Speziell und orientalisch – und trotzdem zuverlässig hier
Aus den Rif-Bergen fließt das Kif in die Gassen von Tanger und überschwemmt die Hirne europäischer Literaten. „Naked Lunch“ ist hier entstanden und Burroughs hat selbst beteuert, er wisse nicht mehr wie. „Paul“ hat hier gelebt, wie man ihn in Tanger nannte und als den man ihn kannte – Paul Bowles kam 1931 ins Land und dann immer wieder. Irgendwann strandete er in Tanger und hat wundervolle Bücher geschrieben. Sofern man sich nicht in die steifen Korsetts des literarischen Bin-so-schlau-Kopfkinos einschnürt und Gedichte zusammenbastelt, die kein Mensch lesen will, landet man irgendwann bei Poeten wie Bowles. Auch Florian Vetsch, schweizer Lehrer für Deutsch und Philosophie, hat Bowles für sich entdeckt, übersetzte dessen Gedichte unter dem Titel „Nichtsnah“. Er hat ihn aufgesucht und zur „Mutter der Avantgarde“ Getrude Stein interviewt , hat auch Mohammed Choukri besucht, den marokkanischen Dichter, den Bowles aus den Mülltonnen von Tanger emporzog. Und war jetzt wieder in Marokko. Auf Urlaub, vier Wochen. Und hatte sein Notizbuch dabei. Es entstand „Carnet de Fes - Ein Sommer in Marokko“.
„Florian Vetsch hat wahrscheinlich in mehr jungen Menschen die Lust auf Literatur geweckt, als die gesamte Schweizer Slamszene.“ vermutete Etrit Hasler in einem kurzen Portrait in der Zeitschrift Saiten. Lust auf Literatur. Die sieht in unseren Breiten sehr unterschiedlich aus. Es gibt eine große Breite, in der sich lustvoll vieles tümmelt. Aber auch vieles staubtrocken vor sich hinmümmelt. Florian Vetsch hat zusammen mit Bouchra, seiner marokkanischen Frau, für einige Zeit in St. Gallen die Syrano Bar betrieben, er hat Literatur dort verknüpft mit arabischer Musik, Klängen von Oud und Darabourka, und damit Vibrationen erzeugt, von denen Ira Cohen (der New Yorker Tausenddada, er war der erste der dort las), sagte „dass man selbst in New York keinen Ort fände, an dem solche Vibes in der Luft schwängen“.
Die Notizen aus diesem Sommer in Marokko, der wie jeder Sommer in Marokko langsam, aber viel zu schnell vergeht, sind Postkarten und ganz private Aufzeichnungen. Gedichtentwürfe, Tagebuchseiten und „Flashlights auf Freunde, Malerinnen und Intellektuelle in Fes, Rabat und Tanger.... Der Autor trinkt Volubilia, den befeuernden Wein des Landes. Wer denkt bei diesem Namen nicht an Wollust, Wohlergehen und Jubilieren?“ (Joachim Sartorius). Aber auch Grauen. Vetsch besucht den jüdischen Friedhof in Fes, 12000 Tote ruhen dort. Und wacht auf.
Grauen
Einen Stein auf
Jemandes Grab gelegt –
Seinen Namen habe ich
Vergessen.Nachts erschien er mir.
Die Decke zu meinen Füssen
trug seine Form.
Daß wir Carnet des Fes so schnell in den Händen halten, verdanken wir Axel Monte, der 2009 seinen Verlag Books Ex Oriente gründete und der mit Florian Vetsch befreundet ist. Er hat u.a. zusammen mit ihm das einzigartig zusammengeschnippelte, polyglotte Copy-Art Magazin Rude Look Oriental herausgegeben. Hier treffen sich Beat und Orientalistik.
Axel Montes Name begegnete mir das erste Mal als Übersetzer von Jack Black’s „Der große Ausbruch aus Folsom Prison“, ein Buch das Burroughs sehr beeinflußt hat und eines der wenigen Prosabücher, die ich in den letzten beiden Jahren gelesen habe, ein einzigartiges authentisches literarisches Dokument. Monte hat auch D. H. Lawrence übersetzt, Tagore oder Kushwant Sing. Ein Teil seiner Arbeit als Übersetzer spiegelt sich auch im Verlagsprogramm; dort finden wir ins Deutsche gebrachte Aufsätze über „Jüdische und islamische Mystik“, „Indoeuropäische Märchen und Mythen“ und die „Philosophia Perennis und das Christentum“. Aus diesem Wissen schöpft er auch, wenn er beispielsweise in „Asphalt Derwisch“ zusammen mit Hadayatullah Hübsch, Zitate hin und her spielt, die zwischen Beat und Koran, Mystik und Popsong wie endlose superstrings aufgespannt sind und vibrieren.
Ich wollte wissen, wie das vor sich ging mit dem Verlag Books Ex Oriente:
FM:
In einer meiner Bands wuchs ich hinterm Schlagzeug hervor und landete schließlich an der Gitarre - das lag daran, weil keiner die Harmonien spielen wollte und konnte, die ich mit ehrlicher, rauher und neuartiger Musik verband. Ist es etwas Ähnliches, was dich dazu brachte, einen Verlag zu gründen - der Mangel andernorts, der dazu führte innerorts einen Rahmen für die eigenen Begriffe und Welten zu suchen, eine Fläche, auf der sich zeigen kann, was für dich zusammenghört?
AM:
Schöner und treffender hätte ich es nicht ausdrücken können, das Bild gefällt mir.
FM:
Die Publikationen in deinem Verlag sind sehr vielseitig aufgestellt. Übergreifend lese ich darin ein Interesse am Menschen, das über Schminke und Entwurf hinausgeht. Empfindest du den heutigen Mensch als geschminkt? Siehst du Landeplätze, an dem sein Entwurf doch noch ankommt? Kann die Literatur noch helfen?
AM:
Zuweilen empfinde ich bei vielen Menschen eine gewisse Maskenhaftigkeit. Bei Moshe Feldenkrais las ich kürzlich, dass die Menschen den Spiegel zumeist vor ihre Maske halten (also ihr wahres Gesicht nicht sehen können oder wollen). Das finde ich eine kluge Beobachtung, es könnte erklären, warum die heute ausgiebig betriebene Selbstbespiegelung keine Änderung zum Besseren bewirkt. Ob die Literatur helfen kann oder je geholfen hat, darüber mache ich mir ehrlich gesagt nicht viel Gedanken.
FM:
Aber es gibt das Buch, das dich fesselt, das dich an Orten erreicht, die andere Bücher nicht erreichen? Welches war das letzte Buch, das dich regelrecht fasziniert hat.
AM:
Aber sicher, ich lese viel und gerne. Leider ist Deine Frage nicht unbedingt mit meinen Lesegewohnheiten in Einklang zu bringen, da ich mich zum Teil auch mit recht seltsamer Fachliteratur und abseitigen Themen beschäftige, für die ich mich auch begeistern kann, was jedoch eher schwer nachzuvollziehen ist, wenn man sich selbst nicht mit diesen Dingen beschäftigt. Ich will dennoch eine Antwort geben. Zur Zeit lese ich zum Beispiel viel W. G. Sebald, den ich lange nicht wahrgenommen habe. Die "Ringe des Saturn" ist für mich eines der besten und schönsten deutschsprachigen Bücher. Und von David Albaharis Buch "Die Ohrfeige" bin ich auch restlos begeistert, es ist 2007 oder 2008 auf Deutsch erschienen.
In Axel Monte haben wir einen Dichter und vielseitig interessierten Literaturvermittler, der sicher ausfällen kann, was luxuriöse Kopfgeburt und was echte menschliche Sprache ist. Er ist ein Suchender, der das Finden nicht verlernt hat. Vielleicht, weil die Orte, an denen er seine Fragen aufstellt, keine abseitigen sind. Auch wenn sie speziell und orientalisch scheinen, haben sie eine Verbindung zu dem, was uns zuverlässiger spiegelt als das eingequetschte Selbst unserer labyrinthisch montierten Zeit.
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