Auf der Suche nach Hinweisen
Der Titel „Weißes Rauschen“ lässt beim ersten darüber Nachdenken nicht weniger erwarten als eine Ansammlung von sprachlich experimentellen Gedichten, deren Zusammenhang, von Wort zu Vers zu Gedicht, bis zum Schluss und auch darüber hinaus, für den durchschnittlichen Leser nicht erkennbar sein würde. Kurz: Neue Lyrik die selbst dem Verleger so unverständlich entgegenschlägt, dass es nur als besonderes Gut verlegt werden kann. Beim ersten Betrachten des Titels zieht man im Kopf Vergleiche von White Noise bis zu dem Verdacht, man könne sprachlich und/oder gedanklich in psychedelische Tiefen vordringen, man vermutet, dass man nach der Lektüre verwirrt bis geschädigt zurückgelassen wird, wie Daniel Brühls Charakter im gleichnamigen Film. Aber nichts dergleichen.
Eine klare, poetische Sprache zeichnet Bilder von (dystopischen) Visionen über griechische Mythen, gescheiterten Underdogs, Science-Fiction-Ideen und Computerspielen bis sich der Leser zum Schluss in Variationen verschiedener Paradiese wiederfindet.
Eingeteilt ist der Band in Kapitel die als Titel für die unterschiedlichen Gedichtzyklen dienen. Oder dienen sie als Hinweis dafür, nach was man in den folgenden Gedichten suchen darf? Der Weg, den ich mir durch das Buch bahnte, war wie der durch ein Kreuzworträtsel oder eine Schnitzeljagd. Immer mit dem Freund Google an meiner Seite um die kleinen Rätsel zu knacken und die versteckten „easter eggs“ zu finden.
Am Anfang schien es noch einfach: Die „Gelben Gedichte“ sind jene die, eines an einem dystopischen Morgen, eines am Mittag und eines am Nachmittag, alle irgendwo die Farbe Gelb versteckt halten. (Genauso wie einige spätere Gedichte). Das Sonnenlicht, das Licht der Erkenntnis durch die Metapher eines Tempels am Mittag, vertrocknetes Gras, das mich an Hitze und die Farbe des Feuers denken ließ. Bei den Kelten war die Farbe gelb eine Farbe der Trauer.
In den „Byzantinischen Sonetten“ dreht sich alles um Byzanz: Der Einzug von Jesus in Jersualem, den die Autorin gekonnt in ein modernes Setting gebannt hat, Glykophilousa, was eine byzantinische Darstellung von Maria ist, die das Jesuskind hält. (Genaugenommen ist es eine Darstellung bei der Maria dem Jesuskind zugewandt ist und ihre Gesichter sich berühren). „Nikolaus“ ist eine Meditation über die Ikone vom hl. Nikolaus von Myra und wahrscheinlich über die russische Ikone die von Aleksa Petrov im Jahre 1294 angefertigt wurde. (Zumindest war unter den Bildern im Internet dieses das einzige, das den Heiligen so darstellte wie die Worte der Autorin ihn beschreiben).
Das Kapitel „Helden der Nacht“ (ebenfalls Sonette) handelt von gescheiterten Persönlichkeiten – jedenfalls oberflächlich – denn wenn man genauer Darüber nachdenkt findet man beim zweiten Lesen u. a. das berühmte Sonett „Ozymandias von P.B.Shelly; man findet eine Novelle von Franz Grillparzer und auch einen Roman von Victor Hugo bzw. die Verfilmung dessen.
In „Allein mit dem Archetypus“ zeichnet Kornelia Koepsell allegorische Szenen zu verschiedenen Archetypen wie das Sterben, die Stille, dem Tod, und auch der Liebe. Hierbei ist zum Beispiel das Gedicht „Die Farben der Liebe“ genauer zu betrachten. Es handelt von Assoziationen zu den Farben schwarz, weiß, blau und rot interpretiert sie mit dem Thema Liebe im Hinterkopf. Dinge tauchen auf, die alles zusammenhalten wie der Architrav oder die Balustrade. Man denkt, schwarz wäre etwas negatives, doch laut Lichtlehre erscheint es nur als schwarz, weil es alle Farben des Lichtspektrums absorbiert. Weiß wird mit dem Obersten in Verbindung gebracht und dem Kapitell, was der obere Abschluss einer Säule ist. Weiß reflektiert auch alle Farben. Im Gedicht wird es auch mit dem Morgenlicht verglichen. Blau wird mit dem Saturn in Verbindung gebracht, welcher einerseits der Gott der Aussaat ist, andererseits in der Astrologie auch ein schlechtes Omen. Und rot: Rot ist Wut, rot ist Blut, und doch, eine rote Rose ist ein Zeichen der Liebe.
Aber Rätsel in Verse zu verpacken ist nicht die einzige Stärke der Autorin. Wenn man schon mitten im Buch ist und alles nachschlägt, um ja nichts zu verpassen landet man „Bei den Schalmeken“ … kein Anagramm, keine passende Wortherkunft. Wenn Google 'Meinten Sie: Schalmeien' vorschlägt – nichts. Nur wunderschöne Fantasie die eine Wärme der Worte ausstrahlt wie sie mir auf diese Art das letze Mal bei „Hundert Jahre Einsamkeit“ untergekommen ist. Es ist, als könnte es die Schalmeken mit ihren Ritualen und Eigenheiten tatsächlich gegeben haben.
Wenn man dann durch einige reale und literarische Orte reist, verkleidet in Langzeilenverse, kommt man zu „Gesänge der Mutanten“. Einem Kapitel das sich wie pure Science-Fiction in Versform liest. „Ode für Myr Thlog 3“ heißt ein Gedicht „Sefonarde des Hezeroth“ ein anderes. Wie die Dichterin zu Battlefield 3- und League of Legends-Spielern kommt ist mir weiterhin ein Rätsel. Auch Talona, eine fiktive Göttin des Gifts und der Krankheit aus der Spielereihe Dungeons & Dragons, kommt darin vor. Und plötzlich, ganz konträr: die Chakren. Besonders interessant ist das Wort bzw. der Ort Nessev. Was es ist weiß ich nicht, aber ich fand eine Gruppe auf Facebook die sich so nennt. Besagte Gruppe hat keine follower und besteht lediglich aus einem Titelbild. Und wieder: Wie fand sie diese Gruppe?
Die Lyrik von Kornelia Koepsell ist vielseitig und mythenlastig. Vorallem scheint sie in der griechischen Mythologie bewandert zu sein. Griechische Gestalten trifft man den ganzen Band hindurch, aber auch Orte und Künstler aus Griechenland. Sie bewegt sich zwischen Mythen, Realtität und Fiktion sehr geschickt und spielt gekonnt mit den verschiedensten Formen von Lyrik. Trotzdem fielen mir ein paar 'Schnitzer' auf. Ich meine nichts gravierendes, weder stilistisch noch inhaltlich, aber immer wenn ich dachte, es gehe in einem Kapitel um ein spezielles Thema, kam irgendetwas dazu das aus dem Raster fiel. Eine kleine Ungereimtheit. Vermutlich sind die schönsten Sachen die, die nicht perfekt sind.
Jeder, der sich lyrisch auf ein Abenteuer einlassen will, ist hier bestens aufgehoben. „Weißes Rauschen“ ist ein Rausch, der den Geist in die Mangel nimmt und herausfordert. Ich habe bei der Lektüre mehr dazugelernt als in einer Woche Zeitunglesen.
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