Neue deutsche Biedermeierin
Dieses Buch ist mir unangenehm. Etwas verschämt halte ich es so, dass niemand im Bahnabteil das Cover mit dem pinken, anatomisch korrekt dargestellten Herz im wulstigen Prägedruck und der knalligen Schrift darunter – Verficktes ebenfalls in Pink, Herz in Neongrün – sehen kann. Wenn aber jemand über meine Schulter linsen und still mitlesen würde, wäre das noch schlimmer.
Es ist schon merkwürdiger: Ich bin doch ein junger heterosexueller Mann Mitte zwanzig, aus der oberen unteren Mittelschicht, geschiedene Eltern, nach dem Abi und Zivildienst von der Kleinstadt nach Berlin gezogen, um in den Geisteswissenschaftlichen zu studieren und mittlerweile voll drin im prekären Leben. Ich bin kurz gesagt nicht anders als das Personal, das sich auf diesen knapp 160 Seiten liebt und/oder verliert.
Die Quintessenz dieser vierzehn Geschichten aus der Feder von stern-Redakteurin Nora Gantenbrink ist ebenso simpel wie altbekannt: Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot. Kenn ich. Nicht nur, weil ich mit der staubtrockenen deutschsprachigen Literatur der Neunziger vertraut bin. Ich bin doch auch so ein Mensch, eigentlich. Beziehungsprobleme, Liebeskummer und Depressionen – alles schon selbst gehabt.
Trotzdem strebt sich alles in mir dagegen, mich mit dem zu identifizieren, was ich am eigenen Leib und, ja, sagen wir mal: Herz kennengelernt habe. Aber warum? Wegen der aufgesetzten Toughness, mit der Gantenbrink schreibt? Den lahmen Aphorismen über das Leben, die Liebe und das Drumherum? Wegen der Larmoyanz, Apathie oder vorgespielten Craziness der unterkomplex gezeichneten Charaktere?
Oder einfach nur, weil dann doch keine der Figuren in ihrer Klischeehaftigkeit und ihre vorgeblich idiosynkratrischen, tatsächlich aber stereotypen Situationen so verdammt durchschnittlich sind, dass sie kaum der Rede wert sind? Weil sie dann doch, aller vermeintlichen Parallelen zum Trotz nicht wirklich etwas mit mir gemein haben außer vagen biografischen Daten und allgemein menschlichen Erfahrungen, worüber sich privilegierte Menschen im Westen eben den Kopf zerbrechen?
Und ich weigere mich dagegen, mich mit diesen von Gantenbrink hingerotzten Charaktersilhouetten zu identifizieren. Leute, die schwammig über Exzesse berichten, die bei genauerer Hinsicht alles andere als außergewöhnlich sind. Leute, die in immer demselben Tonfall immer dieselben schnöden Dinge besprechen. Leute, deren Geschichten auf den ersten Blick tragisch scheinen und auf dem zweiten Blick dann nur ihrer Uniformität wegen deprimieren. Die Stories in Verficktes Herz sind genauso gestisch und oberflächlich wie der müde Titel.
Vielleicht sind mein Problem aber auch gar nicht die abgenutzten Typen oder der enervierende sprachliche Minimalismus, der zwanghaft auf ironischen Pointen enden und mit rotziger Pose kontrovers sein möchte. Vielleicht aber ist es mir nur unangenehm in der Bahn zwischen all diesen Menschen zu sitzen, Verficktes Herz zu lesen und mich doch nicht grundsätzlich davon zu unterscheiden, obwohl ich es will. Eventuell ist das, was mich an diesen Geschichten so abstößt, ja das, was ich selbst von meinem Leben nicht wahrhaben will. Oder?
Das glaube ich eigentlich nicht. Das Problem liegt vor allem in der von Gantenbrink geschilderten Welt, die sie mit Bedeutung aufzupeppen versucht, die aber nur ein schattenhafter Abklatsch der alltäglichen Hölle ist, die wir uns jeden Tag schaffen. Und trotzdem ist darin nichts Besonderes zu finden. Daran rüttelt das Coming Out des Bruders aus der letzten Story ebenso wenig wie der zugedröhnte Kumpel, der auf einem London-Trip ein Model abschleppt. Gantenbrink bildet überspitzte Normalität ab – und lässt diese damit noch dröger erscheinen.
Gantenbrinks ProtagonistInnen sind nicht nur halblebendige Klischees, sie reproduzieren überdies noch welche, am laufenden Band. Ohne sie jedoch zu demontieren, gekonnt zu persiflieren oder gar zu negieren. Und das langweilt mich nicht nur entsetzlich, das ist mir sogar sehr unangenehm. Weil ich hinter den Irrungen und Wirrungen eine konservative Weltsicht vermute.
»Zusammenfassend denke ich, dass es naiv ist und irre kitschig, an die große Liebe zu glauben. Aber vielleicht es genau das, wonach sich die Menschen alle insgeheim sehnen. Kann das sein?«, fragt das Scheidungskind der Geschichte 13 angesichts ihrer immer noch glücklich liierten Großeltern. Eine Frage, so suggestiv wie jede einzelne der kurzen Stories aus Verficktes Herz. Diskutabel, klar. Aber nicht ausreichend diskutiert, um nicht als hegemoniale Wahrheit da zu stehen.
Gantenbrink versucht Authentizität mit Eigenwilligkeit zu paaren. Es gelingt ihr nicht. Vielmehr präsentiert sie sich als neue deutsche Biedermeierin, in der Tradition von reaktionären Maulheldinnen wie Sibylle Berg und schwurbeligen Bedeutungsschleudern wie Judith Hermann verhaftet. Kurz gesagt eine Schriftstellerin, deren simplizistischer Herzmüll schon längst von der Stadtreinigung hätte entsorgt werden sollen.
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