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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Zeitloses Vokabular, exaktes Besteck.

Es gibt diese Begriffe, die bei den meisten Menschen die gleichen Assoziationen hervorrufen, unauslöschbare Begriffspaare bilden. Insbesondere gilt dies auch für Namen. Bei Oliver Bierhoff schießt einem augenblicklich ein Golden Goal in den Kopf (wer sich für Fußball nicht interes-siert, wird eher an Shampoo-Werbung denken); wer sich als Bildender Künstler in Schwitters-Nachfolge versuchen möchte, der tut für gewöhnlich gut daran, per Zeitungsinserat seine Verlo-bung mit Anna Blume bekannt zu geben. Die Aufzählung könnte beliebig fortgesetzt werden, natürlich auch – kommen wir zur Literatur – mit Verlagen und "ihren" Autoren. Kommt im deutschsprachigen Raum die Sprache auf den Maro Verlag, so ist der erste Gedanke an den ame-rikanischen Underground, an Autoren wie Bukowski, Burroughs oder Carver ("Gorki unterm Aschenbecher", noch immer einer meiner liebsten Gedichtbände), unumgänglich. Nach und nach aber wurde auch das deutschsprachige Programm ausgebaut, erhielten wunderbare Bücher wie Michael Schultes "Führerscheinprüfung in New Mexico" oder Jörg Fausers fulminanter Gedicht-band "Die Harry Gelb Story" den Platz, den sie verdienten.
Auch Philipp Luidl hat in Augsburg seine verlegerische Heimat gefunden. Im Brotberuf war er Dozent für Typografie an der Akademie für das Grafische Gewerbe in München, zudem Vorstandsmitglied der Typografischen Gesellschaft. In 2008 ist beim Maro Verlag bereits sein vierter Gedichtband erschienen: "die ankunft der worte" – ein für seine Maßstäbe geradezu ge-schwätziger, verschwenderisch lyrischer Titel, hießen seine ersten Lyrikbände doch schlicht "Gedichte", "Weitere Gedichte" und "Andere Gedichte".

"die ankunft der worte" hat mit dem Herbst ein Meta-Thema, welches sich als dunkelroter Faden durch das gesamte Buch zieht, wobei es in zwei unterschiedlichen Gebilden auftritt: als Schilde-rung landschaftlich-atmosphärischer Eindrücke, aber auch als körperliche und seelische, als alte-rungsbedingte Empfindung. Luidl arbeitet dabei nach klarem Muster und mit geschickter Wie-derholung. Zudem operiert er mit sehr exaktem Besteck, verzichtet auf formelle Vertracktheiten, konzentriert sich auf zeitloses Vokabular: licht, steine, herbst, nacht, schatten, blätter – obwohl mir dieser Umstand bei anderen Autoren häufig zu denken gibt, freut es mich in diesem Fall, dass ich mich bei der Lektüre unwillkürlich an einen Großen der Zunft, an einen Wortmagier ersten Ranges erinnert fühle: an Karl Krolow, der ebenfalls in der Lage war, mit "einfachen" Worten Großes zu sagen (Krolows zentrales Wort war, so scheint mir, "Laub" – ein Begriff, dem gegenüber auch Luidl nicht abgeneigt ist).

Auf den ersten Blick handelt es sich bei vielen der knapp 50 Gedichte um "einfache" Texte mit klarer Aussage. Ob man mit dem Zweiten wirklich besser sieht, mag der Spekulation eines Fernsehsenders unterliegen, Tatsache ist: Wer sich für die Gedichte von Philipp Luidl ein wenig Zeit nimmt und sie mehrfach liest, im optimalen Fall sogar laut und betont, der wird mit ungleich größerem Genuss und zahlreichen doppelten Böden belohnt.

schatten

mitten im sommer
vergass der vogel sein lied

unter den steinen
drehte der tag sich

gingen die schatten fort
kehrten die schatten heim

ihre schuhe nicht grösser
als ein welkes blatt

In diesem Band besonders schön: die Anordnung, die Reihenfolge der Gedichte. Immer wieder bilden sich feine Konstellationen heraus, bauen Gedichte auf den ihnen vorangegangenen auf. Auf den "nächtlichen heimweg" folgt die "nächtliche taxifahrt" – in dem einen sieht / die laterne mich kommen / zieht den schatten ein / wirft ihn nach der anderen seite, im anderen wechselt der aktive Part auf den Protagonisten über: wir sammeln lichter ein / überholen schatten / treiben strassen vor uns her. Eine wunderbare Korrespondenz, welche die Gedichte miteinander führen. Und das Beste: Sie unterhalten sich nicht nur untereinander, sondern auch denjenigen, der sich auf sie einlässt.

Philipp Luidl
die ankunft der worte
Maro
2008 · 58 Seiten · 16,00 Euro
ISBN:
978-3-875122855

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