Gegen die Gewalt des Schweigens
Elf Erzählungen enthält der Novellenband „Nachts unterm Jasmin“ der algerischen Autorin Maïssa Bey, die mehr als zehn Romane, Theaterstücke und Erzählbände veröffentlicht hat. „Nachts unterm Jasmin“ ist ihr erstes Buch, das in deutscher Übersetzung vorliegt. Maïssa Bey schreibt auf Französisch, hat aber ihr Land nicht verlassen, sondern ist bewusst in Algerien geblieben, um sich - sehr zum Missfallen offizieller Stellen - mit heiklen Themen auseinanderzusetzen, die sonst lieber unter den Teppich gekehrt werden.
Sämtliche Erzählungen des Buches thematisieren Frauenschicksale vor dem Hintergrund des in den 1990er Jahren zunehmenden Einflusses islamistischer Fundamentalisten und der damit verbundenen Einführung der Scharia, des islamischen Familienrechts, das die Rechte der Frauen radikal eingeschränkt hat. War nach der Erlangung der Unabhängigkeit von Frankreich 1962 noch die Hoffnung von Freiheit vorhanden, erfolgte nach und nach die Ernüchterung. „In den virulenten Diskursen selbsternannter islamistischer Emire, deren Worte wie ein Buschfeuer durch das Land fegten, wurden die Frauen als Dämonen verschrien, als Wesen, die die Gläubigen von ihren religiösen Pflichten abhielten“, schreibt die Übersetzerin in ihrem Nachwort. In der Geschichte „In allen Ehren“ geht es um eine Frau, die von ihrem Ehemann „verstoßen“ wird, ein Recht, das nach der Scharia einem Mann zusteht. Der Frau bleibt keine andere Wahl, als sich zu unterwerfen, damit sie nicht aus dem Haus geworfen wird und ihre Kinder verliert.
Die Titelgeschichte behandelt die Beziehung eines Ehepaares, die nicht zu einem Gleichklang, einer Harmonie gelangen können, wobei vieles ausgespart bleibt, nicht ausgesprochen wird, im Leben wie in der Erzählung.
In der Geschichte „Komma“ lässt eine junge Frau am Vorabend ihrer Eheschließung die Vergangenheit ihrer Familie Revue passieren, ein auf dem Dachboden gefundenes Tagebuch, das mit einem Komma endet, gewährt ihr Einblicke in die Zeit, als die koloniale Epoche zu Ende ging und die neuen Machtverhältnisse sich etablierten. Mit derselben Problematik agiert auch die Geschichte „Was ist das, ein Araber?“, wo der Vater und der Onkel eines kleinen Mädchens von Männern abgeholt, gefoltert und ermordet werden. Wie die Autorin selbst von sich sagt, „trägt sie ein ganzes Kapitel Geschichte in sich“.
Und „Schreiben ist auch Selbstbefreiung.“ Maïssa Bey wurde 1950 geboren, ihr Vater von französischen Soldaten ermordet, nachdem der Französischlehrer im Untergrund für die Befreiung Algeriens arbeitete. "Ecrire contre la violence du silence, de l'injustice, de l'indifférence et de l'oubli – Schreiben gegen die Gewalt des Schweigens, der Ungerechtigkeit, der Gleichgültigkeit und des Vergessens."
„Improvisation“ verdichtet die Biographie einer Frau, als sie vor einem imaginären Publikum zu einem Vorsprech-Termin für ein Engagement als Schauspielerin keinen Text erhält, den sie spielen kann. Also spielt sie sich selbst, spielt ihr Leben in einem Monolog durch. Ein sehr eindringlicher Text. Was im selben Maß auch für die anderen Erzählungen gilt. Ein notwendiges Buch!
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