Vom Wechsel der Reservate
„Schreiben heißt: die Welt mit ihrer Präsenz aufrufen“ schrieb der portugiesische Dichter Paulo Teixeira 1988 in seinem Gedichtband A Região Brilhante. In seinem Fall war das sehr oft und sehr lange Ekphrasis, eine Beschreibung der Zeit als Gemälde, eine Darstellung der Welt als Zeitbild, von einer poetischen Existenz entdeckt und herangezoomt. Und immer war es ein meist melancholischer Anderer, der dabei die Visionen des Zerfalls und die unausweichlichen Tendenzen des Vergehens zu seiner Palette machte und sich die Welt als Teppich hinlegte, den man im Gedicht ausrollen kann. Das poetische Ich, das seinen Job macht und mit antrainierten poetologischen Muskeln abarbeitet, was an Welt dafür in Frage kommt. Eine Präsenz, die definiert vorgeht und dabei – definitionsgemäß – Aussparungen hat. Eine aus Distanz gewonnene Nähe. Aus dem Abstand zur Sache wird Sprache und aus der Sprache dann doch wieder Kontakt.
In seinem jüngsten Buch Autobiografia Cautelar = Einstweilige Autobiografie macht Paulo Teixeira einen Schritt aus alten Mustern heraus und versucht etwas zu integrieren, was definitionsgemäß bislang nicht passte. »Lange Zeit empfand ich regelrechten Widerwillen gegen Bekenntnispoesie und Narzissmus in all seinen Spielarten. Erst als ich nordamerikanische Lyriker wie Robert Lowell und Sylvia Plath las und sah, wie sich bei ihnen buchstäblich das pralle Leben darbot, ohne die geringste Scham, aber auch ohne die geringste Selbstgefälligkeit, stellte ich mich der Herausforderung zu beweisen, dass auch ich die Fähigkeit besaß, über mich selbst zu schreiben.«
Von einer Fähigkeit ist die Rede. Teixeira erkennt für sich, daß T.S. Eliots alte Unpersönlichkeitsdoktrin nur eine Jacke ist, die man sich anzieht und die längst nicht zu allen Gelegenheiten passt. Man kann sie sich antun und eine Weile darin herumspazieren, aber ins Wasser beispielsweise kann man mit ihr nicht. Alle wohldefinierten Areale, in denen sich Dichtende mit ihrer Sprache bewegen sollen, sind nichts anderes als Reservate. Der Dichter der Gegend hat keine Ahnung vom All. „In dem Glauben, dass sie dir zwischen Buchstützen / Obdach geben könnten, die Wörter, / dieser platte Erguss eines Lebens in Metaphern, / hast du, ohne es zu wissen, ein Dasein balkanisiert.“ schreibt Teixeira.
Aber er ist noch nicht dort, wo es wild wird und frei. Seine Sprache ist groß und vehement, und wirkt dennoch diszipliniert und angezurrt. Wenn auch der portugiesische Dichterkollege Pedro Mexia (auf dem Umschlagstext) „eine Wende in seinem Schaffen“ ausmacht, immer noch müssen Jesus Christus und andere historische Figuren herhalten, wenn Teixeira über sich selbst reden will. „Denn meine Hoffnung liegt in der Vergangenheit / und die Welt hinter diesem falschen Rand.“ Wände findet er vor und Ränder, seine Gedichte bleiben wie Friese, auf denen „Faust oder Gott“ ihre Spielchen auswürfeln und werden in den besten Momenten zu einem „privatem Bestiarium“ irgendwo in einer Tiefe und dort – so schildert er es - zur Stychomythie. Welche Worte jagen dort einander? Was hört sich dort wie an? Teixeira sagt es uns leider nicht. Man spürt, daß der angekündigte Schritt aus der Doktrin in Teilen gelingt und viele ungewöhnliche Verse freisetzt, aber noch nicht weit genug führt. „Das Leben schreiben: eine Aufgabe mit Geruch“, sagt Teixeira, weil man Leichen ausgräbt und jede einstweilige Autobiografie zur Obduktion wird, eine „stinkende Kloake, in der kein Brahma ist / außer der Wellen Branden“. Naja. So kann das versanden.
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