Anzeige
Heimat verhandeln V&R böhlau
x
Heimat verhandeln V&R böhlau
Kritik

Auf die Bretter, Ihr Philologen!

Eine metaphorische Verhaltenslehre über das Bewegen in Informationsfluten

Die Monographie der Literatur- und Medienwissenschaftler Matthias Bickenbach und Harun Maye verfolgt ein doppeltes Ziel: Zum einen soll die Studie zeigen, wie das Verständnis und der Umgang des Mediums Internet wesentlich von der Metapher des Wellenreitens bestimmt sind. Ihre medienmetaphorischen Beobachtungen führen die Autoren auf eine lange literarische Tradition nautischer Metaphern zurück, die seit jeher für einen kühnen Umgang mit Wissen eingestanden habe. Zum anderen erheben die Autoren damit einen bildungspolitischen Anspruch, indem sie das Surfen zum angemessenen Medienstil des Internetzeitalters erklären. Unter Ausblendung aktuellerer Internetmetaphern führt das Plädoyer für einen spielerischen Umgang mit Informationen so zu einer Universalisierung der nautischen Metaphorik.

"Auf die Schiffe, ihr Philosophen!", rief Nietzsche in seiner Fröhlichen Wissenschaft, um das 'vernünftige' Denken herauszufordern, das sich an den Metaphern des festen Bodens orientiert. Mit eben diesem Ausruf zitieren die Autoren des vorliegenden Bandes Nietzsche als einen Gewährsmann für das riskante Navigieren im uferlosen Raum des World Wide Web, der seit jeher in Metaphern vorgestellt wurde: als "Netz", als "Cyberspace", als "Datenautobahn", als "Datenmeer". In den Debatten über das Internet sei zwar früh schon eine auffällige Metaphorisierung des Mediums bemerkt worden, konzedieren die beiden Literatur- und Medienwissenschaftler, "aber meistens bewegen sich die Beiträge zu diesem Thema innerhalb der Metaphern, die sie verwenden, ohne sie als Metaphern zu behandeln" .

Gerade die deutsche Medientheorie habe mit dem Verweis aufs Technische die Bildlichkeit ihrer eigenen Rede oft auszublenden gepflegt. Demgegenüber sei eine reflektierte, metaphorologisch geschulte Perspektive auf das Medium notwendig, so die allenthalben begrüßenswerte Einsicht der Autoren, die damit die – zwar nicht neue, aber wichtige – These vertreten, dass die Akzeptanz und Durchsetzung neuer Medien von "Leitbildern" abhängt: "Ohne Metaphern keine Kommunikation über Medien". In welchen Metaphern die Medien beschrieben werden, ist folglich von entscheidender Bedeutung.

Surfen als absolute Metapher

Matthias Bickenbach und Harun Maye behaupten nun, dass das Internet im Wesentlichen von nautischen Metaphern bestimmt sei, die bereits eine lange literarische und auch wissenschaftspoetische Tradition aufweisen . Vor allem das "Surfen als Metapher und Operation des Umgangs mit großen Datenmengen" stehe für einen "operativen Medienstil" ein, der die Metapher zu einem kulturellen Leitbild in der Informationsgesellschaft qualifiziere: das Navigieren im "Datenmeer" und den "flüssigen" Umgang mit Daten . Davon ausgehend wollen die Autoren nun die kulturgeschichtliche und heuristische Bedeutung der nautischen Metaphorik untersuchen, um ihre Plausibilität und Angemessenheit für einen adäquaten Umgang mit dem Medium Internet zu begründen.

Dazu unternehmen sie einige sehr lesenswerte literatur- und medienwissenschaftliche Exkursionen zu Herder, Goethe, Poe, London, McLuhan und den Cyberpunk-Autoren – als den Vor- bzw. Wellenreitern der Informationsgesellschaft.
Mit dem Anspruch der Exkursionen verbindet sich nun aber eine Reihe von Problemen, vor die der Leser dieses so gelehr- wie unterhaltsamen Buches gestellt wird. Denn trotz vieler überraschender Beobachtungen und anregender Gedanken über das Surfen als Fortbewegungsstil in "flüssigen Medien" wird am Ende nicht plausibel, warum ausgerechnet die "Navigation" bzw. das "Surfen" eine "absolute Metapher" des Internets sein soll; beziehungsweise – warum noch immer.

Universalistischer Anachronismus

Die nautische Metaphorik war dominant vor allem im Internet der 1990er Jahre als sie sich bis in die Namensgebung der Software hinein erstreckte. Doch das Internet hat sich weiterentwickelt und mit ihm seine Metaphern – in denen sich auch eine veränderte Rolle des Users bekundet. So wirkt eine Universalisierung der nautischen Metaphorik für einen Leser im Jahr 2010 merkwürdig anachronistisch: Wer sagt heute noch, dass er "surft", wenn er 'newsfeeds' liest, 'bloggt', 'zockt', 'postet', 'streamt' oder 'twittert'? Die Konzentration auf eine historische Medienformation und ihre spezifische Metaphorik wäre völlig unproblematisch, wenn nicht von der These der Universalität der Surf-Metapher die Plausibilität der gesamten Argumentation abhinge – die sich bezeichnender Weise hauptsächlich auf die science fiction und Internet-Literatur des vergangenen Jahrhunderts stützt. Indem die Autoren die aktuelle Entwicklung des Internets und seiner Metaphern in ihrem vielversprechenden Buch über die Metapher Internet völlig unbeachtet lassen, verlieren sie die Historizität des Mediums aus dem Blick.

Naturalisierung des Mediums

Im selben Zug perpetuieren sie mit der Metapher auch deren naturalisierte Sicht auf das Internet: Sie adressiert es als etwas natürlich Gegebenes: das "Datenmeer", in dem sich der User als 'Entdecker' digitalen Neulands, als 'Fischer' von Daten oder eben als ein 'Surfer' bewegen kann, der sich allein dem thrill des Mediums hingibt. Auf die Zahl und Größe der Ströme aber, die das Meer füllen, haben lediglich Programmierer oder Hacker Einfluss.

Heute ist der User nicht mehr in dieser Situation: Das sogenannte Web 2.0 erlaubt es im Grunde jedem Internetnutzer, zu einer Quelle, einem Kanal oder eben auch einem Klärwerk beliebig vieler Informationsströme zu werden. Dem entspricht eine veränderte Metaphorik. Die neuen Metaphern der social networks und swarm intelligence tendieren dazu, die Nutzer als Kunden, Mitarbeiter, Sozialwesen oder -kapital zu adressieren: als Subscriber, Peers, Friends oder Crowds. Bezeichnender Weise ist in dem Begriff des Bloggers die nautische Metaphorik, die ihm noch zugrunde liegt, kaum noch zu erkennen: Das aus der Kreuzung von World Wide Web und Logbuch entstandene Weblog wurde zum Blog verkürzt. Blogger verstehen sich auch eher als Journalisten oder Entertainer denn als Seefahrer oder Surfer.

Während sich die Metaphern des Web 2.0 also offenkundig auf die Interaktionen zwischen Usern beziehen, sind diese mit der Metapher des Surfens überhaupt nicht oder nicht mehr zu fassen. Der Surfer ist immer allein auf seinem Brett.

Im Malstrom der Metapher

Die Hypostasierung der Surfmetapher wirkt damit wie ein Strudel, der die verschiedenen Metapherngeschichten in ein gemeinsames Zentrum zieht, wie ein Sturz in den Malstrom – der zugleich auch Thema eines der wichtigsten Kapitel des Buches ist. Darin interpretieren die Autoren Poes gleichnamige Kurzgeschichte als medientheoretisches Paradigma. Nach einem Rundumschlag gegen seine bisherigen Interpreten, die in ihrer Auslegung "fast zwanghaft die Geschichte der rhetorischen Figur" wiederholten, weil sie immer nur danach fragten, was der Malstrom sei und nicht, wie man ihm entkomme, erklären die Autoren mit McLuhan: "Poes Heros ist ein Surfer". Damit bieten aber auch sie nur eine weitere Deutung dessen an, was der Malstrom sei: die Informationsflut der Medien. Vor dem Hintergrund dieser allemal originellen Deutung fragt man sich indessen, ob Bickenbach und Maye dem Sog der Metapher erlegen sind. Denn entgegen ihrem anfänglichen Vorsatz, die Metaphern "als Metaphern zu behandeln", scheinen sie das Surfen nun ganz für den 'eigentlichen' Ausdruck der Sache selber zu nehmen.

Medienmetaphorischer Essentialismus

Wenn die Autoren eingangs behaupten: "Das neue Medium Internet greift diese [nautische] Metaphorik auf und nutzt sie zu seiner Selbstbeschreibung", so zeichnet sich damit bereits der grundlegende Argumentationsstil des Buches ab, den man als medienmetaphorischen Essentialismus bezeichnen könnte: Er suspendiert die Frage nach dem 'Subjekt' der Metaphernwahl und ihren Gründen zugunsten einer Universalisierung der Metapher. Mit einem Nachruf auf die schon antiquarische Metapher der "Datenautobahn" bescheinigen die Autoren der Surfmetapher einen historischen Sieg über die restriktive Alternative zum freiheitlichen "Datenmeer". Damit blenden sie en passant nicht nur alle übrigen Metaphern eines vergesellschafteten Internets aus. Sie verlieren zudem die unterschiedlichen Akteure und Funktionen der Metaphern in ihren konkreten historischen Kontexten aus dem Blick.

Metapherngeschichten ohne Ursprung

Zwar wird die politische Funktion der fossilen Metapher "Datenautobahn" benannt, nicht aber ihr mutmaßlicher Urheber Al Gore und dessen rhetorische Strategie; ihr infrastrukturbezogener Entstehungskontext wird ebenso ausgeblendet wie der erfahrungsbezogene Ursprung der Surf-Metapher. Erst in einer Fußnote auf Seite 157 erhält der Leser einen Hinweis darauf, wann und von wem sie vermutlich erstmals auf das Internet übertragen wurde. Obwohl sie den Autoren offenbar bekannt ist, erzählen sie die Geschichte dazu leider nicht. Bemerkenswerter Weise steht die Fußnote im Zusammenhang mit einem Zitat, in dem 'eigentliche' Surfer die Metapher anfechten, weil sie den Vergleich des riskanten Sports mit dem Herumklicken auf Webseiten für überspannt halten. Bickenbach und Maye verteidigen die Metapher dagegen mit dem Verweis auf die unhintergehbare Faktizität der nautischen Trope, welche "immer schon" auf "intellektuelle und poetologische Bereiche" übertragen worden sei.

Metaphorologie als Katachrese

Der Anspruch des Buches, die Metaphern des Internet "als Metaphern zu behandeln", verspricht – gerade mit dem Rekurs auf Hans Blumenberg, dessen Metaphorologie die These von der "absoluten Metapher" philosophisch begründen soll – eine methodisch wie theoretisch fundierte Untersuchung. Den Metapherntyp, welchen die Kommunikation über neue Medien in Ermangelung passender Begriffe notwendig verlangt, bezeichnen Bickenbach und Maye entweder, unter Bezug auf die antike Rhetorik, als "Katachrese" oder, unter Bezug auf Blumenberg, als "absolute Metapher". Eine Reflexion des Verhältnisses beider durchaus nicht identischer Begriffe wäre dabei sehr wünschenswert und hilfreich gewesen, verbinden sich mit ihnen doch unterschiedliche Voraussetzungen. Blumenbergs philosophische Absetzung von der aristotelischen Metapherntheorie wird von den Autoren ebenso wenig erörtert wie dessen These, dass "absolute Metaphern" historisch sind und sich irgendwann einmal erschöpfen. Anders als Blumenberg in seiner von den Autoren gelegentlich zitierten Studie Schiffbruch mit Zuschauer (Frankfurt am Main 1979) suggerieren sie vielmehr eine ungebrochene Kontinuität und Geltung der nautischen Metaphorik. So versuchen sie, die verschiedenen Metaphern und ihre Transformationen zu einem kohärenten Bild zusammenzuführen. Das erweist sich dann in der Tat als Katachrese – im Sinne des Bildbruchs: etwa in der Gestalt eines 'fischenden Surfers'.

Mit ihrer Monographie über die Metapher Internet haben Matthias Bickenbach und Harun Maye, trotz all der hier besprochenen Schwierigkeiten und Irritationen, für die einschlägige Forschung einen originellen Beitrag geliefert. Wer die Metaphorizität der Medien und die Poetik des Wellenreitens erforscht, wird an der so material- wie gedankenreichen Publikation über Literarische Bildung und Surfen nicht vorbeikommen. Als metaphorische Verhaltenslehre über das Bewegen in Informationsfluten plädiert die Studie für einen sportlichen Umgang mit Informationen. Wer diese Empfehlung auch bei der Lektüre des schillernden Buchs beherzigt, wird sich auf seinen Brandungen gut halten können.

Matthias Bickenbach · Harun Maye
Metapher Internet
Literarische Bildung und Surfen
Kadmos
2009 · 244 Seiten · 22,50 Euro
ISBN:
978-3-865990891
Erstveröffentlicht: 
KULT online

Fixpoetry 2010
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge