel die „gesprenkelten Obstgärten“ in Delaware oder die „stutzigen kleinen Hügel“, die auf den „kindischen Himmel“ über Maryland zu klettern.
Nachdem Zelda und Scott ihre Straßenkarte leichtfertig aus dem Fenster geworfen haben und sich der neu gekaufte Reiseführer nach und nach auflöst, gerät die Reise mehr und mehr zur abenteuerlichen Irrfahrt. „Die Straße der Pfirsiche“ ist somit nicht nur eine gelungene Parodie auf die populäre Reiseliteratur vor rund hundert Jahren, sondern auch eine schöne Hommage an die Epoche vor Google Maps und Navigationsgeräten. Was waren das für herrliche Zeiten, als man mitten in der Nacht aus dem Auto steigen musste, um ein kaum leserliches Ortsschild mit einem Streichholz zu beleuchten!
Viele Pointen sind natürlich effektvoll zugespitzt, einige Details sicher komplett erfunden. Wenig übertrieben dürfte hingegen Fitzgeralds zu jener Zeit erschreckend selbstverständlicher Rassismus sein, der einem entgegenschlägt, wenn er die „Schreckensbilder von blutrünstigen Negern, die sich in den bodenlosen Sümpfen verbargen“ heraufbeschwört. Zelda scheint geringfügig weniger Berührungsängste gehabt zu haben – auf die offenkundige Xenophobie der beiden geht das Nachwort jedoch leider wenig ein.
Eine leichte Gänsehaut erzeugen auch jene melancholischen Momente, in denen sich die triste Zukunft des Paares abzeichnet: Verweise auf die „Treulosigkeit der Zeit“ ebenso wie das Unterwegssein als „Zuflucht vor der Langeweile und den Tränen und der Enttäuschung der ganzen stillstehenden Welt“. Die innere Rastlosigkeit, die das Paar von Anfang an antreibt und aufreibt, wird aufgegriffen in Zeldas Essay „Führen Sie Mr. und Mrs. F. zu Zimmer Nr. –“, der dem schmalen Bändchen weitere 30 Seiten hinzufügt. Darin beschreibt Zelda, wie Scott und sie jahrelang durch die U.S.A. und Europa reisen, von Hotel zu Hotel, ohne jemals an einem Ort länger zu verweilen. Trotz des Gefühls einer permanenten Fluchtbewegung gelingen ihr poetische Momentaufnahmen voller Liebe zum Detail – beinahe, als würde man ein leicht vergilbtes Fotoalbum durchblättern, mit einem Hauch von vorgezogener Nostalgie. Bedenkt man, dass der Text zehn Jahre nach Scotts literarischer Verarbeitung ihres Roadtrips nach Alabama entstand, zu einer Zeit, als ihre Ehe bereits durch schwere Krisen, Alkoholexzesse und psychische Probleme zerrüttet war, verwundert es, dass all diese Konflikte keine Erwähnung finden.
Und selbst „Die Straße der Pfirsiche“ wirkt, trotz aller Widrigkeiten, wie die Ruhe vor dem Sturm: Wenn das junge Paar in einer Hotellobby schief angesehen wird, dann wegen seiner ölverschmierten Kleidung oder Zeldas Knickerbocker-Hosen, die in den Südstaaten um 1920 als unschicklich für Frauen gelten – und nicht wegen der Skandalauftritte und hysterischen Szenen, für die Scott und Zelda wenig später traurige Berühmtheit erlangen. Im Nachhinein liest sich der Reisebericht wie ein leichtfüßiges Prequel zu der katastrophalen Achterbahnfahrt, in die ihre Ehe alsbald münden würde.
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