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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Das Lächerliche des Terrors

Hamburg

Oft wird bis heute gefragt, ob man über Hitler lachen dürfe – Gegenfrage: Muß man es nicht? Hugo Bettauer nahm sich dieser Ideologie in Die Stadt ohne Juden in den 20er Jahren an und zeigte sie in all ihrer Lächerlichkeit, führte das nationalsozialistische Denken zuletzt auch in eine Barbarei, wie sie die Welt nicht kannte, wurde auch aus der Groteske eine Tragödie. Und er behielt Recht, wenn schon nicht in bezug auf die Folgen für die Juden, deren Geschick in diesem Buch zwar übel ist, sich aber heute fast harmlos neben dem realen Fortgang der Geschichte ausnimmt, so doch, was die autochthonen Wiener und Österreicher betrifft.

Die intellektuelle Verarmung der Stadt ohne Juden ist bis heute real, was „Schwertfeger“ und seine realen Entsprechungen verbrachen, das ist als „indogermanische Naivität“[1] bis heute das Substrat des felix Austria, „Wien versumpert ohne Juden“[2], ein Prozeß, der nie ganz zum Stillstand gekommen sein mag – auch wenn der Trachtenanzug nicht mehr das Stadtbild von Wien und anderen österreichischen Städten, die zur Urbanität darum aber doch nicht zwingend fanden, prägt. Denn die Kleinbürger, die für eine kurze Prosperität nicht nur einen wirtschaftlichen Systemkollaps in Kauf nehmen – derzeit spart sich die EU in eine Wirtschaftskrise, die als Grund des Sparens angeführt wird –, sondern auch die Solidarität opfern, mit willkürlich gewählten Gruppen wie eben den Juden (über das Stereotyp, dem der Schwiegersohn, der Jude ist, nicht entspricht, dafür aber der „Urchrist“ Pinkus mit dem „prononziert [sic!] jüdischen Gesicht“[3], lernt man bei Bettauer, auch wenn er manches Klischee unwidersprochen läßt, durchaus einiges), doch gerne mit Südeuropa, sie sind nie verschwunden. Kärnten, Österreich, Nordeuropa oder Europa „zuerst“ – immer noch werden gerne unselige Allianzen geknüpft, die nicht nur zur kulturellen oder geistigen Verarmung führen können.

All das ist nicht zum Lachen, aber die, deren Erklärungen aus verzweifelter Sündenbocksuche, einem Fremdeln, das aus der Kindheit bewahrt gerettet ward, einem Unvermögen in der (stolz beschworenen) Sprache und in der Folge im Denken gezimmert sind, sowie aus niedrigsten Instinkten, sie sind lächerlich und mit Bettauer dieser Lächerlichkeit preiszugeben, wie man in den letzten Jahren teils erst wieder lernt, und sei’s bei den Inglorious Basterds von Tarantino.

Bettauer, der schließlich selbst dem Terror dieser „Herrenmenschen“, die so zu nennen nur ihnen selbst in den Sinn kommen konnte, zum Opfer fiel (er wurde 1925 von einem Mitglied der NSDAP erschossen), ist darum auch heute lesenswert, nein: Pflichtlektüre. Dem Metroverlag ist darum für die Neuauflage zu danken

 

[1] 61

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[3] 32

Hugo Bettauer
Die Stadt ohne Juden
Ein Roman von übermorgen
Nachwort: Jorghi Poll
Metro
2012 · 176 Seiten · 16,90 Euro
ISBN:
978-3-902517722

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