Anzeige
Komm! Ins Offene haus für poesie
x
Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Schau, vergiss das Fragen.

Durchscheinende Gedichte von Ilma Rakusa, die den Atem anhalten
Hamburg

Zuerst war das Licht da
der laue Pazifikwind
der die Wäsche bläht

Die Gedichte von Ilma Rakusa in Impressum: Langsames Licht sind sehr leise Gedichte. Es sind Gedichte, die ganz bewusst innehalten, den Atem anhalten um die Welt um sich besser wahrnehmen zu können:

Im Haus zirpt die Heizung.

Dieses Wahrnehmen der Umwelt umfasst nicht nur Geräusche und Farben, sondern auch Gerüche:

Sag nicht es riecht nicht nach Braunkohle
diesen Geruch erkenne ich blind

Es sind dabei sehr zarte, durchscheinende Gedichte:

Immer zittert etwas,
das Blatt die Luft das Herz,
und fahrig dieser Morgen.

Und es sind Gedichte, die Freude schenken, Ruhe und Aufmerksamkeit:

draußen verstreutes Licht
ohne Stundenmaß

Man merkt den Gedichten an, dass Ilma Rakusa sich sehr viel Zeit für sie genommen hat, ihnen damit auch sehr viel Zeit gelassen hat:

So geht sich’s langsam.
Auf ab. Mit wehendem Mantel.

Ilma Rakusa ist in und durch ihre Gedichte eine sehr stille und genaue Beobachterin. Sie betrachtet ihre Umwelt mit so großer Aufmerksamkeit, dass daraus schon ein Lesen wird. Somit lässt sich selbst Licht lesen:

Ich liege und atme flach.
Lese das fadendünne Licht, das
durch die Jalousien rinnt. Still.
Und denke an nichts.

Das Licht rinnt aber nicht allein durch die Jalousien in diesem Gedicht, sondern gleichsam durch den gesamten Gedichtband, seine Seiten und Zeilen. Und dabei kann das Licht schon einmal ausrutschen:

Kälte kam und das ausgerutschte Licht
leuchtete aus den Büschen,
verschneit.

Oder auch tanzen:

das Licht, ein tanzender
Hase, der sich mit seinem Schatten rauft,

Nicht nur die Außenwelt, auch die Innenwelt, also Gefühlswelt, wird von Ilma Rakusa in Gedichtform abgehandelt. Müdigkeit und Angst nehmen Gestalt an, werden sichtbar gemacht im Gedicht:

aus der Müdigkeit winden sich Girlanden
aus der Angst wachsen Ungeheuer
im Zierapfelbaum turnt ein Spatz

Und auch für Trauer gelingt es Ilma Rakusa ein angemessenes Bild zu finden, schlicht, aber sehr treffend und auf den Punkt gebracht:

Trauer wie Trauer
das genügt
es braucht keine Auskunft darüber
es braucht keine Messungen
sie füllt aus was sie kann
wie Treibschnee

Bewegung ist sehr zentral in den Gedichten, sowohl zeitlich als auch räumlich. Ortswechsel und Reisen werden oft thematisiert. Der Moment des Unterwegsseins wird ebenso festgehalten, wie kurze Szenen aus dem Leben fremder anderer Reisender, über die man eigentlich nichts weiß, aber doch in diesem einen Augenblick einen tiefen Einblick in ihr Leben zu bekommen meint. Die Gedichte sinnen dabei beispielsweise schlicht über die sich im Weiterfahren wandelnde Landschaft im Zugfenster nach. Oder auch über die Schicksale der Menschen, denen man unterwegs nur im Vorbeigehen begegnet. Mit ihren Gedichten schafft Ilma Rakusa immer wieder zerbrechliche Momentaufnahmen eines einzelnen Augenblicks:

Am Himmel die Leuchtspuren der Flugzeuge
nicht eine Wolke
doch während ich schaue
schieben sich Gesichter ins Blau
das weinende der syrischen Frau im Zug
der Mann neben ihr tröstet sie wortlos
steckt ihr einen Schokoriegel zu

Ilma Rakusa schenkt ihre Aufmerksamkeit der Stille um sie herum, der Natur, kleinen Details wie Alltagsständen – kurzum: ihrer Umgebung. Sie schreibt damit aber keineswegs weltabgewandte Gedichte oder idyllische Landschaftsgedichte. Ganz im Gegenteil, sind ihre Gedichte doch sehr welthaltig, weltzugewandt. Sie sieht nicht weg, aber auch nicht von oben herab auf die Dinge und Menschen, die in ihren Gedichten beschrieben werden. Schreibt sie beispielsweise über obdachlose Menschen, so kommen diese im Gedicht selbst zu Wort. Damit gibt Ilma Rakusa ihnen nachträglich etwas zurück, was die Welt ihnen aberkennt: Respekt.

Streben oder sterben

Sie liegen, sie stehen. Manchmal schwanken
sie auch. Etwas unwillig, mit ausgestreckter
Hand. Hamsienichwasübrig, murmelt
ein trockener Mund. Jeder Cent ist willkommen,
wenn der Bart ins Struppige wächst. Und
die Haut wie Leder.

Die Gedichte sehen hin, hören zu und sprechen dann an und aus, erzählen davon, statt sich schweigend abzuwenden. So wird auch das Flüchtlingsthema in Gedichtform verhandelt:

seit Tagen gehen sie durch die
Hölle klaglos
einer weint beim Wort Damaskus
zwanzig sind versteinert
schauen fremd
im weißen Tuch der Säugling
ohne Meinung

Als eine so genaue Zuhörerin und Beobachterin fallen Ilma Rakusa  gerade auch die Lücken auf, das was da sein sollte, aber fehlt, wie zum Beispiel die vertriebene oder nicht mehr lebende jüdische Bevölkerung in Odessa. Im Gedicht wird das Fehlen benannt, werden die Namen genannt:

Odessa, klaffende Lücken

Es gibt sie nicht mehr,
die Chaims Jankels Mendels,
die Solomontschiks mit flammendem Haar,

Der Gedichtband Impressum: Langsames Licht ist in sieben Kapitel unterteilt: MELANCHOLIEN, ORTE, ZEITEN, DINGE, BILDER, HOMMAGEN und das letzte: TRÄUME. WÜNSCHE. Jedem Kapitel ist ein Haiku vorweg gestellt. Ein liebevolles Detail, das mir auch schon bei Weitwinkel nah von Barbara Zeizinger begegnet ist. Die Gedichte von Ilma Rakusa, wie auch die einzelnen Haiku am Kapitelbeginn, beziehen sich inhaltlich sehr stark auf die jeweilige Kapitelüberschrift. So auch das erste Haiku, welches das Kapitel MELANCHOLIEN, sowie zugleich auch den ganzen Gedichtband eröffnet:

Abend aber lau
das Alleinsein lädt sich auf
macht keine Szene

Oft finden sich schon in den Überschriften der einzelnen Gedichte Bezugnahmen auf die jeweilige Kapitelüberschrift. Die Gedichte „Der Schrank“ und „Die Schachtel“ sind im  Kapitel DINGE zu finden. „Samstag, fünfzehn Uhr fünfundvierzig“ oder „Sonntag, siebzehn Uhr dreißig“ findet man dafür, leicht nachzuvollziehen, im Kapitel ZEITEN.

Die vielen Versuche, sich mittels Schreiben zu verorten, sei es nun mit sehr genauen Beschreibungen, Ort- oder Zeitangaben, werden allerdings immer wieder von den Gedichten selbst unterlaufen. Denn die Literatur ist im Grunde genommen ein zeitloser Raum, darauf bestehen die Gedichte Ilma Rakusas immer wieder sehr vehement:

Es ist Herbst oder nicht.

Die Dinge und Gegenstände erhalten durch die genaue Beobachtung bzw. Beschreibung nicht nur einen eigenen Charakter, sondern Ilma Rakusa lässt sie zu richtigen Persönlichkeiten werden, wie beispielsweise die sehr eigensinnige marokkanische Schale, die lieber mit Milch statt mit Wasser oder Tee befüllt werden würde. Bemerkenswert auch der Auftritt eines Landschaftsaquarells:

Als es der Mappe entsteigt,
sieht es sich schamhaft um.
Ans Licht gezerrt nach jahr-
zehntelangem Schlaf.

Eine Stelle, die jedes Germanistenherz vor Freude höher hüpfen lässt, ist mit Sicherheit der folgende Auszug aus dem Gedicht „Sonntag im März“:

der Akkusativ hat sich davongemacht
also ich liebe dir oder ich liebe dir nicht
wenn der Märzhimmel dies wüsste
eine plastische Wolke segelt vorbei
und schneit sich blumig aus

Eine elegantere Verbeugung vor „An Anna Blume“, dem legendären Gedicht von Kurt Schwitters, ist wohl kaum denkbar. Eine weitere, und sicher nicht die letzte, Verbeugung an ein Gedicht findet sich im Kapitel BILDER, wenn im Shizuko Yoshikawa gewidmeten Zyklus „Sonnen“ Inger Christensens Gedicht „alphabet“ nicht zitiert, sondern eher aufgegriffen und weitergeschrieben wird:

Das Vertrauen gibt es. Und die Gestalt.
Die Frage gibt es. Die Farbtöne und die Hand.
Die Ordnung gibt es. Den Zufall und den Anfang.  

Einer genauen Beobachterin wie Ilma Rakusa hört man gern zu um sich zeigen zu lassen, was sie alles sieht. Bildbeschreibungen sind da naturgemäß etwas, das ihr sehr liegt:

Dahinter Wasser, hell oder dunkel wie Tinte,
schäumt und atmet alle Nuancen von Licht.
Anderswo knäueln sich die Farben, bilden
weiche wollige Wesen. Oder zerfasern im Raum.

Mut zur Kürze und zugleich ihre Meisterschaft darin beweist Ilma Rakusa im Shizuko Yoshikawa gewidmeten Gedichtzyklus „Sonnen“:

VIII
Es gibt das Brodeln der Farbmasse
und die Ordnung der Zeichen. Ohne Symmetrie.

Sehr eindrücklich ist auch das Gedicht „Licht. Lumen“. Es beschreibt ein Bild, oder eher die Farbe Weiß. Ich sehe da vor meinen inneren Augen ein weißes Bild und wie sich das Weiß des Bildes im Tagesverlauf mit dem wandernden Licht unmerklich aber beständig verändert. Dieses Gedicht lässt mich an die Faszination denken, welche die „White Paintings“ von Robert Rauschenberg auf John Cage ausübten. Eigentlich bezieht sich Ilma Rakusa damit aber auf Inge Dick, welche sehr bunte „weiße“ Bilder macht. Hier, zum Abschluss, der Schluss des Inge Dick gewidmeten Gedichts „Licht. Lumen“ von Ilma Rakusa:

Wenn das Licht wandert.
Wenn das Weiß blau wie Tinte wird.
Wenn das Weiß blau wie die Nacht wird.
Wenn das Weiß im Dunklen angekommen ist.
Wenn das Weiß im Fastschwarz angekommen ist.
Wenn das Licht.
Wenn kein Licht.
Im Anfang war das Licht.

Ilma Rakusa
Impressum: Langsames Licht
Droschl
2016 · 184 Seiten · 20,00 Euro
ISBN:
9783854209492

Fixpoetry 2016
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge