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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Zeman lesen, Schmidt-Dengler vermissen

Von den Anfängen im Mittelalter bis zur Gegenwart
Hamburg

Die Wiener Germanistik der letzten Jahrzehnte prägten vor allem wohl einerseits Wendelin Schmidt-Dengler und andererseits Herbert Zeman. Schmidt-Denglers Methode war jene, Fraktale beredt werden zu lassen, nicht ein Ganzes zu behaupten, sondern die Möglichkeiten von Sprache zu bestimmten Momenten in bestimmten Texten zu erweisen: mikrologisch. Bruchlinien war denn auch ein Werktitel des viel zu früh verstorbenen Schmidt-Dengler, er spürte dem nach, was stringenter Einwand gegen die Ganzheiten war, gegen das der Welt scheinbar gewachsene Gehabe intellektueller Souveränität. „Man muß also der realen Welt gewachsen sein – wer ist das schon? Die Bankmanager”, so schrieb er. Die Brüche im Ganzen zeigten die Bruchstücke auf, die Schmidt-Dengler ins Licht rückte. Strömungen und Kanonisches ergaben sich so allenfalls indirekt, nicht einmal dialektisch – aber wo sie sich ergaben, da glaubhaft und spannungsvoll, gegen die Begriffe lökend, die ihre (?) Texte generiert zu haben schienen.

Zeman ging den ganz anderen Weg; wo Schmidt-Dengler Skrupel hatte, hat Zeman das Konzept: einer Literaturgeschichte Österreichs. Das ist verdienstvoll; was wichtig sei, ist hier nun ausgewogen dokumentiert. Nun weiß man, was wo warum geschrieben steht, wenngleich manchmal der Eindruck entstehen mag: vieles bloß Präludium des Ordnungsgeistes Zemans... Das galt 1996, als Zeman sein opus magnum mit illustren Mitstreitern erstmals publizierte, wie es auch 2014 gilt, da die 2. Auflage des vom Herausgeber „kritikbewährt” geheißenen Werks erschienen ist; „der Dienst an der Wahrheit”, mit der Zeman also vertraut ist, steht dabei im Zentrum.

Trotz dieser Pose, man muß doch konzedieren, daß Zemans Werk imposant geriet. Wo Schmidt-Dengler die Vergeblichkeit ahnte, lotet Zeman sie aus, immerhin. Ordentlich und kenntnisreich werden Epochen hier umrissen, die Wichtigen meist begründet ins Licht gerückt und manch andere – manchmal begründet – zur Marginalie. Dabei ist die österreichische Literatur in ihrer Eigenart zuweilen faßlich, was zwar trügen mag, da sie vielleicht österreichisch nur ist, wo man sie dazu verzerrt, aber doch aller Ehren wert, wo so Texte nicht im Größeren aufgehen, sondern, schlimm genug und bei Datierungen fast unvermeidlich, im Kleineren.

Das Mittelalter wird breit geschildert, detailfreudig und vielsträngig; auch die Polyphonien des Humanismus sind akkurat getroffen. Sein Wissensmodell ist pointiert benannt, „der Erste zu sein, das er das Ganze zu überblicken lernt”, dies sei des herrschaftlichen Humanisten Ziel. Souverän wird so ein Bild Österreichs als Generator von Neuem und Rezipient von Neuerem gezeichnet, etwa in der Rezeption Cusanus’, der als initium „auf die künftige Säkularisation hinwies”, und zwar qua Theologie, wie Werner M. Bauer beschreibt. Von diesem zu Denis’ teils das Individuum befeuernder und teils die Reaktion reinstallierender Dichtung führt nur einer der vielen Pfade, worin dieses Buch – weil eben doch oft genug brillanter Text – sich dem Pathos des Wahrheitskonzepts fast entwindet, zugunsten der genuinen Anarchie der Literatur: „Vivat Unordnung!” Wider die „rigide Leitidee absolutistischer Staatsräson” steht die Barockliteratur, zugleich Propaganda und Einspruch genauer gesagt. Ebenso ungeregelt sind die historischen Grenzziehungen dessen, was Österreich sei, so wird hier auch Böhmen in den Fokus gerückt, wobei das Modell des Kosmopoliten solche Transgresse für bloß halbe halten mag, Kepler wird hier als Pansophie-Vertreter darum keineswegs zur Unzeit wirksam...

Diese Spannungen, so zeigt Zeman, betreffen Österreich und jene, an denen seine Dichter sich orientieren. Klopstocks Dichtung als „Ausdruck des fortschrittlichen Anspruchs eines freien Schriftstelllers” und ihre gleichwohl deutliche Rückbindung auf christliche Deutungsmuster ist gut getroffen, ebenso Denis, den als „österreichischer Klopstock” zu sehen ein Irrtum wäre, jener „Schein trügt”. Klopstock seinerseits verkennt im Christlichen und sogar Modernen Österreichs, an das er sich hoffnungsvoll wendet, die vitale „Tradition des Gottesgnadentums und der Staatskirche”, die – halb erstarrt, halb allzu pragmatisch – seiner Dichtung und seinen Träumen nicht allzu viel Raum geben kann.

Diese Mischungsverhältnisse betreffen noch später das intrikate Verhältnis von Zensur und Literatur; was schärfte das Schreiben eher als die Zensur? Doch eher interessiert diese hier mit Nestroy, der spöttisch Einfallslosigkeit und Verbot zusammen dachte... Dagegen fehlt ein Sinn fürs dauerhaft Verstörende jenseits dessen, was Zeman mit gutbürgerlichem Spott aufgreift, daß nämlich die nur angeblich Verbotenenen Nestroys Satz „bedenkenswert[en]” finden mögen... Das, wofür die Germanistik hier viele Sätze braucht, um es dann nicht zu sagen, komprimiert und präzisiert Kraus so: „Satiren, die der Zensor versteht, werden mit Recht verboten.” (Die Fackel, Nr 309-310, S.40) Das zu sagen hätte sich gelohnt – indes wird geschrieben, Nestroy kenne „die heiteren Seiten des Lebens”, eine Formulierung, die erschreckend altbacken ist. Etwas davon trifft auch Artmanns Würdigung. Ja, er war genial, aber gerade auch in seinen Verstößen; daß er eben nicht „aus dem Spanischen, Französischen, Englischen, Schwedischen, Keltischen, Bretonischen und Jiddischen” übersetzte, das müßte man sehen: ein polyglotter Anarchist, der sich allerlei Idiomatisches aneignend doch jedenfalls den Begriff des Übersetzens überstrapazierte und auch etwa das heute letztlich doch schlicht verlorene Dacische teils rekonstruierend auch und vor allem als Maske gebrauchte.

Der Hang zum Schweren, Repräsentativen und Wahren, Ganzen (als wäre das Ganze nicht „das Unwahre“), er stört an diesen Passagen; wo indes das Konzept vergessen wird, wo gleichsam „Gründlichkeit […] mit Grundsatzlosigkeit” – so formulierte es Benjamin – gepaart wirkt, da ist das Buch höchst gelungen, was ja für sehr große Teile gilt. Da obsiegt nichts anderes als jene Literatur, die Schmidt-Dengler vertrat, so könnte man sagen. Das rettet denn das Projekt Zemans davor, an sich zu ersticken.

Lesenswert und brauchbar also ist dieses Werk – und es überflügelt seinen Anspruch zuweilen, wiewohl oder weil er so gewagt ist.

Herbert Zeman (Hg.)
Literaturgeschichte Österreichs
von den Anfängen im Mittelalter bis zur Gegenwart
Unter Mitwirkung von Leopold Auer, Martina Backes, Werner M. Bauer, Dieter Breuer, Hans-Edwin Friedrich, Wynfrid Kriegleder, Erich Trunz und Alois Wolf
Rombach Verlag
2014 · 864 Seiten · 98,00 Euro
ISBN:
978-3-7930-9734-1

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