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Kritik

Ein obdachloser Gedanke

Erstmals Gedichte des Finnen Pentti Holappa in deutscher Sprache

Die Stimmung eines ruhelosen Nachmittags, es hat geregnet und jetzt tropft es nach aus den Bäumen. Der beste Moment ein Gedicht zu beginnen. „Der Geist ist frei wie ein Nebengebäude aus Holz, / aus dem letzte Nacht jemand ging ohne abzuschließen. / Der frierende Hund hat sich dort im Stroh verkrochen.“ In Erd- und Waldfarben ist Platz für Stille und eine offene Weite des Zweifels. Die „Fischschwärme der Seele“ verschwimmen ihr Dasein unter den Augen des Widersinns und seiner dunklen Gewissheit. Gäbe es nicht auch das Du und die Wurzeln im Kargen und Grauen der Welt.
Pentii Holappas Gedichte sind stille, ungeschminkte Begegnung. Er selbst sagt: „Das Ich in meinen Gedichten – das bin ich.“ Und die Welt ist erkennbar Welt. Mit ihren ewigen Gesetzen und ihrer eigenen Dauer. „Zeit ist Geometrie“. In die man eingemessen wird und die nur manchmal kleine Inseln der Ewigkeit zulässt, wenn sich Bahnen kreuzen und den Moment mit Liebe belegen, die es immerhin gibt. Es ist Nacht und jemand war da. Jemand teilte die Nacht. Gemeinsam sind die Illusion und die Hoffnung auf das Ende des Zweifels. „Ich schreibe an der Apokalypse und sehe wie sie sich erfüllt.“ – da ist viel Trübes, Dunkles, Schmerz, Schwermut und Nebel. Da ist ein Fuchs, struppig im Fell und nass vom Regen, der sich zum Sterben legt. Es ist nicht das Ende des Fragens, die Seele flieht mit einem „Warum?“ – „Warum muß man in solche Tiefe fallen?“

Das sind Gedichte, die in diese Tiefe fallen. Sie kleben nicht an der Gegenwart. Sie schauen zu, wie diese Gegenwart zerfällt in Richtung der Natur und natürlicher Spalten, wie sie den Weltraum durchkreuzt. Und der eigene Blick auf die Welt ist indessen befleckt von der „Illusion des Bewusstseins“. Die Innensicht verbrennt sich die Flügel und zerfliegt sich das Leben am Feuer. Wir enden im flüssigen Wachs und seiner Verströmung zum Docht. Ein oft gefundenes Bild, aber von Holappa ganz unpeinlich gebraucht. Alles klingt natürlich und nah, nichts herbeigeholt oder geholpert (zwei drei Wendungen sind nicht gut, weil nicht sinnklar übersetzt; sonst hat Stefan Moster sehr gute Arbeit geleistet – er hat nicht umsonst 2001 den Finnischen Staatspreis für Übersetzer erhalten). Fein ausgesteuerte Dichtung, die berührend authentisch und dabei von zeitloser Bedeutung ist. Poesie klar, wie das skandinavische Licht und dunkel, wie manche Mattheit des Winters. Gut fünfzig Jahren Dichten sind in diesem Buch versammelt, Texte aus den Jahren 1957-2003. Sie fügen sich homogen als eine Stimme und sind lesbar als kompakter Band. Das ist schon sehr erstaunlich. Und sie sind, gegen alle Vermutungen einer esoterischen Innerlichkeit, die sich mancher aus dem bisher Gesagten zusammenstricken mag, keineswegs altmodisch.

Der Zug in die Verzweiflung

Bevor der erleuchtete Zug mit nachdenklichen
Reisenden, leiser Musik, in den Tunnel
Namens Verzweiflung stürzt, in den Berg,
der mit Blei und Quecksilberhauch in seinem Inneren
im Meer versinkt – kurz bevor auf seinen Graten
die blauen Gletscher aufflammen, küsst die Mutter
fast ohne Berührung das eingeschlafene Kind,
der aus dem Urlaub zurückkehrende Soldat lächelt
mit offenem Gürtel seinen Erinnerungen nach,
der Geschäftsmann blättert haßerfüllt in Kopien,
nur eine Rentnerin mit ihrem Mann,
Mann und Frau, beide silberhaarig,
sind bereit, Hand in Hand sitzen sie da, warten und lauschen
auf das Pulsieren der Schlagader des anderen, Erinnerungswind
wandert andächtig über innere Wiesen, seufzt,
aber kein Schrei löst sich vom Lokomotivführer,
erhebt sich aus den Waggons, da der Berg
ohnegleichen dröhnt, die Finsternis anlangt.
Es geschieht im Geiste.
Man versteht, daß man umsonst auf den nächsten Morgen
gewartet, Schritte gehört hat. Sich entfernend
folgen sie dem Hall des geliebten Namens.

Pentti Holappa (geb. 1927) hat fünfzehn Prosawerke und siebzehn Gedichtbände (der erste erschien 1950) veröffentlicht und gilt als einer der bedeutendsten Schriftsteller Finnlands – „und zwar vor allem, weil sich sein Werk eigensinnig und souverän über die literarischen Moden erhebt“, konstatiert Übersetzer Stefan Moster, und: „Holappa ist in doppelter Weise ein Rebell“, Pekka Tarkka, Finnlands namhaftester Kritiker. „Er steht in Opposition zum literarischen Realismus und sträubt sich zugleich gegen die klassizistischen Tendenzen der Helsinkier Moderne“.

Unspektakulär und elementar ist seine Beziehung zum Leben. Aus der Erscheinung blendet er aus, was Trug ist und Glaube und gelangt zu Form und Substanz. Sein Leben verlief ähnlich direkt. Er wuchs auf bei seinen Großeltern, auf einem kleinen Bauernhof, nachdem der Vater die Familie im Stich gelassen hatte und die Mutter als Arbeiterin in der Stadt ihr Geld verdienen musste. Er folgte ihr als Zwölfjähriger nach, und schulte sich selbst, neben der Arbeit, die auch er annehmen musste, durch Lektüre. Das Schreiben wurde sein Weg, einmal für Jahre unterbrochen durch eine Karriere in der Politik, während der er auch mal finnischer Kultusminister war.

28 Gedichte sind in diesem ästhetisch sehr dezent ausgestatteten Band zweisprachig versammelt. Es ist der erste Gedichtband von Pentti Holappa in deutscher Sprache und erschien als zweiter Band einer beachtenswerten zweisprachigen Reihe (u.a. mit Robert Creely & R.S. Thomas) im leider kaum bekannten Babel-Verlag, in dem Kevin Perryman lyrische und bibliophile Kostbarkeiten von vielen namhaften Autoren zum Erscheinen brachte: Wolfgang Bächler, George Mackay Brown, Karl Krolow, Gila Prast, Séan Rafferty, Franz Wurm, Michael Hamburger, Friedrike Mayröcker u.a.m.. Ein schönes Buch aus einem tollen Verlag, beide sollte man für sich entdecken.

Pentti Holappa
Ein obdachloser Gedanke
Übersetzung:
Kevin Perrymann und Stefan Moster
Babel
2009 · 84 Seiten
ISBN:
978-3-931798314

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