Ein psychopathologisches Labyrinth
Einen „seltsamen Mann“ nannte der tschechische Dichter und Nobelpreisträger Jaroslav Seifert in seinen Erinnerungen „Alle Schönheiten der Welt“ den Schriftsteller und Philosophen Ladislav Klíma. Seifert berichtet von einem Treffen in der Weinstube „U Šuterů“ das mit dem völligen Besäufnis von Klíma endete.
Wie bei keinem anderen tschechischen Schriftsteller und Philosophen ergänzen sich im Fall Ladislav Klíma Leben und Schaffen, „Lebenstext“ und „Kunsttext“ zu einem unverwechselbaren Ganzen. Die frühe philosophische Schrift „Die Welt als Bewußtsein und als Nichts“ (1904) bringt Leben und Werk in einer widersprüchlichen Weise zum Verschmelzen. Dieser Vorstoß in das absurde Denken läßt zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht ahnen, was dieses dann später für real existierende Grausamkeiten bereithalten wird. Doch Klíma ging es nicht um Prophetie oder Politik. Er bedient sich aller angestammten Denkfiguren lediglich für sein pathologisches Marionettentheater.
So wird in der Vorrede des Romans „Die Leiden des Fürsten Sternenhoch“, der erstmals 1928 in Prag erschien, der Fürst Sternenhoch als ein Hochstehender im deutschen Reich vorgestellt, der „sicherlich Nachfolger Bismarcks im Kanzleramt geworden wäre, hätte ihm das Schicksal nicht die gewaltige Erscheinung Helga-Daemonans in den Weg geführt“. Nach der Vorrede folgen Teile des Sternenhochschen Tagebuchs und damit folgt bereits die erste Obszönität. Der Leser wird wider Willen zum Voyeur!
Sternenhoch beginnt in der ersten Zeile von der Frau seines Schicksals zu sprechen: Helga. Sie wird, wie sollte es bei Ladislav Klima auch anders sein, als extrem häßlich und abstoßend beschrieben. Aber etwas Dämonisches geht aus von ihr, und sie läßt den Fürsten Sternenhoch nicht mehr frei, bis zum bitteren Ende, bis zur letzten Zeile.
Sternenhoch heiratet Helga - das klingt konventionell. Aber nichts im gesamten Handlungsablauf dieses Schicksalsromans ist tatsächlich konventionell. Das gegenseitige Kennenlernen, die Brautwerbung samt Hochzeit und anschließender Hochzeitsnacht, das erste Kind, alles steht unter einem vage angedeutetem drohenden Vorzeichen und gerät Schritt für Schritt aus den Fugen. Der Verfasser des Tagebuches legt sich darüber sogleich Rechenschaft ab, um dann unvermindert weiterzuhandeln. Und zwar wissentlich falsch und gegen alle Einsicht und Vernunft! Somit wird ein Sog erzeugt, der von einem Tagebucheintrag zum nächsten, von einem Schicksalsschlag zum anderen sich steigernd Macht über die Persönlichkeit des Fürsten erhebt. In äußerster Verzweiflung sieht sich Fürst Sternenhoch schließlich zum Mord an der Verursacherin allen Leides gezwungen. Solche Handlung stellt bei Klíma allerdings keinen Höhepunkt, sondern den Ausgang für weitere Exzesse dar. Der Fürst wird wahnsinnig. Doch Wahnsinn und Normalität scheinen austauschbar, wie Leben und Tod. Die Ermordete treibt ihn immer weiter in den Irrsinn, ist es da wesentlich, ob sie es als Widergängerin oder Wahnvorstellung betreibt?
Es wird ein psychopathologisches Verwirrspiel mit doppelten Böden ausgebreitet, unter denen, der Leser ahnt es, neue Geheimfächer verborgen sind. All dies ist flüssig geschrieben und stilistisch glänzend formuliert, was nicht zuletzt der überzeugenden Übersetzungsleistung von Franz Peter Künzel zu verdanken ist.
Furiose Besessenheit und Abweichungen jeglicher Art prägen des Fürsten Leiden, sein Leben verglüht im Fieber. Er gibt sich bewußt Abgründen hin, um wenigstens für einen Moment das Gefühl von Souveränität über das eigene Leben zu sichern.
Unwillkürlich drängt sich an dieser Stelle das Schicksal von Ladislav Klíma auf, der 1878 im Chodenland in Domažlice geboren wurde und 1928 in Prag an der typischen Dichterkrankheit Tuberkulose starb. Über seine Existenz hinaus verweigert er sich einer einfach vorzunehmenden Einordnung in übliche literarische oder philosophische Kategorien. Mittellos und von der Unterstützung von Freunden abhängig hatte er ein schmales, aber im wahrsten Sinne des Wortes ungeheueres Werk geschaffen. Ein weiteres Mal zeigt sich, daß die tschechische Literatur Schätze von europäischem Format in eine gemeinsame Zukunft einzubringen vermag.
Kein geringerer als der tschechische Schriftsteller Bohumil Hrabal hatte einst bedauert, daß der „ewig zurückgestellte“ Ladislav Klíma zuwenig im öffentlichen Bewußtsein gewürdigt wird. Umso mehr bleibt der „Edition Sirene“ auch für den von Peter Sacher herausgegebenen und hervorragend übersetzten Band „Postmortalien“(1993) zu danken.
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