Massenhaft Menschliches-Allzumenschliches
Der Lyriker Mikael Vogel kann natürlich nichts für meinen Hang zum Vergnügen an tragischen Gegenständen. Ich habe mir seinen Lyrikband „Massenhaft Tiere“ begeistert bestellt und zuschicken lassen, schon vor Monaten, weil ich auf der Stelle den Titel so ansprechend fand. Ich dachte sofort an dieses „Massenhaft“ als Substantiv, dachte, was für ein genialer doppeldeutiger Titel: „Die Massenhaft der Tiere“, dachte an einen konzeptionellen politisch-kritischen Gedichtband, einen längst überfälligen, der sich schimpfend und anklagend mit Massentierhaltung beschäftigt, mit Tiertransporten, mit unkontrollierten Bolzenschüssen bei Rindern und Schweinen, mit Robbenschlachtung, mit Walfangquoten, mit Bienensterben und Batteriehühnern, mit Pferdedressur und ertrinkenden Eisbären, mit aussterbenden Tigern und durch Ringe und Reifen gezwungenen Delphinen, mit konditionierten, gedopten Olympiapferden und gehäuteten Ozelots und, und, und… Anfangs sah ich diese Erwartungen durchaus bestätigt, zum Beispiel im titelgebenden zweizeiligen Gedicht „Massenhaft Tiere“: „In der Futtermischung der Mastschweine / Vermengten sich die Psychorpharmaka zu blühenden Wiesen“ [Psychorpharmaka? Gibt’s das? Anm. des Rezensenten], oder auch in dem sehr gelungenen, kritisch-empörten Text „Luftpost“ auf Seite sieben:
Im Gepäckraum der Flugzeuge unterhalb der
Gewölke der Touristenärsche
In Käfigen im Turbinenlärm verängstigt, sediert
Aus den raschelnden Wäldern gefangen
Im Jetflug schädelschraubenwärts, gehirnelektrodenhin
Affenpost an die heimischen Versuchslabore
Aber dann, nach ungefähr sechzehn Seiten, nach den ersten sieben bis acht Gedichten, tauchten plötzlich doch auch ganz andere Töne auf, und dann wieder andere. Manchmal sesamstraßenlike („Die Känguunruh“), manchmal banal: „Wie verzaubernd schüchtern du da stehst, auf / Zwei Beinen -“ ( „Flamingoflirt“, Seite 24), manchmal bedeutungsschwanger: „Vogel in seinem Ast machte sich zum / Stück Kohle gegen die Morgendämmerung“ („Poetik der Ernüchterung“, Seite 51). Spätestens da musste ich dann doch erst einmal ein paar Monate ins Land ziehen lassen, um mich dem knapp hundertseitigen Lyrikband, befreit von diesen meinen eigenen kalkulierten, schwärmerischen Einordnungen, neu nähern zu können, da der Titel eigentlich doch meistenteils meint, dass der Autor sich schlicht „mit einer Vielzahl“ von Tieren poetisch auseinandersetzen will, also mit „Allerlei Tieren“.
Wenn jemand Tiergedichte schreibt, jetzt mal unkritisch genommen, heißt das natürlich nichts anderes, als dass er Gedichte schreibt über uns, über das Menschlich-Allzumenschliche. Klar kann es auch das reine, unreflektierte, existentielle Tiergedicht geben, aber das ist schwer zu vermitteln: eine Hymne auf die Farben und die Kurvenziehung der Tiefseefische? Der Geruch der Skorpione im Mittag als Sonett? Der Wasserbüffel, der sich die Fliegen aus den Hörnern schüttelt als sisyphusischer Refrain für die Ewigkeit? Aber spätestens hier schleicht sich eben schon wieder das Gleichnis ein. Vogels lyrische Safari ist also in der Regel einfach ein tierlastiges Potpourri, oder positiver gesagt, eine mitunter originelle Perspektivverschiebung auf unsere spätkapitalistischen Besorgnisse, unsere Arbeit, unsere romantische Liebe, unseren Tod, unsere Großstadtfreizeit. „(…) mal huscht das Tier nur so durch die Gedichtzeile und ist verschwunden, lässt den Menschen wieder auf sich allein zurückgeworfen stehen mit dem im Tier erhaschten Spiegelbildsplitter seines eigenen Seelenzustands (…)“, verrät ja auch der Klappentext. So kann man diese Sammlung an Tiergedichten ebenso als mannigfaltig oder vielschichtig wie auch als verwässert oder beliebig empfinden. Kritische Lyrik wechselt in konventionelle Späße und umgekehrt. Der Autor hätte vielleicht durch eine stringentere Kapiteleinteilung eine gewisse Konzeptlosigkeit vermeiden können. Andererseits kann aber auch genau dies sein Konzept sein, dass der Leser sich auf die Pirsch begeben muß, dass er sich durch einen Dschungel zu blättern hat, um sich darin zu verlieren. Das Unberechenbare, das Dionysische lauert sozusagen auf jeder Seite. Ein Freiluftgehege aus Strophen, ein Bestiarium in Versen, eine Wildparkrevue. Wahrscheinlich deswegen sind Mikael Vogels Gedichte auch nicht allzu sehr geprägt von Rhythmus, Melodik, Intention oder Formstrenge: Es sind eher Ideen, Impressionen, hin und wieder so etwas wie Aphorismen, vielleicht. Wenn es dann ungezähmte, ellenlange Überschriften gibt, wie beispielsweise: "Das Gedicht trägt seinen Mund wie der / Rochen den seinen an der Unterseite verborgen, / der Mund ist immer hungrig, immer / bedürftig"(Seite 54), und sich darunter in einem schwarzen Balken bloß das Verb "vernichtet" findet, dann mag das vielleicht ein launiges Statement sein, ist mir aber dann doch allzu verspielt. Viele Gedichte sind eher Notizen, bestehen mitunter nur aus zwei Wörtern, das ganze noch dazu ohne Titel, wie auf Seite zehn: "Aussicht, Fliegenschiß" steht da, sonst nichts, nichts sonst. Oder es tut sich eine einzige einsame Zeile auf, wie die auf Seite vierzehn:
"Mein Kater hat das Stockholmsyndrom"
Das war‘s dann aber auch schon. Ist zwar irgendwie witzig, aber reicht das? (Bei meiner Katze und mir ist es übrigens gar nicht so sicher, wer von uns beiden eigentlich das Stockholmsyndrom hat, nebenbei bemerkt.) Auf Seite einunddreissig dann immerhin wieder ein Zweizeiler: "Tröstlich in meiner Nasenspraysucht: / Es könnte schlimmer, ich könnte ein Elefant sein".
Das ist mir aber dann wirklich zu sehr schlichte Pointe, um auf einer ganzen Seite präsentiert zu werden. Denn im Gegensatz etwa zur japanischen Form des Haiku, das in drei Zeilen zu siebzehn Silben ins Bodenlose schürfen lassen kann, sind dies doch eher harmlos-konventionelle AperÇus, irgendwie mit einem Nebengeschmack von kleinbürgerlicher Humorigkeit; - die drollig-niedlichen Illustrationen von Matthias Seifarth von einem Großpapa mit Paviankopf oder einer Giraffe mit Rollkragenpulli und Brille unterstreichen diesen Eindruck noch. Lyrische Höhepunkte findet man in dem Buch anwachsend dann wieder im hinteren Teil, und merkwürdigerweise immer, wenn die Experimentierfreude des Dichters oder der Hang zum Kindlich-verspielt-sein-Wollen wohltuend abgedimmt wird, wie in dem titellosen, großartigen Opheliagedicht auf Seite neunundachtzig, das zwar einige Flussfaunen als Interieur beinhaltet, jedoch im sonstigen Sinne des Buches nicht unbedingt ein Tiergedicht ist oder sein will:
Ophelia, säufst wie ein Loch
In dunklen Bars ertrunken in dünnem Schnaps
Das Wasser hätte dich behalten sollen
Die Gespenster schwemmen dich schlimmer auf, die
Finger toter Männer, böse Zweige
Nie wieder deine Kleider so weit, so ausgebreitet wie
Damals treibend im Abwasser
Ophelia, deine ausdauernde Schar Wasserschlangen, Waschbären
Biberzähne und andere Ratten, sprichst die Dinge noch immer abgesoffen aus
Ungezieferbisse in deine Schwammhaut, vom Mitsuff schon ganz schwer
Fixpoetry 2013
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben