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Kritik

Wir schaffen das!

Hamburg

Nur ungern spricht, wer von Literatur und Philosophie spricht, von Pflichtlektüre. Hier aber muß man es; wer von den Flüchtlingen spricht, was freilich meist bedeutet, man habe den Rechten zugebilligt, die Themenwahl zu diktieren – denn weder finanziell noch kulturell sind sie derzeit die Herausforderung, wozu sie Storch & Co. stilisieren, um von der eigenen Inkompetenz in den wichtigen Fragen abzulenken –, der muß diese Überlegungen kennen.

Denn Hannah Arendt skizziert zwar auch, was die Situation der Juden im Zweiten Weltkrieg war, wie leicht man nämlich von der Fremdzuschreibung, man sei Jude, zu der gelangte, einer der Deutschen („boches”) zu sein, der doch vor dem, was damals deutsch war floh:

„Man sagte uns sogar, wir müssten diese Bezeichnung akzeptieren, wenn wir wirklich gegen Hitlers Rassentheorie wären”,

so die, denen man den perfiden Gebrauch dessen, was nicht ihr Antisemitismus sei, nachsagen wird müssen. Das war… Aber schon eben diese Paradoxie, mit dem identifiziert zu werden, was zur Flucht zwang: Extremismen vor Ort (und dazu: Waffenexporte aus u.a. Deutschland), sie ist aktuell.

Aktuell ist auch das Recht auf ein individuelles „Geschick” als Ziel – und, daß es dazu viel zu oft nicht ausreicht, ein Mensch zu sein, daß man am besten Netzwerke habe, weil es „in dieser verrückten Welt viel leichter ist, als »großer Mann« akzeptiert zu werden, denn als menschliches Wesen.”

Ebenso wäre der Hinweis zu berücksichtigen, daß angebotene Integration auch die Integration dessen, der kommt, zu bewirken, nicht Zwang, Gastlichkeit die Kraft gibt, die „eigene Integrität zu wahren”, die kein Verdacht wider den Migranten sein soll, sondern eine Hoffnung sein muß, die er und sein neues Land für ihn teilen. Was für Menschen gilt, für Volksgruppen, für Länder unter Ländern – die Warnung ist zu betonen:

„Und die Gemeinschaft der europäischen Völker zerbrach, als – und weil – sie den Ausschluss und die Verfolgung seines schwächsten Mitglieds zuließ.”

Das heißt alles nun nicht, daß wie einst Großteils schon immer Integrierte kommen, deren „Patriotismus eine Routinefrage oder eine Übungssache wäre”, „ideale[n] Einwanderer”, aber wie man lösen kann, was manche als Problem empfinden, wie aus Risiko Chance wird, das lehrt der Text, man muß es lesen, man muß es weiterdenken. Ein wichtiges Buch!

Hannah Arendt
Wir Flüchtlinge
Übersetzung:
Eike Geisel
Mit einem Essay von Thomas Meyer
Reclam
2016 · 64 Seiten · 6,00 Euro
ISBN:
978-3-15-019398-3

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