Anzeige
Komm! Ins Offene haus für poesie
x
Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Unterm Dach wohnt das Angekommene

Der Dichter Harald Grill lebt in einem bayrischen Dorf, kennt daher diese Welt aus eigener Erfahrung. Als ihm der Fotograf Stefan Winkelhöfer, der in einer Nachbargemeinde lebt, einige Fotos aus dem Zyklus „Gesichter eines Dorfes“ zeigte, geschah etwas, das den Autor verblüffte: „Er ließ mir die Bilder zwei Wochen da und in kurzer Zeit entstanden Gedichtentwürfe. Ich bin kein Schnellschreiber, für meinen letzten Gedichtband auf freier strecke (erschienen 2008 im Verlag Sankt Michaelsbund) benötigte ich zwölf Jahre.“ In diesem Fall aber wirkten die Fotos derart anregend, dass Harald Grill sein Schreibtempo radikal beschleunigte. Das Ergebnis ist der vorliegende Foto-Gedicht-Band. 45 Gedichte nehmen Bezug auf die Fotos, lassen sich in die Bilder „hineinfallen“, nehmen beim Wort, was die Linse, das „fotografische Auge“ der Spiegelreflexkamera, festgehalten hat.

Fotos von Menschen in ihrer Umgebung, bei der Arbeit, am Stammtisch. Physiognomien, in denen sich sowohl ihre Haltung als auch ihr Leben ausdrücken. Da der Fotograf aus der Stadt in das Dorf „zugewandert“ ist, ist sein Blick neugierig und das Vertraute muss er sich erst schrittweise aneignen, indem er sich langsam annähert. Diese poetische Vorgangsweise macht den Reiz der Bilder aus. „unsere arbeit / wächst uns / über dem kopf / zusammen // sie ist uns / ein schützendes dach“, schreibt der Dichter. Eine alte Frau rastet auf einer Bank, darüber die Krone einer Linde, daneben eine kleine Kapelle. „kein könig kein kaiser kein papst / konnte sich je einer solchen krone rühmen.“

Fast ein „meditatives“ Buch, das dazu einlädt, sich immer wieder darauf einzulassen: auf der rechten Seite das Foto, auf der linken das Gedicht. „käme ein bus / wir würden nicht einsteigen / wir würden stehenbleiben / als wären wir längst angekommen.“ Ein Buch, um zu verweilen, um Menschen wahrzunehmen, von denen man dachte, das würde es nicht mehr geben: Wenn ein Mann mit dem Hammer seine Sense dengelt; der Schmidt vor seinem Amboss steht und die Esse noch lodert; ein Fußballwart den Rasen für das nächste Regionalspiel markiert; der Motorradfahrer auf einem Gerät sitzt, das anderswo bereits im Museum seinen Platz gefunden hat. Vielleicht ein wenig Nostalgie, vielleicht eine Bestandsaufnahme einer Zeit, die sich sonst allzu leicht und allzu gern davon hetzt.

Harald Grill · Stefan Winkelhöfer
Gesichter eines Dorfes
Menschen und Dorf im Wandel der Zeit
Buch & Kunstverlag
2009 · 104 Seiten · 24,80 Euro
ISBN:
978-3-935719612

Fixpoetry 2010
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge