Agent provocateur
Max ist Lehrer, deprimiert und weiß nicht so recht, wohin mit seiner Zeit, Libido und Lebenslust. Das heißt, vor allem mit seiner Zeit. Denn seine Libido hat er in Tagträume verbannt und die Lebenslust scheint ihm abhanden gekommen zu sein. Damals wohl, als sich Maria von ihm trennte. Die muss er nun wiedersehen, denn es geht zurück in die Heimat. Die Eltern verreisen und irgendjemand muss doch derweil auf den Hund aufpassen. Warum also nicht Max, der in den Sommerferien ohnehin nichts anderes zu tun hat außer sich hin und wieder Naturdokus anzuschauen.
Er reist also nach Königsburg, ein Kaff in der Nähe von Villingen-Schwenningen, und damit auch in die Vergangenheit. Die Vergangenheit, die nun mit der heutigen Realität konfrontiert wird. Maria lebt wieder hier, ihr Studium hat sie abgebrochen. Jan, der damals so halb etwas mit Maria laufen hatte, lebt da auch. Die Eifersucht von damals regt sich erneut, aber im Grunde findet Max den Jan doch ganz nett und kann sich sogar die eine oder andere homoerotische Fantasie nicht verkneifen. Sowieso: Marie, Jan und er, zu dritt, das wäre doch was.
Max‘ Eltern allerdings sterben auf Kreta bei einem Hausbrand, woraufhin er samt seiner Depression nach Griechenland reisen muss. Immer dabei hat er die Kamera, mit der er die Fauna der Insel erkundet. Bei der dort lebenden Hannah – mit der seine Eltern in ihrer Jugend auch so ein Dreieck bildeten – lebt er sich gut ein, freundet sich mit ihrem Sohn Timon an. Bald aber kommt schon die Zeit, weiterzuziehen. Nach New York, wo er einen Dealer, den er aus einer Dokumentation kennt, ausfindig macht. Er bedroht ihn mit einer Waffe, um ihm zu zeigen, wie das ist, bedroht und erniedrigt zu werden. Es ist eine persönliche Rechnung, die Max mit der Welt begleichen muss. Sie steht offen, seitdem er vor Jahren, ebenfalls in den USA, Zeuge einer Gewalttat wurde und nichts unternahm, um sie verhindern. Stattdessen pisste er sich die Hose voll.
Max, der das Leben vorwiegend aus dem Fernsehen kennt und am Anfang des Romans nur leise »Ich könnte mich mal bewegen« seufzt, rafft sich schließlich in New York auf. Zurück in der baden-württembergischen Heimat zeigt er sich geläutert und nimmt die Dinge von nun an in die Hand, präsentiert seinem Freundeskreis die erste eigene Naturdoku. Hin und wieder schlafen er, Marie und Jan sogar zu dritt in einem Bett. Es ist das versöhnliche, enttäuschende Ende einer ziellosen Geschichte von einem, der seine Dämonen bekämpfen muss und am Ende obsiegt. Eine Geschichte, die schon oft erzählt wurde, spannender und konfliktreicher zumeist. Am Ende schmeißen wir mit Gold ist ein blutleerer Roman, dröge, langweilig und vorhersehbar.
Fast wirkt es, als habe Fabian Hischmann das bewusst forciert, einen gestischen Meta-Roman geschrieben, der seiner eigenen Bedeutungs- und Ereignislosigkeit beim Herumdümpeln zuschaut. So formelhaft sich der Plot liest, so klischeehaft wird er aufbereitet. Der erste Satz des Romans ist gleichzeitig auch der letzte, dazwischen versucht Hischmann einige Leitmotive aufzubauen, die Freud im Grabe hätten rotieren lassen: Nicht nur schleppt Max stets eine Kamera mit sich herum, er fantasiert auch ständig davon, eine Waffe zu gebrauchen.
Phallussymbol reiht sich an Phallussymbol, um aus dieser verschleppten coming of age-Story die Geschichte von der Wiedererlangung der eigenen Potenz zu machen. Nicht allein der sexuellen, sondern auch geistige. Das Pathos hätte sich Hischmann sparen können, stattdessen aber nutzt er jede sich bietende Gelegenheit, um auf die Tränendrüse zu drücken. An seinem Geburtstag sitzt er auf Kreta im Kreise der Gastfamilie, »die meine echte Familie auf dem Gewissen hat. Ich bin unendlich gerührt und zugleich unendlich wütend. « Ungelenker lässt sich das kaum ausdrücken. Atmosphärische Dichte schafft Hischmann mit den aneinander gereihten Episoden und Reflexionen jedoch nicht.
Ein Plot, wie aus einem angestaubten Lehrbuch für creative writing entnommen, holprige Stilistik und eine vage, überdosierte Metaphorik – und dann kommt auch noch eine Nominierung für den Preis der Leipziger Buchmesse dazu. So hat sich Hischmanns Roman unversehens zu einem agent provocateur entwickelt. Zu einem Beispiel dafür, wie schlecht es um die deutschsprachige Gegenwartsliteratur bestellt ist. Ja, genau, die deutschsprachige Gegenwartsliteratur. So argumentieren es zumindest einige Stimmen im Feuilleton, zuerst Richard Kämmerlings in der WELT.
Die um Am Ende schmeißen wir mit Gold kreisende Debatte zeugt von der Befangenheit ihrer Kritiker_innen. Diese echauffieren sich breit über die Institutionalisierung der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur durch Schreibschulen wie die Universität Hildesheim oder das Literaturinstitut Leipzig. Vermeintliche Lehrfabriken, in denen Kids aus gutem Hause – wie Florian Kessler Ende Januar in der ZEIT wetterte – zur Konformität herangezogen werden. Kessler spricht aus eigener Erfahrung, er hat in Hildesheim studiert. Genauso wie Hischmann, den es auch nach Leipzig verschlug. Doppelt schlimm also.
Reden die Feuilletonist_innen von der Gegenwartsliteratur, so sprechen sie von den Büchern, die bei ihnen auf dem Schreibtisch landen. Die von den großen Verlagen, die mit den höchsten Auflagen, die liegen ganz oben, weil sie am relevantesten sind. Die Nominierung für den Preis der Leipziger Buchmesse kann gut und gerne mit Relevanz gleichgesetzt werden. Denn eine Buchmesse, das ist eben genau das: Eine Messe. Hier werden Produkte präsentiert, hier wird genetzwerkt, hier werden der Status Quo der Branche und die Trends von morgen ausgestellt und diskutiert. Heißt: Es geht um Geld. Und wenn es um Geld geht, ist die Relevanz eben gegeben. Das Feuilleton muss sich dieses Treiben anschauen und kommentieren, weil es Teil des Schauspiels ist. Das diktieren die brancheninternen Zwänge.
Die Konformität und das Monopol der Schreibschulen, welches das Feuilleton bekrittelt, konstituiert es jedoch selbst, indem es die Stagnation des Buchmarktes lamentiert, anstatt für die eigene Leserschaft den Blick über den Tellerrand zu ermöglichen. Kämmerlings und Kessler, sie weisen zwar beide auf die – ihrer Ansicht nach rar gesäten – Ausnahmen hin, in Nebensätzen. „Dennoch, es ist der Sinn einer Polemik, mit grobem Keil zu spalten“, schreibt Kämmerlings. Wäre diese Polemik nicht selbst in alten Mustern befangen, könnte sie das vielleicht erreichen. Stattdessen aber reproduziert sie Klischees, die abgeschmackter sind als die, die Hischmann so unelegant ineinander montiert. Sei’s drum: Kulturpessimismus sells, hat immer Hochkonjunktur.
Dass sich die Kritik in aufsehenerregender Larmoyanz übt, darüber fluchen wiederum Indie-Verlage. Deren Schriftsteller_innen derweil wüten gegen die harschen Vorwürfe, wehren sich gegen die Stigmatisierung als erfahrungsarme, stromlinienförmige Mittelschichtskids. Gegenbeispiele werden herbeigezogen, das genaue Gegenteil wird behauptet: Uns geht es gut, nur leider hört uns niemand zu. Wem ist da Glauben zu schenken? Lohnt es überhaupt, über den Status Quo nachzudenken? Oder sollten wir lieber die Branche dafür verantwortlich machen, dass sie uns zu wenig zumutet, mit Stangenware abspeist sowie die Kritik dafür, dass sie fast ausschließlich diese goutiert?
Sonderlich aufregend lesen sich die für den Preis der Leipziger Buchmesse nominierten Romane, die durchweg bei großen Verlagshäusern erscheinen, nicht. Klar: Abenteuerliche Literatur zieht unkalkulierbare Risiken mit sich. Kein Wunder, dass die deutschsprachige Gegenwartsliteratur von dieser Seite aus betrachtet langweilig und konform wirkt. Sie ist es wohl auch, Am Ende schmeißen wir mit Gold mag sogar als Exempel herhalten – aber eben nur für einen den Markt dominierenden Ausschnitt.
Ob der Status Quo übrigens jemals anders war, das lassen uns übrigens weder Kämmerlings noch Kessler wissen. Irgendein l’age d’or wird es scheinbar gegeben haben, vor Kulturindustrie und Lernfabriken. Damals, als die deutschsprachige Gegenwartsliteratur noch aufregend war, direkt aus dem Erfahrungsreichtum der unteren Klassen geschrieben. Als Romane noch die Tür eintraten, Whiskeygläser an die Wände schmissen und dem ganzen verstockten Literaturbetrieb zum Abschied einen kräftigen Tritt in den Arsch verpassten. Moment mal, gab es das? Nein, nicht wirklich.
Die wirtschaftliche Lage, die Kessler anspricht, sie mag sich zwar zugespitzt haben und damit gewisse Zwänge mit sich bringen, ist aber höchstens eine Extrapolation dessen, was die Buchbranche seit ihrer Formierung ausmacht. Die Kritik daran bewegt sich in ihr und, schlimmer noch, folgt nur ihren Mechanismen. Und nimmt so die eigene und die potenzielle Leserschaft der deutschsprachigen Literatur nicht ernst.
Hischmann wird den Preis der Leipziger Buchmesse wohl nicht gewinnen. Weniger der Debatte wegen, sondern vielmehr, weil sein Roman ebenso inhaltsarm wie mittelmäßig erzählt ist. Im schlimmsten (oder: bestmöglichen?) Fall wird ihn wohl Mosebach absahnen. Das wäre zumindest der denkbar treffendste Beitrag zur Debatte: Damit würde die Branche zumindest ihre eigene Verstocktheit offen zugeben, anstatt zornig mit der Faust gen verkehrsberuhigter Zone zu wettern.
Worüber sich Hischmann jedoch freuen dürfte: Die Kontroverse, dieser feuilletongestützte shitstorm, hat Aufmerksamkeit auf diesen Roman gelenkt. Der wird sich wohl prächtig verkaufen, frei nach einer Gesetzmäßigkeit des Literaturbetriebs: Wo viel geredet wird, wollen alle mitreden, wie überflüssig und scheinheilig die Diskussion auch sein mag. Der Rundumschlag gegen die deutschsprachige Gegenwartsliteratur wird dazu führen, dass die exemplarisch herangezogenen Langeweiler gekauft werden. Auch eine Möglichkeit, sich Zustimmung für die eigenen Thesen einzuholen.
Die Debatte wird wohl noch bis zum Ende der Leipziger Buchmesse geführt werden. Danach können wir uns alle endlich wieder mit anderen Texten beschäftigen. Die müssen nicht von einem großen Verlag herausgegeben, von einem Akademikerkind ohne nennenswerte Lebenserfahrung geschrieben worden sein. Sie müssen nicht mal in Form eines gedruckten Buchs kommen. Es könnten eBooks sein, Blogs oder Podcasts. Vielleicht möchte dann auch jemand darüber etwas schreiben – oder wird das dann etwa nicht oft genug gelesen?
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