Von Männern, die keine Frauen respektieren
Der Herbst ist die offizielle Murakami-Jahreszeit. Nicht nur, weil es sich so herrlich in den verklärten Prosa des japanischen Romanciers versinken lässt, während vor dem Fenster die Welt welkt. Sondern weil jedes Jahr aufs Neue die Debatte beginnt, ob er ihn wohl diesmal kriegt. Den Literaturnobelpreis nämlich. Murakami-Fans hegen dieselben Hoffnungen wie sie sich das Feuilleton zu Philip Roth und Bob Dylan-Anhänger_innen zum nuscheligen Folk-Sänger machen: Dass ihr Idol endlich, endlich vom Nobelpreis-Komitee die verdiente Anerkennung erhält.
Murakami hat von den dreien wohl auch die besten Chancen: Er ist einerseits ein Romancier im tradierten Sinne wie Roth und steht Dylan in Sachen Publikumsgunst keinen Deut nach. Trotzdem hat er auch 2014 nicht die begehrteste Literaturauszeichnung der Welt, die sich schon vor Jahren in ein reines Politikum vom Schlage des Eurovision Song Contests entwickelt hat, gewonnen. Erneut, wie jeden Herbst eben, werden Gründe dafür gesucht.
Liegt es daran, dass Murakamis Romane und Kurzgeschichten redundant sind, weil sie immer wieder dieselben Motive verwenden? Tokyo, zur Zeiten der Studentenaufstände: Ein junger Mann kann sich nicht zwischen zwei Frauen entscheiden und trinkt stattdessen lieber Whisky, hört Jazz und die Beatles oder liest ein gutes Buch, gerne ein amerikanisches oder eins von Thomas Mann. Er hat ja immer noch diese mysteriöse Katze an seiner Seite. Das ist der Setzkasten, aus dem sich Murakami häufig bedient.
Das Formelhafte an Murakamis Literatur nimmt zweifellos ermüdende Züge an, jedoch verkennt die westliche Kritik den Background des Japaners: In seinem Heimatland wird Literatur anders produziert als bei uns. Näher an der Leserschaft geschrieben, mit höherer Frequenz veröffentlicht. Der Vorwurf könnte gegen die Mehrheit der japanischen Literaturschaffenden gerichtet werden (Banana Yoshimoto beispielsweise kleidet ihre Prosa gerne in Schlaflosigkeit, Alkoholismus, Hantologie und Weiblichkeit), er wäre jedoch ignorant. Eigentlich ist es nicht die Quantität, mit der Murakami seine gewohnten Erzählelemente auffährt. Es ist ihre Qualität.
Parallel zur müden, müßigen Debatte erscheint ein neuer Kurzgeschichtenband Murakamis, er heißt Von Männern, die keine Frauen haben. Er hätte aber auch Von Frauen, die Männer betrügen heißen können, denn darum geht es im Grunde in fünf von sieben Stories: Weiblicher Untreue. Jedoch schreibt Murakami für gewöhnlich aus männlicher Perspektive und hat seine vormalige verträumte Melancholie gegen eine verklärte Form von Trostlosigkeit eingetauscht, wie bereits sein letzter Roman Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki andeutete. Deshalb geht es nur um Männer und wie es ihnen geht, wie es ihnen mit und ohne all diese Frauen ergeht. Schlecht meistens, na klar. Dass das ihre eigene Schuld sein könnte, das wird ihnen aber nicht so recht bewusst.
Die Männer, die keine Frauen haben sind Experten dafür, wie Frauen Auto fahren, sie begutachten »volle Brüste« und nehmen in der Schule Theaterunterricht, weil sie »mit den Mädchen zusammen sein« wollen. Sie freunden sich mit den alten Liebhabern ihrer verstorbenen Frau an oder bieten ihren besten Freunden die eigene Freundin an, weil sie vor lauter Reinheitskomplexen keinen Sex mit ihr haben möchten. Stattdessen vermuten sie, dass »alle Frauen von Geburt an mit einem eigenständigen Lügenorgan ausgestattet seien. « Stammtischgebrabbel, gefiltert durch nöliges Selbstmitleid.
Als »Mittelklassemüll« empfinden sich diese geknickten Alpha-Männchen, als Betrogene oder Belogene schlucken sie ihren Schmerz herunter und suchen sich – natürlich – Frauen, um ihn irgendwo anders abzuladen. Frauen, die sie durch die Gegend kutschieren und denen sie sich anvertrauen, weil sie ihre Töchter sein könnten. Oder Frauen, deren Namen sie nicht einmal kennen, die aber nach dem Sex wunderbare Geschichten erzählen. Oder Frauen, die in die Zimmer von Männern einbrechen, um sich Bleistifte zu klauen, auf denen sie dann herumkauen – selbst Sigmund Freud würde nur genervt mit den Augen rollen. Erst recht über die Männer, die bei jedem Westwind eine Erektion bekommen und bei Fahrstuhlmusik zu lüstern beginnen, weil sie das an verflossene Geliebte erinnert.
Von Männern, die keine Hobbies haben wäre ebenfalls ein patenter Titel gewesen. Oder Von Männern, die viele Probleme haben. All das Leid und die Moll-Akkorde entschuldigen keineswegs den latenten, erschreckend stupiden Sexismus der ersten fünf Geschichten. Selbst die umgedrehte Franz Kafka-Appropriation in Samsa In Love oder der unterwältigende Versuch, mit der Titelgeschichte an die alten Stärken des magischen Realismus‘ anzuknüpfen, scheitern an ihrer Einfallslosigkeit. Denn wenn Murakami die eigenen Klischees mit solcher Rigorosität selbst verhärtet, ist er endlich doch gerechtfertigt: der bestens bekannte Vorwurf der Redundanz.
Anders als sein Namensvetter und Landsmann Ryū Murakami dekonstruiert Haruki Murakami die zutiefst männlichen Fantasien, die sich – beflügelt von viel Whisky, Jazz-Soli und Beatles-Lyrics – in Von Männern, die keine Frauen haben zusammenbrauen, nicht. Er gibt ihnen stattdessen Platz, viel Platz. So viel Platz, dass sie seine Frauenfiguren zu blassen Schatten degradieren, zu leeren Projektionsflächen, die für Schuld und Schmerz empfänglich sein müssen. Von Männern, die keine Frauen respektieren wäre ebenfalls ein Titel gewesen. Wenn Murakami schon nicht der Nobelpreis verliehen wird, dann zumindest doch der.
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