Vom Auftauchen und Untergehen
Schon das umgedrehte N im Schriftzug des Titels weist darauf hin, dass bei Bernigs Protagonisten nicht alles gradlinig verläuft. Mit Frau und Katze lebt er als Lehrer unweit der Lausitzer Seen scheinbar zufrieden in einem Ort, den er bezeichnenderweise „Labenbrod“ nennt. Aber schon bald merken wir, dass unter seiner ruhigen Oberfläche die irritierende Kompromisslosigkeit eines Wutbürgers schlummert.
Als Kandidat einer Stadtbürgerliste, die sich aus Protest gegen eine Zubringerstraße zusammengefunden hat, sagt er
„In der Schule bekomme ich ja vieles aus erster Hand mit. Und das Erste unter den Ersten ist die Art zu sprechen. Das ist teils auf einem Niveau angekommen, dessen nächsttiefere Stufen nur noch ein Grunzen und Schnaufen ist, das gelegentlich durch Schimpfwörter unterbrochen wird. Diese verkümmerte Sprachlosigkeit ruft bei einigen ein enormes Zerstörungsbedürfnis hervor.“
Als Lehrer gibt er sich große Mühe mit seinen Schülern, lässt sich durch deren Benehmen aber leicht aus der Fassung bringen. Seine Kollegen bringt er durch sein eigenwilliges Verhalten gegen sich auf, indem er willkürlich nach eigenen Maßstäben Noten verteilt und die Schüler bevorzugt, deren Hirnströme - weil es ihnen nun einmal so mitgegeben ist – langsamer fließen und die darum hart arbeiten müssen. Die das auch tun.
Er fordert eine Kultur der Anstrengung und verrennt sich so in seine Thesen, dass ihm bei einer Lehrerkonferenz eine Kollegin entgegenhält:
„Auf Ihr Menschenbild und Ihr Gesellschaftsmodell darf man gespannt sein. Nein. Nein, eigentlich nichts, Sie haben sich ja bereits verraten. Da kann es einem aufgeklärten Menschen nur kalt den Rücken runterlaufen. Ich weiß nicht, aber für meinen Geschmack ist der Schuldienst nicht mehr der richtige Ort für Sie.“
Nein, beliebt ist er nicht. Die Anschuldigung einer Schülerin, Anders habe sie sexuell belästigt, zieht ihm schließlich den sowieso nicht allzu festen Boden unter den Füßen weg.
Auf der Seite liegend, wusste er so gut wie nichts mehr von sich, war er sich selbst abhanden gekommen, schlief er nicht und war er nicht wach, lebte er nicht und war er noch nicht tot.
Solchermaßen mit seiner Befindlichkeit beschäftigt, nimmt er die Probleme seiner Frau, einer Angestellten in einer Bank, die unter der Bankenkrise leidet, überhaupt nicht wahr, bis sie mit einem Kollegen eine Affäre beginnt. Auch zu seinen Kindern, einem Sohn und einer Tochter, hat er kein gutes Verhältnis. Hatte er doch in Katharina, die in Kunstgeschichte promovieren wollte, große Hoffnungen gesetzt.
Er sah sich bereits auf Besuch bei seiner Tochter, die ihn durch Galerien führen und dabei ein Wissen offenbaren würde, das ihm verschlossen war.
Aber dann bekam sie zwei Kinder und anstatt sich mit ihr darüber zu freuen, empfindet Anders das lediglich als zwei Einschläge. Noch schlechter versteht er sich mit seinem Sohn Jakob, mit dem er nicht viel anfangen konnte, der sich nicht für seine historischen Themen interessierte und von dem Anders dachte, dass er resistent war, gegen jeden Versuch, aus ihm einen angenehmeren Menschen zu machen.
Bei so viel Egozentrik verfolgt man als Leser relativ distanziert das Unglück des Protagonisten, das darin gipfelt, dass eines Tages sein Wagen an einem See gefunden und er als vermisst und schließlich als ertrunken angesehen wird.
Ausführlich und in vielen bildhaften Details beschreibt Bernig das abgefallene Leben des Peter Anders, der vor allem in der Natur Trost sucht. Immer wieder wird die Handlung durch Beschreibungen des Gartens, der Jahreszeiten und des Wetters unterbrochen und das sind die schönsten Stellen im Roman. Als könne er sich in der Natur verstecken oder sich finden, verbringt Anders Stunden im Freien. Symbolhaft wird das jeweilige Verhalten der Katze beschrieben. Bei seiner Geburtstagsfeier wurde ihm, der selbst verstummt und reglos geworden war für einen Moment schwindlig:
das Lied, es war wie jedes Jahr, die Freunde an der Tafel, die Tafel selbst, der sommerliche Garten, die Katze lag unter dem Busch, als hätte sie sich seit Wochen nicht bewegt.
Im zweiten Kapitel beschreibt Bernig im Rückblick wie Anders als Junge mit seinem Cousin Volker, der auch als Erwachsener sein bester Freund bleibt, in den Sommerferien mit seinem Moped durch kleine Ortschaften der Lausitz in die völlige Stille eines Sees fährt. Es ist einer der Seen, die der Kohleabbau hinterlassen hatte.
Der Weg führte leicht bergab, ein See glitzerte hinter den Bäumen auf und war gleich wieder verschwunden. Schwer zu sagen, wie weit entfernt er sein mochte, aber dann erschien er mit einem Mal wieder und lag, geschützt von einem Schilfgürtel, direkt vor ihnen und sah wie ein riesiges Auge in den Himmel.
An diesem See findet ein Angler einen Tag nach Anders‘ Geburtstag dessen Wagen, von Anders selbst fehlt jede Spur. Als dies geschieht, ist noch nicht einmal die Hälfte der Handlung vorüber. Aber auch danach bleibt es spannend, die Leiche wird nicht gefunden und der Leser kann sich nur wundern. Mehr wird nicht verraten.
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