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Kritik

Geschichtslektionen

Zeitgenössische Notate aus einer anderen Epoche
Hamburg

15.12.2012  |  DICHTER UND PUBLIZIST GERHARD SCHÖNBERNER GESTORBEN.
Wie sein Hamburger Verlag mitteilt, ist Schönberner überraschend an einem Schlaganfall verstorben. Fixpoetry trauert um ihn.

Dieses Gedichtbuch ist leicht lesbar und hat es dennoch in sich. Hier spricht eine überlebende Stimme des zwanzigsten Jahrhunderts. Geschichtliche Räume werden mit knappen Worten umrissen und spürbar gemacht. Die Texte des politischen Publizisten Gerhard Schoenberner enthalten keinen doppelten Boden, weder sprachlich noch inhaltlich; sie sind in ihrer appellativen Symbolik eindeutig: Diese poetischen Notate erschließen sich beim ersten Lesen. Es geht um Krieg und Vertreibung, Flucht und Emigration; es geht um Frieden und Gerechtigkeit, um Menschheitsüberleben und Einzelschicksale.

Schoenberners Textauswahl umfasst beinahe ein ganzes Jahrhundert. In seinen Texten wird immer wieder die Frage nach einer gerechten Welt reflektiert, die Perspektive des Außenseiters demonstriert. Prosagedichte, wie der Untertitel diese Texte bezeichnet, sind dies insofern, als hier autobiographisches Erzählen aufs äußerste auf die grundlegenden Informationen, Eindrücke oder Erkenntnisse reduziert ist; dokumentarische Lebensberichte im Telegrammstil gewissermaßen. Diese stilistische Schlichtheit erzielt mit ihrer Lakonik oft eine unmittelbare Wirkung, besonders, wenn sie in Kontrast zum Erzählten tritt: Von Bedrohung, Enttäuschung, Verlust und Tod ist hier oft in knappsten Worten die Rede. Stark sind Schoenberners Texte da, wo sie erlebte Geschichte erzählen, das Allgemeingültige im Persönlichen sichtbar machen; banal wirken sie, wo persönliche Impressionen einfach nur registriert werden. Immer jedoch herrscht sprachliche Schlichtheit und Klarheit, eine Brechtsche Knappheit mit didaktischen Botschaften und implizierten moralischen Appellen, nicht selten am Rande des Agitprop. Fragen sind in diesen Texten in der Regel rhetorische Fragen; statt von Lehrstücken könnte man hier von Lehrgedichten sprechen. Da spricht einer, der Bescheid weiß, der Gut und Böse kennt, der sich seiner Ansichten sicher ist; einer, der die Welt auch 2012 in universeller Menschheitsperspektive und vom eindeutigen Klassenstandpunkt aus betrachtet.

Gerhard Schoenberner, Jahrgang 1931, wurde durch seinen 1960 erschienenen Band „Der gelbe Stern“ über die Judenverfolgung der Naziära zu einem der wichtigsten Autoren der deutschen Nachkriegsepoche.  „Fazit“ ist nun das politisch appellative Vermächtnis eines bedeutenden linken deutschen Publizisten, der bislang als Lyriker nicht in Erscheinung trat: Das Buch erschienen folgerichtig im kleinen marxistischen Programm-Verlag Argument-Ariadne, der seit 1959 vor allem für politische Sachbücher und Krimis, nicht aber für die Herausgabe von Lyrik bekannt war.

Gerhard Schoenberner
Fazit
Argument+Ariadne
2011 · 150 Seiten · 17,90 Euro
ISBN:
978-3-886194889

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