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Kritik

Besser Scheitern

Jesper Juul erkundet den Reiz von Videospielen
Hamburg

Der meistfotografierte Schriftsteller der Welt ist wahrscheinlich auch einer der meistzitierten. Es gibt wohl kaum Literaturinteressierte, denen Becketts Postulat vom „besseren Scheitern“ noch nicht begegnet ist. „Ever tried. Ever failed. No matter. Try Again. Fail again. Fail better.“ Worte, die nach einer Niederlage aufbauend und höhnisch zugleich klingen, die zu einem neuen Versuch ermutigen, obwohl das erneute Scheitern vorprogrammiert ist. Ein Paradox, das nicht allein dem Beckettschen Denken eigen ist.

Der dänische Literaturwissenschaftler Jesper Juul (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen, ebenfalls dänischen Familientherapeuten) widmet seine Arbeit vor allem der Erforschung von Videospielen. Im Zuge dessen veröffentliche er das Buch Die Kunst des Scheiterns, das sich, wie der Untertitel verrät, mit der Frage beschäftigt: Warum wir Videospiele lieben, obwohl wir immer verlieren. Und obwohl das erst einmal nach der Rechtfertigung eines Nerds zum Zocken klingt, wie es auch der Klappentext suggeriert, haben Juuls Betrachtungen einiges mit Beckett zu tun.

Juul nähert sich dem Paradox des Verlierens in Videospielen, indem er Analogien zu Literatur und anderen narrativen Kunstformen, wie etwa dem Theater und dem Kino, herstellt. Während wir es gemeinhin vermeiden wollen zu verlieren oder Verlusterfahrungen zu machen, begegnen uns diese in all den genannten Formen, und das immer wieder. „Obwohl sie uns dazu bringen, Traurigkeit zu empfinden, Furcht und sogar Ekel, konsumieren wir sie.“ Im Gegensatz zu Videospielen lässt sich die Lust an eher negativ besetzten Effekten in Literatur und Film relativ leicht erklären. Juul geht hierbei unter anderem auf Aristoteles' Prinzip der Katharsis ein. Zu nennen wäre zudem Edmund Burkes Theorie vom „delightful horror“.

Doch während die aristotelische Tragödie uns von negativen Empfindungen reinigen soll, kreieren Videospiele diese überhaupt erst, indem sie uns verlieren lassen. Mehr noch, das Schicksal eines Helden (z. B. in Rollenspielen oder Adventure-Games) ist hier an unser Handeln und unsere Fähigkeiten gebunden, wodurch wir für den positiven oder negativen Verlauf der Handlung verantwortlich werden. Entscheidend ist für Juul aber, dass ein mögliches Scheitern im Spiel für unsere Leben ohne ernstzunehmende Konsequenzen bleibt. Dennoch ist ihm der Satz „Es ist doch nur ein Spiel“ verhasst.

Denn entscheidend für den Wert des Scheiterns im Videospiel ist für Juul die Tatsache, dass es an einem sicheren Ort stattfindet, der uns die Möglichkeit bietet uns auszuprobieren.

„Spiele bieten uns eine faire Chance auf Rehabilitation unserer selbst. Dies unterscheidet das Scheitern im realen Leben von dem innerhalb des Spiels: (Gute) Spiele sind so designt, dass sie uns eine faire Chance lassen, während die reguläre Welt solche Versprechen nicht bereithält.“

Doch Juuls Arbeit ist zu vielschichtig, als dass man aus dieser Aussage eine Anstiftung zur Flucht aus der Realität herauslesen könnte. Auf knapp 150 Seiten untersucht er, welche Erfahrungswerte für das reale Leben an das Scheitern in Videospielen geknüpft sein können. Vor allem dem Vermögen zur Selbstreflexion kommt hierbei eine wichtige Rolle zu.

„Es ist wahr, dass Videospiele im Allgemeinen einfacher geworden sind, doch dieser Eindruck entsteht mehr aus dem Gefühl, dass sie leichter zu gewinnen seien, weil sie mit kleineren Strafen für Niederlagen arbeiten als noch vor einigen Jahren. Innerhalb dieses Trends ist das Scheitern in der Tat häufiger geworden, kombiniert mit unendlich vielen neuen Versuchsmöglichkeiten und geringeren Strafen, die die Kosten und die verschwendete Zeit des Scheiterns senken. Daher verwenden wir mehr Energie darauf nachzudenken, warum wir scheitern, was wir dagegen tun können und wie es auf unserer Persönlichkeit zurückfallen könnte.“

Ob wir es jedoch tatsächlich besser machen können, oder eben doch nur besser scheitern, lässt Juul offen. Die Kunst des Scheiterns ist ein lesenswerter Essay im besten anglo-akademischen Stil, der sich konzentriert an einer Argumentationslinie entlang entwickelt und dennoch weit darüber hinausweist. So leistet Jesper Juul hier auch einen allgemeinen Beitrag zum Verständnis warum Videospiele heutzutage eine größere Faszination auf uns auslösen denn je.

Jesper Juul
Die Kunst des Scheiterns
Übersetzt von Annette Kühn
Luxbooks
2014 · 150 Seiten · 14,90 Euro
ISBN:
978-3-939557-89-0

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