Wenn die Sprache verrutscht
Wer seinen Gedichtband „Das Eigene“ aus dem Jahr 2012 gelesen hat, dürfte von Markus Hallingers neuer, in dem kleinen Ostheimer Verlag Peter Engstler erschienener Gedichtsequenz „Gesummsel“ einigermaßen überrascht sein. Hatten dort die sprachlich genau abgewogenen Beobachtungen aus der dörflichen Nichtidylle ein starkes Fundament ergeben, wird eben dieses nun vehement in Frage gestellt. Die Dinge selbst sind an die Sprache gebunden, und dieser droht eine nihilistische Entwertung, die sie allen Sinngehalts entleert. In der „Rede an die Bäume“ betitelten Prosa-Präambel heißt es zu Beginn:
Warum versagt die Sprache, fallen die Worte aus dem Bild wie ein herabstürzender Helikopter vom Himmel, der mich in Schock versetzt.
Beim Schreiben und vielleicht überhaupt mit dem Einfachsten ringsum zu beginnen und dem Licht, das es erhellt, ist ein Wunsch, der sich nicht mehr realisieren läßt. Die Dinge werden zur Bühne und ihren Kulissen, die Namen zu bloßen Begrifflichkeiten. Sobald sich ihr Sinn entzieht, bleibt ein dissonantes, vielstimmiges Gesummsel, bei dem die Metaphern und Bilder immer weiter verrutschen. Einen solchen Abgesang paradoxerweise in die Form einer lang ausschweifenden Ode zu bringen, bedeutet die Verneinung einer ins Alphabet aufzunehmenden Sichtbarkeit (wie sie beispielsweise Inger Christensen praktiziert hat) und die Zerstäubung herkömmlicher Sinn- und Verstehensmuster, für die es keine Bestätigung mehr gibt:
Ich stand am Apfelbaum, stand Stund um Stund,
ich meinte hier
platzt Taglicht rein, (der Regen rauscht),
rein gar nichts platzte,
rein klapperten die Klapperhölzer
und das zur Erntezeit.
Das Wortspiel wird zum Ersatz eines sinngesättigten Sprechens, das Benzin für den überdrehten Motor des Gedichts ist Sprache, angetrieben von nichts als Sprache. Und wenn alles absackt, schräg wird, wie mehrfach die Klage lautet, wenn „die Sprache mir verrutscht“ und man aus allem ringsum nicht mehr klug wird, dann erinnert die harlekineske Verstellung der Metaphern an einen, der aus reiner Verzweiflung den Klassenclown gibt. Der Hase erschießt den Jäger, der Hase wird zum Autor, dem ein Bienenschwarm im Munde summt, andere Perspektiven, Blickwinkel schneiden dann quer herein, Reminiszenzen, nostalgische Bruchstücke, eine atemlose Jagd der Bilder ist zugange, in dauernden Metamorphosen:
Die Sache war die: Bei der Sache zu bleiben — .
Die Sache zu treiben. Flickschusterei.
Auf Anhieb enthüllt sich der Hintersinn nicht, man muß es wohl schon mehrmals lesen, dieses „endlose Selbstgespräch“, als das sich das „Gesummsel“ (nicht nur nach des Autors eigenen Worten) entpuppt. Man muß und sollte es vor allem als Zyklus lesen, denn nur auf diese Weise erschließt sich diese wahrhaft furiose Metapoesie. In einzelne Gedichte zerstückt, zerfällt nämlich auch ihr Hintersinn, doch liest man es als ein einziges, großes langes Gedicht, ist der Ausruf in der Nachrede: „Aus dem Bild zu treten, was für ein Glück / die Landschaft hier“, tatsächlich eine Erleichterung und der Eintritt zurück in reale Zusammenhänge ein wiedergewonnenes Territorium. Zumindest scheint es die Hoffnung zu geben, auf etwas, da draußen, außerhalb der beschriebenen Buchseite, und man wünscht dem Autor insgeheim viel Glück und Erfolg dabei, wenn er zuletzt sagt: „Ich nehme die Witterung auf.“
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