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Kritik

Die gerettete Zunge

Das Exil endet nicht
Hamburg

Unsere Vorstellung von Emigration ist landläufig die, dass eine Person aufgrund politischen Drucks oder physischer Bedrohung sein Heimatland verlässt und wenn Druck und Bedrohung nachgelassen haben oder sogar ganz verschwunden sind, wieder dahin zurückkehrt. Also denken wir uns Emigranten als Durchreisende mit begrenztem Aufenthalt.

Wenn man sich die Sache aber genauer besieht, kehren viele, wenn nicht die Mehrheit der Emigranten nicht in ihre Herkunftsländer zurück. Vor allem weil ihnen die Rückkehr erschwert oder sogar unmöglich gemacht wird, oder die Angst und die Verletzungen, durch die sie vertrieben wurden, in ihrem Nachwirken größer sind, als der Wunsch nach Rückkehr. Viele bleiben daher im Vagen, in einem Niemandsland jenseits von Heimat und Zukunft.

Der neue Gedichtband des rumäniendeutschen Dichters Horst Samson heißt: Das Imaginäre und unsere Anwesenheit darin und knüpft an seinen Band Kein schweigen bleibt ungehört an, über den ich an dieser Stelle bereits geschrieben habe. Zum einen führt Samson auch im neuen Band das grandiose Formenspiel fort, also jene in der Dialektik von Vers und Sinn angelegte Bewegung, die er in seinen Texten vollzieht, aber er knüpft auch biografisch an den Vorgänger an, so dass man die Gedichte in ihrer Reihung auch als Geschichte der Emigration, des Exils lesen kann und der Einrichtung des Autoren darin.

Als Auftakt aber ein Rückgriff, ein Gedicht aus dem Jahre 1987, dort die Strophe:

Zypressen. Oft sitze ich
auf der Kiste mit den Habseligkeiten

Diese Kiste mit den Habseligkeiten scheint mir ein Grundmotiv der Dichtung von Migranten, als würde man, wie lange man auch bleibt, nicht auspacken, den Schrank nicht benutzen, sondern stets bereit sein für eine schnelle Abreise. Man richtet sich also in der Welt nicht ein. Worin man sich aber einrichtet, ist im Imaginären und in der Sprache. In der Sprache und im Sprechen selbst. Im Flüchtigen des Sprechens.

Im zweiten Teil des Gedichtbandes findet man eine Reihe von Widmungsgedichten. Teilweise sind mir die Personen bekannt, denen sie zugeeignet sind, vor allem dann, wenn es sich um Autorenkollegen handelt. Rumäniendeutsche aber auch andere.

Ein Gedicht, das einem oder einer H.G. gewidmet ist, heißt es:

Die Wörter, die wir täglich verlieren, sind unsere
Geflüchteten Komplizen. Nie mehr
Noch einmal von Anfang an.

Heimat – gerettete Zunge heißt denn auch eine Anthologie mit Visionen und Fiktionen deutschsprachiger Autoren aus Rumänien die Horst Samson herausgegeben hat und auf die ich hier nicht nur am Rande hinweisen möchte. Darin finden sich einige der Widmungsempfänger als Autoren vertreten. Darüber hinaus aber auch eine Reihe literarischer Entdeckungen für mich. Hervorheben möchte ich dabei die Dichterin Ilse Hehn, die mich nachhaltig beeindruckt. Unverhohlen ist die Anspielung auf Canettis dritten Band seiner großartigen Autobiografie Die gerettete Zunge. Auch Canetti hat den größten Teil seines Lebens im Exil zugebracht, auch ihm war zeitlebens eine Rückkehr verwehrt.

Und natürlich ist der Prozess des Einrichtens im Imaginären auch ein Prozess des Alterns, denn das Imaginärere ist ein Raum in der Sprache, das Ich aber, zumal das Autoren-Ich, bleibt Person.

Sein, denke ich beim Abendbrot, und Nichtsein
Ich würde gerne nur am Meer vergehen,
meine Kräfte mit ihm messen wollen. Im Sturm
am Ufer stehen und ganz laut rufen, so

Das Exil  wird mit der Zeit auch zur Umwelt. Und in dieser Umwelt fehlt ein Identifizierungsdruck, der von einer wie auch immer gearteten Heimat ausgeht und der auch Last ist. Dort, wo Samsons Gedichte diese Umwelt beschwören, scheinen sie zugleich eine neue Art Freiheit zu entfalten. Ein Aufatmen.

Horst Samson
Das Imaginäre und unsere Anwesenheit darin
Pop Verlag
2014 · 17,80 Euro
ISBN:
978-3863560973

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