Ein Wälzer voller Umwälzungen
Um direkt so zu beginnen: es war ein sehr mühseliges Geschäft, den neuen Roman von Jonathan Safran Foer zu lesen. Endlose Dialoge, überall sprießen Spitzfindigkeiten, turbulent dramatische Entgleisungen an allen Ecken und Enden, hinzu kommt das ständige Überlagern der verschiedenen Ebenen, ein Erzählen, das in seiner Exorbitanz dem Ausschütten, schnellen Leeren, an-die-Wand-werfen von Flaschen teuren Weins gleicht, und ein leicht aberwitziges Verknüpfen und Übersteigern, das immer wieder wie ein dicker Ölfilm auf der Oberfläche der Sätze glitzert.
Ich habe munkeln gehört, dass dem Stoff dieses Romans ein nicht verwirklichtes Serien-Skript zugrunde liegt. Selbst wenn das nicht stimmt, ist es gut gelogen, denn es würde einige Dinge erklären, die ich oben aufgezählt habe. Dagegen spricht allerdings, dass der Text, obwohl man sich viele Geschehnisse und Gespräche szenisch vorstellen kann, im Wesentlichen, seinem Aufbau nach, literarisch ist. Die Dialoglastigkeit, das screwballhafte, könnte allerdings ein Indiz dafür sein, dass der literarische Überbau, die Komplexität der Erzählung, erst in zweiter Instanz hinzukam und die Dialoge übernommen und angepasst wurden. Eine Idee, die, selbst wenn die Teile gut zusammenwachsen, schnell einreißen kann.
Worüber eine ausführliche Debatte zu führen wäre: worum es in diesem Buch geht – oder besser: worum es nicht geht. Eine amerikanische Rezensentin, Christian Lorentzen, beschrieb den Plot auf Vulture.com als:
a blend of several different events, including: divorce, suicide, bar mitzvah, an earthquake, an all-out Middle Eastern war, and the putting to sleep of a family dog.
In der Tat könnte man sehr vereinfacht sagen: Foers neuer Roman ist eine Geschichte gebündelter Krisen. Da ist einmal die Ehekrise der beiden Protagonist*innen Jacob und Julia, dann die Adoleszenzkrise ihres ältesten Sohnes Sam, die religiöse Krise der Familie, die durch die anstehende Bar-Mizwa des Sohnes noch verstärkt wird, ebenso wie durch die agnostischen und liberalisierten Tendenzen von Jakob und die zionistischen Ansichten seiner Eltern. Dazu kommt noch ein nach einem Erdbeben ausbrechender Krieg in Nahost.
Wie all dies zusammenfindet? Es wäre leicht Jonathan Safran Foer Überinstrumentierung und fatale, nicht fein geplante, sondern eher auf gut Glück verzahnte Handlungsführung vorzuwerfen. Die Bahnen, in denen all diese Geschichten wie Murmeln hinabrollen (in ein immer größeres Chaos), verlaufen nach einem undurchsichtigen System, welches das Aufeinanderprallen der Kugeln an den Knotenpunkten der Geschichte nahezu unausweichlich macht und es sind die Faszination und Spannung im Angesicht eines solchen Schauspiels, die dem Roman einen Drive geben, der viele Schnitzer und magenumdrehende Bodenwellen erträglich werden lässt. Unabsehbar ist alles, aber die Kugeln rollen abwärts, in scharfe Kurven und lange Geraden, und versinnbildlichen den Irrsinn und die Unausweichlichkeit.
Die ganze Geschichte ist stark verknüpft mit jüdischen Topoi (was schon im Titel „Hier bin ich“ Ausdruck findet. Das jüdische „Hineni“ hat eine sehr aufgeladene Bedeutung, die vor allem in bestimmten Geschichten des Alten Testamentes seine Wurzeln hat. Als Abraham aufgetragen wird, seinen Sohn Isaak zu opfern, ist es das erste, was er antwortet, als Gott zu ihm spricht. Auf dem Weg den Berg hinauf, sagt er es dann zu seinem Sohn: Hineni, Ich bin hier, bei dir. Als er dann das Messer erhebt, um Isaak zu opfern, ist es wiederum das erste, was er antwortet, als Gott ihn anruft, um die Hinrichtung zu verhindern: Hineni.“) Ganz abgesehen davon, dass die Entfremdung zwischen den Eheleuten auch einer Entfremdung des Glaubens aneinander/ineinander gleicht, sind es nicht nur die Bar-Mizwa, die Holocaustvergangenheit des immer noch lebenden Urgroßvaters, der Zionismus des Großvaters und der neue Krieg in Israel, die das hervorheben – die ganze Art des Roman sich zu artikulieren, Fragen zu stellen und sich aufzureiben steht in der Tradition des jüdisch-amerikanischen Romans von (u.a.) Philip Roth, Bernard Malamud oder Saul Bellow. Genau wie in den Werken dieser Autoren, erweist sich auch bei Foer das Jüdische (besonders das amerikanisch-Jüdische) als Ausdruck einer an Traditionen gebundenen Weltsicht und Gemeinschaft, die aber zugleich eine enge, untrennbare Verknüpfung mit den geschichtlichen Ereignissen – den großen Verbrechen, Umwälzungen und Konflikten – des 20. und 21. Jahrhundert aufweist und den gesellschaftlichen Fragen und Einstellungen, die sich daraus ergeben haben. Aus dieser Diskrepanz, den Reibungsflächen, resultieren eine Spannung, eine Zerrissenheit und eine Tiefe, die einen wesentlichen Aspekt der conditio humana aufgreifen. Nichtgenügen und unsicherer Wille, Familie und Begehren, Geschichte und Religion – im Dasein sind Widersprüche angelegt, die sich kaum bis gar nicht überwinden lassen. Aus diesen Widersprüchen entspringt jenes persönliche Leid, dass sich weder um Kategorien wie metaphysisch oder banal, profan oder heilig schert, noch um die moralischen Anteile, die in manchem Handeln enthalten sind und in manchem nicht.
Auf ihre eigene Art und Weise sind die meisten Mensch nicht kompatibel mit bestimmten gesellschaftlichen Normen, Erwartungen und übliche Verfahrensweisen. Die Facetten von Entfremdung, Irritation und Leid, die daraus entspringen, stellen eine der größten Herausforderungen dar, denen sich das Individuum stellen muss. Man kann sie kaum teilen oder nur sehr selten und doch ist jeder Mensch davon betroffen, entkommt weder seinen Prägungen und Umfeldern noch seiner in ihm angelegten Natur vollends. Er legt sich Konzepte, Meinungen und Ideen zu, aber auch diese sind zerbrechlich und auch aus ihnen kann Leid entstehen – so verkomplizieren diese Dinge, die eigentlich Sicherheit geben sollten, das Ganze noch einmal.
Man muss Jonathan Safran Foer zugutehalten, dass es ihm gelingt, in seinem Roman gerade diese Dimension der Existenz, mit ihren Diskrepanzen und Missverständnissen, abzubilden und zu thematisieren. Mir persönlich gefällt nicht, wie er das tut (auch wenn ich verstehe, dass ein ästhetischer Mehrwert in seiner Verfahrensweise enthalten ist, wenn auch meiner Ansicht nach hauptsächlich oberflächlich). Es geht nicht einmal um das Rabiate, das so stark zelebriert wird oder die oftmals Knall auf Fall eintretenden Konflikte, die fast nie subtil umschifft, sondern immer direkt ausgebreitet werden (wieder ein Anzeichen, dass eher auf Fernsehen hinweist und weniger auf Roman). Was mich nervt ist vielmehr, dass das chaotische Element des Textes augenscheinlich von Foer nicht nur konzipiert, sondern auch von ihm als sehr clever empfunden wird. Die Überspanntheit in den Dialogen, die ganzen Schwenke über Sex, Masturbation und zeitgenössischen Umgang mit allerlei Wehwehchen, Trends und vorformatierten Konklusionen, sind nicht subtil angeordnet, sie reißen an der Leine wie ein wild kläffender Hund, dem man, bei aller Tierliebe, am liebsten mal eins auf den Deckel geben würde.
Dennoch: es ist kein schlechtes Buch. Es ist ein starkes Buch. Das trifft, bei aller Kritik und Abneigung, immer noch zu. Foer hat, selbst wenn eine gewisse Arroganz mitschwingt, etwas riskiert. Nicht, weil er mit der Form oder der Drastik noch irgendeinen Puritaner hinterm Ofen hervorlocken könnte. Sondern, weil er versucht, mit chaotischen Mitteln die immer wieder eintretende Schräglage in der uns umgebenden Wirklichkeit zu verdeutlichen. Diesen Versuch kann man ihm nicht nehmen. Und die Erfahrung, die dieser Versuch als Lektüre hervorruft, ist zumindest ungewöhnlich.
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