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Kritik

Weil das Wahre nur der Kontext ist und nicht das Urteil

Gedichte von Helmut Krausser in einem Best Of

Wo die Neue Züricher Zeitung einen „souveränen Alleskönner“ ausmachte, „der sämtliche Tonarten des lyrischen Sprechens beherrscht“ findet man einen, der gerade nicht beherrscht, sondern zuläßt. Das lyrische Sprechen bedankt sich mit Witz, Sinnspiel und Eigenartigkeit. Das Wesentliche an Helmut Krausser ist seine unbedingte Offenheit diesem Konglomerat der Aggregate des Menschlichen gegenüber, sein unangestrengtes Verhältnis zur situativen Wahrhaftigkeit, die man mit eigenen Geldern bezahlt – Leben also, das man verlebt, weil so vieles lebendig ist und unerklärt, von Pulsen getrieben und unerhört.  Der Mist in unseren Köpfen ist ein Balancieren, ein Austarieren und man dichtet und schreibt kluge Sätze, während im nächsten Moment die Hose spannt, weil der Liebsten der Rock nach hinten rutscht, während sie den Fuß anstellt um die Nägel zu lackieren. „Hänge in den Dingen“, schreibt Krausser und bewegt sich zwischen den eindeutigen Sachen. Weil das Wahre nur der Kontext ist und nicht das Urteil und dessen flacher Blick auf die Figuren von außen. Und weil „... jeder, der / an sich festhält, weder er / noch irgendjemand sonst ist.“

Helmut Krausser kann Gedichte schreiben, die auffindbar sind, gegenwärtig und nicht als konstruierte Dauer vorhanden. Lebendige Geschehnisse, die sich bewegen. Er schreibt sie lustvoll und herzerfrischend, gerne mit Reim, ungezwungen und doch klar formatiert. Man hat Robert Gernhardt als Vergleich herangezogen, also die ironische Distanz zum Selbst und zum Andern, die den Humor nicht scheut. Wohl auch wegen dem angstfreien Umgang mit tradierten Weisen. Und wohl auch, weil er dabei bissig und unbequem ist und genau hinschaut und sich nicht blenden lässt von Angeblichkeiten. Man kann das Meiste, und zwar auch im Literaturbetrieb, ja nur noch mit Galgenhumor und einem großen Herzen ertragen.

verlagsempfang

hier lachen die toten von morgen und lästern,
verfluchen gefeierte leichen von gestern,
und alle versuchen, aus sich was zu machen,
worüber dann andere lästern und lachen.

ein zyklus aus mißgunst und dümmlichem ehrgeiz,
doch für den moment keineswegs ohne reiz.
mein sammelgebiet sind ja läßliche sünden.
ich mache da mit, rein aus sportlichen gründen.

wenn bettler talent und reviere markieren,
gleichen sie nackten geschnäbelten tieren,
sie hocken und strampeln auf diesem fest

wie vögelchen in einem zu engen nest.
ich quetsch mich dazu, nehm einen schluck,
ihr lieben teichrohrsänger! kuckuck!

Ein wunderbares Buch hat Luchterhand mit diesem best of herausgebracht. Gedichte aus den Jahren 1979-2007, vieles davon zeitlos und einfach da. Konsequenzen und kurze Filme. Und selbst ein „Gedicht wo nix los ist“ wird bei Helmut Krausser zu einem Ereignis, etwas das geschieht. Seine Lyrik liest sich aufregend und spannend und bannt auf eine intelligente Art: das Gedicht lebt seinen Fakt und vertraut in die Worte. Das Gedicht ist gewollt inmitten des Zweifels und trägt seinen Sack.

Also: Deutschland hat, siehe Krausser, verdammt gute Dichter, die sich Gedichte auf eine Weise trauen, die viel lebendiger ist, als man der Lyrik nachsagt. Warum man sich an einigen von ihnen beständig vorbeistiehlt und lieber den Sprachbastlern und Monumenterrichtern, die nichts sagen wollen und nichts zu sagen haben, Preise und Wertschätzung verleiht, muß gefragt werden. Wer die Lyrik liebt und ausreichend Einblick und Vergleichsmöglichkeit hat, kommt um diese Frage nicht herum.
Z.B. wenn man sich gerade mit Helmut Krausser beschäftigt und folgenden Satz von ihm in einem alten Interview findet: „Es ist so, dass ich sehr mächtige Feinde habe, die mich bisher von dem üblichen Preiskarussell ausgeschlossen haben. Wenn ich an Kollegen wie Schrott, Hettche, Grünbein etc. denke, dann hat wohl jeder von ihnen etwa das Zehnfache bekommen von dem, was ich an Preisen und Stipendien bekommen habe - zusammen 24 000 Mark in zwölf Jahren aktiver Laufbahn.“

„Wir leben in einer Zeit politisch motivierter Kulturlügen...“ hat Helmut Krausser an jener Stelle auch gesagt. Mir scheint, daß zu den ausufernden Lügen auch ein Nicht-Wissen-Wollen getreten ist, eine Angst vor den tieferen Wahrheiten der Zeit und der Welt, die unsere Kultur eigentlich zum sofortigen Umdenken zwingen müßten. Diese bequeme elfenbein- bis porzellanfarbene Kultur des kosmetischen Sprachchics und des beredten Denkprimats.

Früher oder später wird man sich nicht mehr verweigern können. Nur daß „später“ die Wahrheiten mit grausigeren Fakten daher kommen werden als mit so lebendigen Gedichten wie den Krausserschen. Viele Alt-68er, die heute in so manchen Feuilletons und literaturbetrieblichen Schlüsselpositionen die verdeckte Bravheit der Literatur betonieren helfen, könnten tun, was sie schon einmal konnten: es besser wissen – also nicht nur ein besseres Wissen von der Welt anstreben, ein genauer auf das Systemische und Komplexe abgestimmtes, das sich von Besitztümern verabschiedet und öffnet zu neuer möglicher Kultur, sondern auch – und das heißt „es besser wissen“ ebenso: aktiv Konsequenzen daraus ziehen und danach handeln, weil - und das ist übrigens überall in der belebten und unbelebten Welt gültig – die Reaktion und damit das Angleichen des eigenen Systems an die Information zum Wissen unbedingt dazu gehört, da sonst die Antworten des eigenen Systems nicht mehr adäquat und angebracht sind, was schließlich und schlicht zum eigenen Scheitern führen muß und wird. Das gehört übrigens auch zur Lyrik, daß sie mit ihrer eigenen Art der Fragestellung die Welt beantwortet.

Helmut Krausser
Auf weißen Wüsten
Luchterhand
2009 · 160 Seiten · 8,00 Euro
ISBN:
978-3-630621586

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