Glück und Kreuzottern
Mit den bekannten Worten aus Monaco Franze, A bissel was geht immer, hat Dietl seine Erinnerungen betitelt; nur ein bissel manchmal, wenn es die Zeit nicht zuläßt, denn diese Erinnerungen sind unvollendet geblieben, was schmerzvoll ist: Dietl hat etwas zu sagen und kann erzählen. Jede Leerstelle also ist hier nicht nur darum schmerzlich, weil sie vom Tod zeugt, der ins Projekt fuhr, sondern auch, weil nun etwas fehlt, das man gerne gelesen hätte. So ist auch das Unvollendete zu betonen, sind auch Erinnerungen nie vollendet; etwas ließe sich immer noch ergänzen, auch ist vieles in seiner Bedeutsamkeit kaum einzuordnen, aber hier ist eben etwas Fragment geblieben, wovon Dietl gegen Ende auch schon wußte, daß es so sein werde. Aber es gibt ja auch „melancholische Genugtuung”, womit dieses Buch auch beginnt, dem schönen Rückblick Tamara Dietls auf das Kennenlernen, als er schon der Helmut Dietl war, dessen Geschichte bis zum bestimmten Artikel vorm Namen man erfahren werde.
„In meinem Werk steckt die ganze Wahrheit über mich”, so Dietl selbst über sein Filmschaffen, womit man ahnt: Erinnerung und Selbstfindung wäre bei ihm immer wieder zu sehen gewesen; und: auch dieses Buch ist ein Werk. Keine falsche Intimität, sondern vielleicht eine andere, gleichsam wahrere. Er war ja „immer ein Autor”:
„Regisseur bin ich nur deshalb geworden, weil es niemanden gab, der meine Drehbücher genauso gut inszenieren hätte können wie ich selbst.”
Wieso? Weil das Leben nicht ausreicht, voller „eindrucksvolle(r) und daher unvergessliche(r) Enttäuschungen”..? Aber wenn Dietl mit eben diesen beginnt, sind sie schon verwandelt. Und es sind nicht mehr die psychologischen Tricks des Kindes, das angesichts der Perfektion rundum – über die Mutter sagt er, daß, was „ihre Hände verließ, […] wie gebügelt” aussah – improvisiert und auch einigermaßen Amorphes rhetorisch adelt, man sehe doch, was das sei, verkündet er „verächtlich[e]”. Nein, es liegt am Zauber, der sich entwickelt, wo Dietl aus einem vielleicht nur scheinbaren Desinteresse an der Wahrheit an diese näher herankommt, als es mancher Realist vermag, sie aber auch durchschauend nicht zu ernst nimmt, wo sie sich aufdrängt. Schmäh, aber ohne Zynismus. Dem entspricht der Wechsel der Perspektive, distant von ihm, doch dann sich das Ich gleichfalls gestattend.
Realität: mächtig. Immerhin nimmt Realität den Glauben; aber den an die Realität – oder an einen, der sie entschuldigen könnte, so erklärt Dietl den Atheismus einer seiner Großmütter, während die andere betet. Der Betenden erzählt er auch, er liebe sie mehr als die Gottferne, der er es umgekehrt gesagt hätte, doch nicht sagen mußte, „solche Fragen stellte diese lebenserfahrene Frau nicht.”
Der Betenden ist diese Erfahrung, die wenig glaubt, aber dafür sich im Träumen vollendet, „unseriös”, eine „dämonische, auch heldenhafte” Seite gewinnt Dietl dem ab, dank der gottfernen Oma, die Witwe zudem des Schauspielers Fritz Greiner da schon ist. Beides dann im Eindruck O.W. Fischers, prima vista „untadelig seriös”, aber Choleriker, dessen Katzen Dietl sittet. Und so entwickelt sich ein Bild ums andere, filmartig, ein ungeheuer gutes Auge für Details zeichnet den Erzähler Dietl aus, was ihn zum Regisseur machte – oder: was er als Regisseur lernte.
Heiter-gelassen, aber nichts bagatellisierend erzählt Dietl sich, aber vor allem seine Welt; und eigentlich die Welt, es gibt große Passagen in diesem unvollendeten Buch, das erratisch ist und dort, wo es durchgearbeitet ist, ganz besonders: nicht wegen des Abbruchs der Arbeit, sondern, weil es da Literatur ist, schlicht dies, ganz und gar nicht unab-, sondern in sich geschlossen, dann darum aus und über sich weisend. Auch über die Erinnerungen; denn der „Todesmarsch von 6887 KZ-Häftlingen”, von dem er später erfuhr, das Bedrohliche, das Falsche, das nicht Durchschaute, all das erspart Dietl weder sich, noch dem Leser. Wahre Schuld benennt er; und „Angst und Schuldgefühle”, die dagegen nur Konstrukte des Katholizismus waren, ebenso. Etwa angesichts der „175er”, der Schwulen, die man nach dem diskriminierenden Paragraphen so nannte, eine Umschreibung des Tabus, die an dieses noch bis ins Juristische zugleich erinnerte, so dumm und inhuman wie das Gesetz, das diese Verbote beinhaltete.
So geht es jedenfalls mit Drive, aber auch Mäandern, die aber sich als stets wichtig erweisen, durch die Jahre, durch die Geschichte, zu der die Erinnerungen würden, zu der Dietl gehörte, doch diese Kapitel sind noch Skizzen oder „Fragmente”; oder fehlen. Anders ausgedrückt:
„Ich bin schon bei fast zweihundert Seiten und noch lange nicht das erste Mal verheiratet.”
Bis zu dem Abbruch und bis in die Fragmente: ein lesenswertes Reifen, etwa die Loslösung, zuvor ist er, wie im wunderbaren Nachwort Süskind schildert, mit „der zarten Fessel des Vertrauens” gebunden, vielleicht darum hernach haltlos: oder gehalten in der Flucht vor „unlösbare(n) Probleme(n) […] in andere, neue unlösbare Probleme” – oder ist dies noch immer die Lust an der Enttäuschung als auch einer Erkenntnis, auch einem intensiven Leben..? Dann die Liebe, die Enttäuschung, etwa, als die Liebhaber seiner Louise – „eine geisteskranke »Existentialistin«”, wie man ihn warnt und er mit sanftem Spott noch weiß – ihm bekannt werden, und das, was man erlebt, wie auch das, was man „geträumt haben” mag… Das alles aber ist Glück, so, wie man, „wenn man viel Glück” hat, „Kreuzottern” begegnet… Glück: Wenn man sich wenigstens nicht der „Fragwürdigkeiten […] nicht sicher” ist..?
Alles in allem hat Dietl der Welt mit seinem Buch nochmals ein Geschenk gemacht; nach zahlreichen Filmen, die aufgrund der Genese in seinen Erinnerungen nur peripher behandelt sind. Über sie hier wenig Neues, aber über den Regisseur einiges, unter anderem, was für ein glänzender Autor er war, und wie gesagt: über das Leben, die Welt, das Scheitern und das Glück.
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