Von Innen nach Draußen nach Drinnen
Farhad Showghi versucht in seinen jüngst bei Kookbooks erschienenen Prosagedichten „In verbrachter Zeit“ ein Kunststück, und kein kleines: einen ganzen Lebensweg sinnlich, innerlich und äußerlich vorsichtig tastend zu skizzieren. Der Bogen, den er dafür in seinen drei Kapiteln an Texten, die oft nur wenige Zeilen umfassen, spannt, ist dabei vergleichsweise simpel, ebenso wie seine Symbolik: Im ersten Abschnitt („Ich muss das meinem Vater erzählen“) bewegt sich das lyrische Ich aus einem Innenraum heraus, einem Haus, aber auch aus sich selbst, erst in einen Garten, dann in die Welt hinein, die im zweiten Kapitel („Neben Hecken, Häusern und Gras“) erkundet, erlebt, „verbracht“ wird, bis das Ich im dritten Teil („In verbrachter Zeit“) selbst Vater ist; andeutungsweise taucht dort ein Sohn auf, der wie ein Spiegelbild des Ich im ersten Kapitel scheint, während das Vater-Ich am Ende des Buches sich ins Innen zurückzieht.
So einleuchtend der Rahmen ist, so sehr verlangen die einzelnen Gedichte, dass man sich ganz auf sie einlässt, sie mehrfach, mindestens dreimal liest, laut, leise, langsam, im Rhythmus, den ihre Sprache vorgibt wie ein geduldiges Metronom. Es sind Texte, die sich dem Nebenbeilesen gänzlich verschließen und verschließen wollen, es sind Texte, die den Leser auffordern, sich all seiner Sinne bewusst zu werden, und zugleich seines Ich in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, denn die „verbrachte Zeit“ ist nicht auf einen bestimmten Moment festzulegen, sondern spannt mit jedem Ansatz den kompletten Bogen neu, der in jeder Empfindung, in jeder Wahrnehmung zur Gänze enthalten ist:
Nichts Genaues, was wir nun zu wissen beginnen von zwei Lehnstühlen aus. Wie wir uns in Bewegung setzen, im weiteren Fortgang auch in Verbindung bringen. Einige Helligkeiten neigen mitunter zum schönen Tag, einer Weitmoosstille und einem Soundso. Doch Gerede und Anschein können jetzt nur als Heufeld mit Hügelrücken an die Luft. Es kommt ja niemand zum Fragen, aber eine Zeit auf uns zu. Kurzerhand unser Schrittgeräusch. Aus seiner natürlichen Entfernung.
Was zum Beispiel ist das, die natürliche Entfernung unseres Schrittgeräusches? Ein Spiel mit der Wahrnehmung von etwas, das so alltäglich ist, dass man es kaum wahrnimmt, es sei denn, man misst ihm Bedeutung bei. Und bei Showghi hat alles Bedeutung, vor allem das vermeintlich Unbedeutende, das, was man zu übersehen neigt, was die selektive Wahrnehmung aus dem Grundrauschen des Alltags zuverlässig rausfiltert. Die Sprache dieser Gedichte ist in höchstem Maß präzise, was dazu führt, dass sie eben gerade nicht in Eindeutigkeiten endet, sondern in Polyphonie:
Aber gehen wir doch, wo andere Richtungen infrage kommen.
Der Leser findet sich erstmal verwirrt, wie auch das Girih-Muster des Buchcovers etwas von einem Irrgarten hat, auf den ersten flüchtigen Blick – auf den zweiten, genaueren hingegen seine klare und schlüssige geometrische Struktur erkennen lässt, die erkundet werden möchte. So auch die Gedichte, in denen man viel Zeit verbringen kann, wenn man bereit ist, sich auf sie einzulassen.
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