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Kritik

Zuhause in einer Buchstabenwolke

Hamburg

Der aufmerksame Leser, scheint mir, ist jener, der die großen Buchhandelsketten umgeht, lieber stöbert er in den kleineren Bücherstuben oder sucht gleich in der Fülle des Internets. Es hat etwas Labyrinthisches, aber eben das macht den Reiz aus. Jede Entdeckung ist eine eigene Entdeckung und nicht der dezente Hinweis einer Spiegelbestsellerliste. Ein aufmerksamer Leser ist auch ein wenig elitär, er will das Massenprodukt nicht, jedenfalls nichts, das wie ein Massenprodukt aussieht. Und wenn er dann auf seiner Suche durch die Tiefen und Untiefen des Internet watet, stößt er mit etwas Glück auf den Stralsunder Mückenschwein Verlag. Wie die Stadt, so die Homepage. kleinteilig und interessant.

Die Produkte des Verlags, Lesehefte Bücher und CDs sind jeweils Kooperationen von Autoren/Musikern und Künstlern, und werden gewissermaßen auf Zuruf für den Käufer hergestellt. Ein handwerkliches Print-on-demand-Verfahren mit, an dieser Stelle sei der Ausdruck gestattet, köstlichem Ausgang.

Vor mir liegt also ein Heft mit Gedichten und oder Kürzestprosa von Magdalena Jagelke mit dem Namen „Todesmär“. Gestaltet wurde es von Doris Freigofas. Sie gab dem Heft ein interessantes Äußeres irgendwo zwischen Bankkritzelei und Ikonographie.

Magdalena Jagelke ist 1974 in Polen geboren und lebt seit 1986 in Deutschland, wo sie Anglistik und Bibliothekswissenschaften studierte.

Der längste Text der Sammlung heißt „Großmutter ist tot“ und ist gleichzeitig eindringlicher Trauergesang und Epitaph, und er verrät viel über die Herkunft der Autorin, denn ich meine auch einen Abgesang auf das ländliche Polen darin zu hören.

„Großmutter ist tot. Wir hatten keine Blumen in Töpfen. Sie wuchsen draußen. Wir rochen sie.“

Die anderen  sind schöne Prosaminiaturen oder Prosagedichte, die aus einer genauen Beobachtung des Momentes eine Form von Melancholie extrahieren, mit der ich umgehen kann, weil sie an keiner Stelle in einen jammervollen Konservativismus kippt, wie man es bei älteren Kollegen so oft erlebt. Diese Texte bleiben an der frischen Luft.

Ein meiner Meinung nach zentraler Text, „Zuhause“ spielt wie ein Vexierbild mit Herkunft und Gegenwart und eine besonders schöne Passage darin ist eine Buchstabenwolke. Sie enthält Wortfragmente, denen man das Polnische anliest und in der Unverständlichkeit der Worte ist mir der Text doch unmittelbar verständlich.

Jagelke hat für ihre Texte eine Form gewählt, die es schwer hat in der literarischen Gegenwart, die es vielleicht niemals leicht hatte. Umso mehr sollten wir dem Mückenschwein-Verlag dankbar sein. Denn solche Verlage sind es, die diese Formen am Leben erhalten.

Magdalena Jagelke
Todesmär
Illustration: Doris Freigofas
mückenschwein
2012 · 28 Seiten · 7,00 Euro
ISBN:
978-3-936311945

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