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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Eine brillante Persiflage auf die Geisteswissenschaften

Der zweite Band aus J.J. Voskuils monumentalen „Büro“-Zyklus ist auf Deutsch erschienen
Hamburg

Als 2012 der erste Band von J.J. Voskuils „Büro“-Roman, „Direktor Beerta“, in deutscher Übersetzung erschienen ist, war dies auch hierzulande eine kleine literarische Sensation. In den Niederlanden war die Geschichte des Maarten Koning, der als wissenschaftlicher Beamter am Amsterdamer „Institut zur Erforschung niederländischer Volkskultur“ beschäftigt ist und das offenkundige Alter Ego des pensionierten wissenschaftlichen Beamten Voskuil darstellt, zu diesem Zeitpunkt bereits, man kann es nicht anders sagen, ein Megaerfolg. Die ab 1996 erschienenen Bände des Originals verkauften sich rund 500.000 Mal, was bei einer Bevölkerung von gut 16 Millionen Menschen, bemerkenswert ist. Das real existierende Institut kann sich seither dem Andrang interessierter Besucher (oder besser gesagt: Leser!) kaum erwehren. Die Mitarbeiter, von denen sich etliche in Voskuils Roman mal mehr und mal weniger freundlich porträtiert wiederfinden, machen gute Miene zum frechen Spiel – und bieten geführte Touren durch die heiligen Hallen ihres (Nicht)Schaffens an.

An den kommerziellen Erfolg der Niederlande konnte die deutsche Ausgabe von „Das Büro“ offensichtlich nicht anknüpfen. War der erste Band noch beim  C.H. Beck erschienen, hat sich das Münchner Traditionshaus mittlerweile aus dem Editionsprojekt verabschiedet. Die Rechte wurden an den Berliner Verbrecher Verlag übertragen. Dort sollen bis 2017 die noch ausstehenden fünf Bände erscheinen. Man kann nur hoffen, dass sich das finanziell einigermaßen rentiert; alleine die Kosten für die von Gerd Busse souverän angefertigte Übersetzung des mehr als 5000-Seiten starken Romanprojekts dürften nicht ganz unerheblich sein.   

Literarisch knüpft „Schmutzige Hände“ nahtlos an die Brillanz seines Vorgängers an. Behandelt werden diesmal die Jahre 1965 bis 1972. Koning hat sich mit seiner Tätigkeit im „Büro“ abgefunden und ist sogar zum stellvertretenden Leiter der Abteilung „Volkskultur“ aufgestiegen. Dass er sich in seiner neuen Rolle im Grunde seines Herzens gar nicht so schlecht gefällt, würde er sich natürlich nie eingestehen; schließlich befindet man sich mitten in den antiautoritären 1960ern, und außerdem würde er sich mit dem Eingeständnis vor seiner Frau schämen, die jede Form von bezahlter Arbeit als Sklavendienst erachtet und es am liebsten sähe, wenn ihr Maarten lieber heute als morgen alles hinschmeißen würde. 

Tatsächlich jedoch unterscheidet sich Maarten gar nicht nennenswert von seinen Kollegen. Dass er seine Arbeit für Schwachsinn hält, kann man ihm nicht verübeln, es ist eine Tatsache – seinen Kollegen geht es genauso. Aber man hat sich eben bequem eingerichtet. Das auf endlose Zeit angelegte Großprojekt der Erstellung eines „europäischen Atlas der Volkskulturen“ geht seinen gewohnten Gang. Maarten und sein kleines Team, bestehend aus ebenso phlegmatischen wie hypochondrischen Kulturwissenschaftlern, befassen sich mit der Verbreitung des Weihnachtsbaumes und des Dreschflegels, für die sie mehr oder weniger gewissenhaft nach vermeintlichen Kulturgrenzen suchen, sie letztlich aber nie finden. Über die Ergebnisse der Forschung wird dann einmal jährlich im Kreis der europäischen Kollegen debattiert, in Stockholm, Oslo oder Bonn. Eine Art Klimax, wenn man davon überhaupt sprechen darf, findet sich nach rund 400 Seiten, als Maarten coram publicum dem Kommissionspräsidenten in einer methodischen Fragestellung widerspricht. Direktor Beerta, inzwischen pensioniert, aber dennoch stets präsent, fühlt sich sichtlich unwohl; die jüngeren Kollegen sprechen Maarten, wenn auch hinter vorgehaltener Hand, ihre Anerkennung aus. Das musste einfach mal gesagt werden. Damit ist die Sache aber auch erledigt, und alles läuft weiter wie bisher.

Voskuils „Büro“-Projekt ist nicht nur eine Satire der niederländischen Gesellschaft und des öffentlichen Dienstes. Es ist vor allem auch eine brillante Persiflage auf die Geisteswissenschaften, deren Forschung gar nicht widersinnig genug sein kann, als dass sich nicht an irgendeiner Stelle Steuermittel dafür lockermachen ließen. Und zwar so großzügig, dass das „Büro“ fortlaufend wächst, weswegen aus Platzmangel bald eine neue Unterkunft im Herzen Amsterdams hermuss. Jeder Mitarbeiter kennt schließlich in seinem Bekanntenkreis irgendeinen gestrandeten Studenten, der dringend mit einer Stelle versorgt werden muss.

Gewissensbisse bekommt Maarten nur einmal. Als er nämlich einen seiner Mitarbeiter, der es krankheitsbedingt seit Monaten nicht an den Arbeitsplatz geschafft hat, zuhause besucht – und ihn quietschfidel im Gartenhaus beim Handwerken antrifft. Nicht nur der vermeintlich ertappte Mitarbeiter, auch die Kollegen im „Büro“ sind entsetzt über Maartens ungebührliche Schnüffeleien im Privatleben anderer Menschen. Widerstrebend muss Maarten einräumen, dass er hier einen Schritt zu weit gegangen ist. Der „kranke“ Kollege ist übrigens am darauffolgenden Montag wieder bei der Arbeit erschienen, wenn auch, nach eigenen Angaben, mehr schlecht als recht genesen. Was will man machen, bei so viel Druck durch den Vorgesetzten? 

In einem Wort: grandios! Das Büro 3 mit dem Titel Plankton erscheint bereits im Mai 2015, weitere Bände folgen dann im Halbjahrestakt.

J.J. Voskuil
Schmutzige Hände | Das Büro 2
Das Büro, Band 2
Aus dem Niederländischen von Gerd Busse, mit einem Nachwort von Pieter Steinz
Verbrecher Verlag
2014 · 688 Seiten · 29,00 Euro
ISBN:
9783957320070

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